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Interview Ungewollt kinderlos: "Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen"

Melancholische Frau
© fizkes (Symbolbild) / iStock
Anna Schatz ist Buchautorin, 37 Jahre alt und hat kein Kind, obwohl sie gern eins hätte. Warum nicht nur das sie manchmal wütend und traurig macht, hat sie uns im Interview erzählt.

In deinem Buch geht es um deinen unerfüllten Kinderwunsch. War es schwierig, diese persönliche Geschichte so aufzuschreiben?
Anna Schatz: Es hat mir geholfen, besser damit klarzukommen. Mir ist aufgefallen, dass ich für mich Sachen besser ordnen und regeln kann, wenn ich sie aufschreibe. Außerdem fehlte mir bei Büchern zum Thema unerfüllter Kinderwunsch die Perspektive,  mir hat gefehlt, dass man auch mal davon genervt sein darf, dass man ungewollt kinderlos ist. Deswegen wollte ich gern selbst etwas dazu schreiben. Alles rund um dieses Thema ist immer so weichgespült. Und wenn mein Buch anderen auch ein bisschen hilft, finde ich das umso besser. 

War schon immer klar, dass du Probleme mit dem Kinderkriegen haben könntest?
Mit 16 wurde mir zum ersten Mal gesagt, dass ich keine Kinder bekommen kann, aber damals habe ich das nicht ernst genommen, weil meiner Mutter dasselbe gesagt worden ist. Als ich dann aber mit 26 schwanger wurde und das Baby verloren habe, ist mir klar geworden, dass ich eigentlich ein Kind möchte und da ich ja offensichtlich doch schwanger werden konnte, wollte ich es versuchen. Ich habe dann auch angefangen, zum Arzt zu gehen und meinen Hormonspiegel bestimmen zu lassen und solche Dinge. Dann aber habe ich mich von meinem Mann getrennt und war erstmal wieder ein bisschen weg vom Thema. Das hat sich aber geändert, als ich meinen jetzigen Partner kennengelernt habe. Als ich das zweite Kind nicht kriegen konnte, weil es nicht lebensfähig war, hat mich das wirklich fertig gemacht. Ein drittes Baby habe ich früh in der Schwangerschaft verloren. Trotzdem habe ich den Wunsch nie aufgegeben, einmal ein Kind zu haben.

Du klingst trotz allem sehr entspannt. Das war nicht immer so...
Es ist nach wie vor natürlich ein Thema, ich bin da nicht total abgeklärt, ich bin aber auch nicht blind dafür, dass es auch sehr viel Gutes in meinem Leben gibt. Es gab eine Zeit, da hat sich alles um das Thema Schwangerschaft gedreht: Warum ich gerade nicht schwanger bin, ob ich es morgen sein werde und ob ich jemals ein Kind bekommen werde. Ich gehe mittlerweile reflektierter mit meinem Wunsch um. 

Was ist das Schlimmste, das man eine Frau, die ungewollt kinderlos ist, fragen kann?
Ich finde, man kann durchaus fragen, ob jemand Kinder hat. Ich persönlich finde es aber nicht in Ordnung, wenn jemand, den ich nicht kenne, mich fragt, warum ich keine habe. Wenn jemand sagt, er habe Kinder, frage ich ihn ja auch nicht, warum das so ist. Diese Frage wird auch nur Frauen gestellt. Ich habe noch nie erlebt, dass mein Freund das je gefragt wurde. 

Hast du das Gefühl, dass es bei Frauen als Makel wahrgenommen wird, wenn sie keine Kinder haben?
Es ist zumindest immer etwas, das man erklären muss. Für viele gelten Frauen ohne Kinder als "unfertig". Sobald man zwischen 30 und 45 ist und sagt, dass man keine Kinder hat, ist man automatisch nicht nur eine Frau, sondern eine Frau, die abwartet. Ich möchte als Person wahrgenommen werden, nicht als Frau mit Verfallsdatum. Eine Mutter möchte schließlich auch nicht nur als Mutter wahrgenommen werden.

Welche Äußerungen haben dich am meisten getroffen?
Wenn jemand sagt: "Du lebst also deinen eigenen Egoismus aus". Schlimm ist auch: "Dann wird es aber mal Zeit". Selbst wenn ich keine Kinder wollen würde, wäre das völlig verkehrt. Es kann nicht die Haltung der Gesellschaft sein, dass jede Frau Kinder kriegen muss. Männer halten sich eher raus, aber wenn sie etwas sagen, dann gern Dinge wie "Es gibt so viele Frauen, die das später bereuen". Am deutlichsten sind ältere Verwandte. Die meisten über 60 haben eine sehr klare Meinung, vor allem manche Frauen, die häufig verbittert auf mich wirken.

