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Wackelzahnpubertät So kommt ihr gut durch die 6-Jahres-Krise

Fröhliches Mädchen mit Zahnlücke und gelbem Pullover
© Dina Uretski / Shutterstock
Die Milchzähne wackeln und bringen auch die Seele aus dem Gleichgewicht. Rund um die Einschulung fahren die Emotionen eures Kindes öfter mal Achterbahn. Erst himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt. Unsere Tipps helfen Eltern und Kindern durch die Wackelzahnpubertät.

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„Das kann ich ALLEINE!“, schimpft die Sechsjährige und knallt ihrer Mutter die Zimmertür vor der Nase zu. Solche Situationen kennst du? Im Prinzip ist die richtige Reaktion darauf einfach: durchatmen und abwarten. Meistens legen sich die Wutausbrüche und Trotzanfälle von Wackelzahnkindern so schnell, wie sie gekommen sind. Es ist ja auch ganz schön viel, was so ein Schulanfänger verdauen muss. Auf der Schwelle zwischen Kita und Schule fangen nicht nur die Zähne an zu wackeln, auch die Gefühle geraten in Schieflage. Aber in der Praxis ist es nicht immer ganz leicht, in dieser Phase die Ruhe zu bewahren. Was ist da los mit eurem Kind? Und was hilft ihm (und euch) jetzt?

Was ist das, die Wackelzahnpubertät?

Die sogenannte Wackelzahnpubertät ist auch unter den Begriffen „6-Jahres-Krise“, „Zahnlückenpubertät“ oder „kleine Pubertät“ bekannt. Sie tritt rund um den Schulstart auf und zeigt sich durch extreme Gefühle und einem verstärkten Autonomiestreben. Einige Kinder schwanken zwischen Wut und Freude, Trauer und großer Anhänglichkeit, bei anderen spielt sie sich eher im Stillen ab. In der Wackelzahnpubertät stehen für euer Kind große Veränderungen ins Haus. Das Ende des Kindergartens, die Vorfreude oder Angst vor der Schule, der Tag der Einschulung und die ersten Monate in einer ganz neuen Umgebung und mit neuen Menschen.

Die neue Situation verunsichert viele Kinder, ihr Gefühle sind aus dem Gleichgewicht. Da die Phase mit dem Lockern der ersten Milchzähne zusammenfällt, wurde sie Wackelzahnpubertät getauft. Aber keine Angst, Hormone sind dabei noch nicht im Spiel. Die wirbeln das Gefühlsleben eures Kindes dann erst ab der Vorpubertät durcheinander. Die 6-Jahres-Krise ist vielmehr Ausdruck eines emotionalen Umbaus. Nicht mehr Kleinkind, noch nicht richtig Schulkind. Euer Kind fühlt sich zwischen allen Stühlen und muss sich neu finden. Gefühlsausbrüche und irrationales Handeln sind der Weg dorthin. Wenn ihr den Hintergrund seines Verhaltens kennt, könnt ihr als Eltern vielleicht besser damit umgehen. Denn so ein Wackelzahnkind kann ganz schön anstrengend sein.

Mit welchem Alter kommt die Wackelzahnpubertät?

Das ist ganz unterschiedlich. Bei vielen beginnt die Wackelzahnpubertät tatsächlich mit den ersten Wackelzähnen oder dem Durchbruch der bleibenden Backenzähne (Sechs-Jahres-Molaren), bei anderen erst in der ersten Klasse. Die meisten Kinder erleben ihre 6-Jahres-Krise zwischen 5 und 7 Jahren. Dabei fällt der Zahnwechsel nicht zufällig mit der emotionalen Krise eures Kindes zusammen. Der Verlust der Milchzähne führt oft zu zwiespältigen Gefühlen.

Zum einen zeigen die ersten bleibenden Zähne, dass das Kind nun bald zu den Großen gehört. Der erste ausgefallene Milchzahn ist in vielen Kulturen ein Grund zum Feiern. Wenn sogar die Zahnfee kommt und ihn gegen ein Geschenk eintauscht, muss das ja schließlich was Tolles sein, oder?

Auf der anderen Seite macht es vielen Kindern aber auch Angst, einen Teil von sich zu verlieren. Der Umbau vom Milchzahn- zum Erwachsenengebiss ist ein kleiner Abschied von der ersten Kindheit. Das zeigt sich auch optisch. Das Wachstum des Kiefers wird das runde Kindergesicht bald etwas eckiger wirken lassen. Das passiert natürlich nicht von heute auf morgen.

Wie lange dauert diese Phase?

