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Aufklärung für Kinder in Schweden Wenn die Snippa mit dem Snopp

Cartoon "Snoppen und Snippan"
© Johannes Barte, https://johannesbarte.artstation.com
Wer beim Reden über bestimmte Körperteile schnell peinlich berührt ist, sollte hier die Ausführungen unserer Autorin Stella Bongertz lesen. Die lebt nämlich in Schweden. Und sieht ihr Gastland in puncto Verbalakrobatik ganz oben. Jedenfalls wenn es um das Untendrunter geht.
Das da unten

„Die Männchen noch mal, Mami!“, ruft meine Tochter und hüpft vor meinem Schreibtisch auf und ab. „Okay“, sage ich. „Einmal noch!“ Und wieder öffnet sich auf meinem Bildschirm der Vorhang – und ein bestens aufgelegter Cartoon-Penis federt auf uns zu. „Poppi-dopp-popp-snippe-di-snopp / Hier kommt der Snopp in vollem Galopp“, swingt eine ebenso gut gelaunte Stimme im Michael-Bublé- Stil. Schon tanzt ein weibliches Genital mit Kulleraugen durchs Bild: „Snippe-dipp-bipp-snippe- di-du / Snippa ist lässig / Baby, I love you.“

Die tanzenden Geschlechtsteile sind die Stars eines Videos aus dem schwedischen Kinderkanal. Das ruft nicht nur bei meiner Tochter, sondern auch bei vielen schwedischen Eltern große Begeisterung hervor. Und bei mir: Snippa und Snopp haben mich aus einer sprachlichen Not gerettet. Schon während der Schwangerschaft hatte ich darüber gegrübelt, wie ich mit meiner Tochter über das, was meine Mutter nur hilflos „da unten“ genannt hat, sprechen würde. Die Lösung meiner frivolen Tante Luise, die der Familienlegende nach im Urlaub beim Brandungsbaden „Hihi, mein Kätzchen wird nass“ gekreischt haben soll, fand ich zwar charmant, aber auch ein bisschen missverständlich.

Ehrlich gesagt tue ich mich mit den meisten Wörtern schwer, die unsere Sprache der Dichter und Denker für den Schrittbereich im Angebot hat.
Bei „Scheide“ erscheint vor meinem geistigen Auge ein Overhead-Projektor, der den Längsschnitt eines Mannes und einer Frau an die Klassenzimmerwand wirft. „Vagina“ gefällt mir, ist aber mit drei Silben unhandlich und im Nachklang arg medizinisch. „Vulva“ ist hübsch, spart nur alles Innenliegende aus. „Mumu“ klingt in meinen Ohren wie „ei-ei“, also höchstens für einen Gebrauch bis zweieinhalb geeignet. Und die anderen Begriffe wie „Möse“, „Muschi“ oder das unschöne F-Wort sind so eindeutig zweideutig besetzt, dass sie für den Gebrauch am Wickeltisch kaum infrage kommen.

Cartoon "Snoppen und Snippan"
© J. Barte, https://johannesbarte.artstation.com

Da mein Mann und ich nicht zu den Menschen gehören, die sich nur im Dunkeln ausziehen, stand natürlich auch die Frage im Raum, wie Papas Multifunktionsorgan zu bezeichnen ist. „Penis“ klingt für mich weniger sperrig als „Scheide“ – vermutlich, weil ich mehr dran gewöhnt bin. Schließlich steht das männliche Genital wegen seiner exponierteren Position (und seines auffälligeren Benehmens) traditionell im Mittelpunkt, während sich das weibliche Pendant eher versteckt und auch gesellschaftlich mit Tabus belegt war. Oder ist.

Trotzdem: Auch „Penis“ hat so eine Biobuch-Note. Bezeichnungen wie „Schniedelwutz“ kommen eher von Menschen, die auch gern Hallöle sagen. Und was eine gebräuchliche Bezeichnung unter erwachsenen Penisbesitzern betrifft, würde ich gern den Schwanz unseres Katers, also den Wirbelsäulenfortsatz, den Katzen zur Balance brauchen, weiter unbefangen als solchen bezeichnen.

Bis vor etwa 25 Jahren hatten viele Schweden noch ein ähnliches Problem wie ich: Zwar war der neutrale Begriff „Snopp“ da schon, äh, eingeführt, aber für den weiblichen Intimbereich existierten nur sehr medizinische oder ungelenke Begriffe. 1992 gab es darum vom RFSU, dem Reichsverbund für sexuelle Aufklärung, einen Wortfindungs-Wettbewerb. Die Gewinnerin: „Snäppa“. Im Lauf der Neunziger wandelte sich das ä zum i, bis eine der großen Abendzeitungen verkündete: „Sie heißt Snippa!“
Snippa und Snopp wurden zum schwedischen Traumpaar. In Kinderbüchern hießen die Genitalien fortan so. Ein Begriff wie „Snippa“ hat einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Er bezeichnet nicht nur die Vagina, sondern auch die Vulva, inklusive der Schamlippen und der Spitze der lustspendenden Klitoris. Und ist damit eher ein gleichwertiges Pendant zu den Bezeichnungen fürs männliche All-in-one-Wunder als Begriffe wie „Scheide“, die nur einen Teil des weiblichen Genitals herausgreifen.

Da ist das Popoloch, hier deine Scheide und dort ein Punkt, der schöne Gefühle macht

„Auch für Mädchen ist hier Vollständigkeit von großer Bedeutung“, erklärt die Soziologieprofessorin Ulrike Schmauch, die das Fach Sexualpädagogik vertritt. „Kinder eignen sich ein Körperbild an, und dabei sind Differenzierung und positive Besetzung wichtig.“ Wer nun „Scheide“ sagt oder vielleicht ein erfundenes Wort benutzt, bei dem nicht so ganz klar ist, welchen Part des Genitals er eigentlich genau bezeichnet, der muss sich natürlich trotzdem keine Sorgen machen. Wichtig ist, kleinen Mädchen, sobald sie sich für diesen Körperbereich zu interessieren beginnen, die Zusammenhänge zu erklären: was alles dazu gehört, und wo sich was befindet. „Vielleicht anhand einer Zeichnung“, schlägt Ulrike Schmauch vor. „Dann kann man sagen: Da ist das Popoloch, hier deine Scheide und dort ein Punkt, der schöne Gefühle macht.“

Wenn wir Eltern Begriffe gefunden haben, die uns locker von den Lippen perlen – egal, ob Snippa, Snopp oder solche, die im deutschen Anatomiebuch stehen –, dann übernehmen das auch unsere Kinder. Dass meine heute dreijährige Tochter keine Probleme mit ihrer Snippa hat, sehe ich, wenn sie daran ebenso selbstvergessen herumfummelt wie an ihrem Bauchnabel. Und spätestens, als sie beim Schaukeln begeistert über den Spielplatz brüllte: „Guck mal! Der Hund da hat einen Snopp, genau wie der Papa!“, war klar: damit auch nicht.


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