Wie wünschst du dir die Reaktion?
Am besten ist immer, wenn Menschen empathisch reagieren, wenn sie das Gefühl ein bisschen spiegeln und einen traurig sein lassen. Ich brauche ja keinen Lösungsvorschlag oder ein Patentrezept. Es ist gut, wenn jemand sagt "Das ist echt schade: Magst du darüber reden?" Ich finde auch immer super, wenn Freunde mit Kindern mich einladen. Ich kann ja absagen, wenn es mir an diesem Tag gerade nicht passt. 

Kannst du andere Mütter gut ertragen?
Das kommt immer drauf an. Manchmal macht mir das gar nichts, aber es gibt diese Tage, an denen sehe ich Muttis auf der Straße mit ihren Kinderwagen und bin extrasauer, wenn sie mir im Weg stehen. Dann denke ich schon: "Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen". Es macht mich auch manchmal wütend, wenn ich eine Mutter mit einem Kind sehe, die in der einen Hand einen Latte Macchiato, in der anderen eine Zigarette und noch dazu eine französische Bulldogge dabei hat. Dann denke ich: "Wieso hat diese Frau Kinder? Die hat ja nicht mal eine Hand frei!" Natürlich ist das ungerecht, aber ich bin dann neidisch und traurig. Die Frau kann dafür nichts, die ist bestimmt total nett, aber in diesem Moment mag ich sie nicht. Ich empfinde das als ungerecht.

Du hast aber auch Wege für dich gefunden, mit deiner Wut und Traurigkeit umzugehen. Welche sind das?
Erstmal habe ich alle Apps, die mit Kinderwunsch und Kinderkriegen zu tun haben, von meinem Handy gelöscht. Ich gucke mir auch keine Mami-Foren mehr an, in denen es nur darum geht, schwanger zu werden. Ich musste damit aufhören, weil ich gemerkt habe, das macht mich kaputt. Ansonsten schreibe ich in einem Tagebuch auf, was an meinem Leben toll ist. Was mich ohne Kinder ausmacht. Ich bin ja nicht nur eine Frau mit Kinderwunsch. Ich mache mir so bewusst, was schön ist und wofür ich dankbar bin. Das kann ein Treffen mit einer Freundin sein oder dass ich mit meiner 75 Jahre alten Mutter auf der Kirmes Kettenkarussell fahren kann. Sich solche Dinge bewusst zu machen, hilft sehr und macht zufriedener. 

Wie weit würdest du gehen, um ein Kind zu bekommen?
Ich habe für mich entschieden, dass ich nur bis zu einem bestimmten Punkt gehe. Ich kann ja schwanger werden, das ist nicht mein Problem, eine künstliche Befruchtung ist  also gar nicht notwendig. Ich möchte mich gar nicht diesem psychischen Druck aussetzen, darauf zu warten, ob es klappt. Auch das ist ja immer mit Hoffen verbunden. Offensichtlich ist die Natur der Ansicht, dass es nicht die richtige Idee für mich ist. Bisher. Bei mir weiß keiner, warum ich die Kinder verliere. Ich würde allerdings Hormone nehmen, wenn ich schwanger wäre, weil ich teilweise zu viel Testosteron hatte. 

Was vermisst du am meisten?
Gerade als ich jetzt die ganzen Kinder gesehen habe, die eingeschult wurden, habe ich gedacht, dass ich kein Kind beim Großwerden begleiten kann. Es klingt kitschig, aber ich möchte gern für ein Kind da sein, mich um es kümmern. Ich hätte so gern ein Haus, in dem Kinder rumspringen. Ich wünsche mir, dass ich mich aufregen kann, weil Dinge durch die Gegend fliegen, die nicht durch die Gegend fliegen sollen. Mir geht es um das Gesamtpaket Familie. Ich finde es schade, dass ich das nicht leben kann, weil es meinem Leben Sinn geben würde. 

Würdest du rückblickend Dinge anders planen in deinem Leben?
Mein Lebensweg war ja nicht ganz geordnet. Ich habe erst Medizin studiert, war dann Buchhändlerin und anschließend bei der Bundeswehr. Wenn ich mit 25 geheiratet hätte und jetzt Ärztin wäre, könnte ich ein Kind adoptieren. Das bereue ich schon manchmal. Ich bin aber nicht verheiratet und freiberuflich tätig, ich habe überhaupt keine Chance, zu adoptieren. Selbst wenn wir sofort heiraten würden, könnten wir kein Kind mehr annehmen. Da bin ich schon ein bisschen sauer auf das Adoptionsrecht in Deutschland. Mir geht es ja nicht primär darum, ein eigenes Kind zur Welt zu bringen. Ich versuche das noch eine Weile, ich hoffe natürlich, dass es klappt. Und falls ich irgendwann 45 bin, könnte ich mir vorstellen, ein Pflegekind aufzunehmen. 
 

Anna Schatz ist 1981 geboren, sie ist Autorin und lebt in Hamburg.  "Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen. Mein Leben mit einem unerfüllten Kinderwunsch " ist im Rowohlt Verlag erschienen und  kostet 14,99 Euro.


Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei BRIGITTE.de.


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