Der Zahnwechsel selbst dauert etwa bis zum elften Lebensjahr, bei einigen Kindern auch länger. Die Phase der Wackelzahnpubertät endet aber schon mit etwa acht Jahren. Bis dahin haben sich die meisten Kinder in ihrem neuen Leben als Schulkind gut eingerichtet und können ihre Emotionen besser kontrollieren. Für euch beginnt eine kurze Verschnaufpause bis zur Vorpubertät. Diese setzt heute früher ein als noch vor einigen Jahrzehnten. Immer mehr Mädchen bekommen ihre erste Periode bereits mit elf oder zwölf Jahren.

Typische Situationen in der 6-Jahres-Krise

Jedes Kind verhält sich anders in dieser körperlichen und geistigen Entwicklungsphase. Bei einigen äußert sich die Wackelzahnpubertät sehr heftig, bei anderen kaum. Wir haben einmal einige typische Verhaltensweisen für euch zusammengestellt.

Euer Kind ist vielleicht in der Wackelzahnpubertät, wenn es …

  • sehr wütend ist oder schwer nachvollziehbare Wutanfälle hat.
  • sich beschwert, dass man in der Kita mehr toben durfte als jetzt in der Schule.
  • seine Sachen packt und droht auszuziehen.
  • sehr anhänglich und liebesbedürftig ist.
  • sich ungeliebt und unverstanden fühlt.
  • schlechte Laune hat und gereizt ist.
  • traurig oder bedrückt ist.
  • sehr sensibel und empfindlich ist.
  • leicht verzweifelt, wenn etwas nicht so klappt wie gedacht.
  • euch bewusst provoziert.
  • laut und frech ist.
  • patzige Antworten gibt.
  • Stimmungsschwankungen hat.
  • euch deutlich zeigt, dass es Dinge schon allein kann.
  • sich wehrt und wütend wird, wenn ihr ihm etwas abnehmen wollt.
  • eure Anerkennung und Lob einfordert.

Das kommt euch widersprüchlich vor? Tja, ist es auch. Denn genau da liegt das Problem. Euer Kind pendelt zwischen seinem alten Kita-Ich und seiner neuen Schulkind-Identität. Seine neue Autonomie macht es stolz und es möchte gerne von euch gelobt werden, wenn es den Schulweg an diesem Morgen allein geschafft hat. Auf der anderen Seite bekommt es Angst vor der eigenen Courage und will sich bei einer Kuscheleinheit versichern, dass ihr da seid, wenn es doch noch Mamas und Papas Unterstützung braucht. Puh! Ein Drahtseilakt für alle!

Also wundert euch nicht, wenn euer Schulkind euch heute wegstößt und euch aus dem Nichts anschreit, dass es die Hausaufgaben schon selbst schafft und sich morgen auf euren Schoß setzt und euch fragt, ob ihr noch lebt, wenn es mal heiratet. Das Wissen darum, dass es nur eine weitere Phase ist und andere Familien davon auch betroffen sind, kann entlastend sein.

Aber Ihr seid ja nicht erst seit gestern Eltern. Auch ohne der Phase einen Namen geben zu müssen, könnt ihr euch sicher gut in euer Kind hineinversetzen. Schließlich geht es uns Großen doch auch nicht anders, wenn wir gerade einen Umbruch erleben: Wir haben Stimmungsschwankungen, sind mal wütend oder unfair zu anderen, wenn es gerade nicht läuft im Job oder wenn sich in der Familie etwas verändert.

Übrigens: Es ist kein Zufall, dass die Lehrer diese wütende, traurige, an sich selbst zweifelnde Seite eures Kindes vielleicht gar nicht kennen. Denn ihren Gefühlen lassen eure Kinder eher dort freien Lauf, wo sie sich beschützt und geborgen fühlen: zu Hause.

Wie erlebt euer Kind die Wackelzahnpubertät?

Euer Kind spürt die Veränderungen, die auf es zukommen, ganz deutlich. In der Schule werden nun Dinge erwartet, die in der Kita noch nicht so wichtig waren. Stillsitzen, leise sein, Leistung bringen. Das kann zu Angst und Stress führen.

Der aufgebaute Druck entlädt sich dann in Wutausbrüchen und extremen Gefühlsschwankungen. Erklären kann euer Vorschüler oder Erstklässler euch das aber nicht. Euer Kind ist in diesen Momenten seinen Emotionen ausgeliefert. Statt zu fragen, warum es sich so oder so verhalten hat oder Entschuldigungen einzufordern, ist es besser, euer Kind in einer Kuschelphase in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass ihr wisst, dass das alles gerade ganz schön viel auf einmal ist.

Wie erlebt ihr als Eltern das Gefühlschaos?

Die Sechs-Jahres-Krise kann bei einigen Kindern sehr anstrengend sein. Als Eltern seid ihr gefordert, das Gefühlschaos euer Wackelzahnkinder auszuhalten und ihm zu helfen, die neuen Herausforderungen in seinem Leben zu meistern. Das klappt an einigen Tagen gut und an anderen so gar nicht. Versucht vor allem eins: Sucht nicht nach logischen Erklärungen für das Verhalten eures Kindes und nehmt patzige Antworten und Provokationen nicht persönlich. Ihr seid ihr Prellbock in dieser Phase. Schließlich lernen es gerade auch, sich in der Schule zusammenzureißen.

Unsere Tipps: So geht es eurem Kind besser in der Wackelzahnpubertät

Gefühle ernst nehmen
Schon Kleinigkeiten können bei Wackelzahn-Kindern Wut, Traurigkeit und andere Emotionen auslösen. Dennoch ist es wichtig, dass ihr die Gefühle ernst nehmt, auch wenn ihr eigentlich denkt, dass das doch wohl nicht so schlimm ist, wenn man einen Fehler mehr in der Mathearbeit hat als Jonas. Oder wenn Sara sich heute mit Frederike verabredet hat. Begegnet eurem Kind auf Augenhöhe und sucht gemeinsam nach Lösungen, dann wird es euch sicher auch in Zukunft seine Sorgen anvertrauen.

Geduld und Verständnis zeigen
Versucht, Wutausbrüche auszuhalten und euch nicht provozieren zu lassen. Solange euer Kind sich selbst oder andere nicht in Gefahr bringt, lasst ihr den Sturm am besten erstmal vorüberziehen. Das ist nicht immer so leicht, aber meistens geht es ihm danach besser. Dann könnt ihr versuchen, es einfach ohne viel Worte in den Arm zu nehmen und zu trösten.

„Wichtige“ Aufgaben übertragen
In dieser Phase können Kinder an kleinen Alltagsaufgaben enorm wachsen. Schickt euren Vorschüler zum Bäcker, um die Frühstücksbrötchen zu kaufen oder zum Laden um die Ecke, weil ihr „unbedingt“ einen Liter Milch braucht. Wenn euer Kind dann stolz mit der Einkaufstasche vor der Haustür steht, ist ein großer Schritt in Richtung Selbstständigkeit getan.

Nicht übertreiben
Schulkinder hören vor der Einschulung immer wieder, wie GROSS sie jetzt sind, und dass jetzt der Ernst des Lebens anfängt. Wenn ihr merkt, dass euer Kind das stresst, fahrt mal einen Gang runter. Vielleicht beruhigt es euren kommenden Erstklässler, von euch zu hören, dass sich jetzt zwar ganz viel verändert, Mama und Papa aber immer da sind, um zu helfen, wenn es Hilfe braucht.

Regeln beibehalten
Ja, es ändert sich vieles, aber nicht alles. Zeigt eurem Kind, dass die wichtigsten Familienregeln und Rituale auch weiterhin Bestand haben. Auch wenn es schreit und tobt, verdoppelt sich dadurch z.B. nicht die Medienzeit. Das findet euer Kind sicher in der Situation nicht toll, zeigt ihm aber, dass zu Hause immer noch alles beim Alten ist. Das gilt genauso für die Mahlzeiten. Auch das gemeinsame Essen gibt eurem Kind Sicherheit und Struktur. Soll doch mal eine Regel verändert werden, ist es wichtig, euer Kind zu beteiligen. Dann hält es die neuen Absprachen auch viel lieber ein.

Für Bewegung sorgen
Gerade aktive Kinder leiden unter dem vielen Stillsitzen in den ersten Schuljahren. Sorgt dafür, dass es sich nach der Schule beim Sport, auf dem Spielplatz oder auf Spaziergängen auspowern kann. Körperliche Anstrengung an der frischen Luft macht so manchen Wutausbruch überflüssig.

Das Leben leben
Wartet nicht darauf, dass die Phase endlich vorbei ist, sondern genießt sie. Schließlich ist euer Kind nur einmal ein Erstklässler. Lenkt eure Aufmerksamkeit lieber auf die vielen positiven Erfahrungen, die es gerade macht. Lesen lernen, bis hundert zählen, neue Freunde finden. Euer Kind erschließt sich eine neue Welt und ihr dürft dabei sein :)

Quellen:

Monika Kiel-Hinrichsen (2011): Von der Abhängigkeit zur Autonomie. Trotzalter, Zahnwechsel und Vorpubertät, in: a tempo, Ausgabe 1.

Monika Kiel-Hinrichsen, Renate Kviske (2021): Wackeln die Zähne - wackelt die Seele. Der Zahnwechsel. Ein Handbuch für Eltern und Erziehende, München: Urachhaus.

Monika Zschocher (2020): Nicht mehr klein und noch nicht groß. Der liebevolle Ratgeber für die Wackelzahnpubertät, Salzburg: Edition Riedenburg.

Remo Lago (2019): Kinderjahre: Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung, München: Piper.

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