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Identität Sexuelle Orientierung: Ab welchem Alter wird sie Kindern bewusst?

Sexuelle Orientierung thematisieren: Vater mit Kind auf den Schultern in der Natur
© Mladen Zivkovic / Shutterstock
Eltern und ihre Kinder leben heute in einem Deutschland, in dem unterschiedliche Lebensformen und das Spektrum sexueller Orientierung auf größere Akzeptanz stoßen als noch vor einigen Jahren. Aber ab wann wissen Kinder eigentlich, zu welchem Geschlecht sie sich hingezogen fühlen? Und wie können Eltern sie positiv begleiten?

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Kinder ordnen sich und ihre sexuelle Identität nicht automatisch einer Kategorie zu. Oft wissen sie gar nicht, welche Kategorien es überhaupt gibt. In einer Studie zur sexuellen Orientierung (siehe Quellen) von 2018 gaben beispielsweise ein Viertel der Neun- bis Zehnjährigen an, die Frage überhaupt nicht verstanden zu haben. 

Pauschal sagen, ab wann sich Kinder ihrer sexuellen Orientierung bewusst werden, kann man also nicht. Und dennoch spüren sie meist schon früh, zu wem sie sich hingezogen fühlen. Die erste Verliebtheit erleben viele Kinder nämlich bereits im Kindergarten

Wie können Eltern mit ihren Kindern über sexuelle Orientierung sprechen?

Kinder direkt auf ihre sexuelle Orientierung anzusprechen, würde sie in vielen Fällen überfordern. Was dagegen gut funktionieren kann, sind ehrliche Gespräche, in denen Gefühle altersgerecht ausgedrückt werden können. Und zwar nicht im Sinne von „Setz dich mal hin, ich erkläre dir jetzt, wo die Babys herkommen“ – sondern in Gesprächen, die sich im Alltag ergeben: auf dem Weg zur Schule, unterwegs im Auto, bei einem Spaziergang. Solche Gespräche können auch immer mal wieder stattfinden, wann immer sie sich thematisch ergeben und Sinn machen. Dann drehen sie sich vielleicht zunächst um Freund:innen des Kindes, die gerade zum ersten Mal verliebt sind. Da bieten sich dann weitere Anknüpfungspunkte wie „Magst du denn gerade jemanden besonders gern?“ Oder bei älteren Kindern und Jugendlichen: „Was stellst du dir unter einer guten Partnerschaft vor?“

Die Antworten auf diese Fragen können Eltern dabei helfen zu verstehen, wie weit ihre Kinder in ihrer Entwicklung sind und was sie aktuell bewegt. Stephani Stancil PhD, APRN ist spezialisiert auf Jugendmedizin (siehe Quellen) und bedankt sich nach solchen Gesprächen bei ihrer Tochter. Denn: Kinder müssen ihre Gefühle nicht mit ihren Eltern teilen! Wenn sie sich aber bei emotionalen Themen öffnen können, ist das auch immer ein Vertrauensbeweis.

Warum sind Gespräche über sexuelle Orientierung so wichtig?

Dass ein Gefühl von Sicherheit und Akzeptanz im eigenen Elternhaus ungemein wichtig ist, zeigt sich auch in Zahlen: Kinder und Jugendliche, die sich bei ihrer sexuellen Orientierung in der Minderheit befinden, eben weil sie sich als lesbisch, schwul oder bisexuell (LSB) identifizieren – haben dem amerikanischen Gesundheitsministerium zufolge ein fünf Mal höheres Risiko, im Laufe ihrer Jugend einen Selbstmordversuch zu unternehmen.

Gleichzeitig haben Studien gezeigt, dass sich offene Gespräche mit den eigenen Kindern positiv auf ihre spätere Entwicklung auswirken. Und es ist nie zu früh, damit anzufangen. Im Gegenteil: Kinder, in deren Familien früh offen über Gefühle und den eigenen Körper gesprochen wird, bringen eine stabile emotionale Grundlage mit in die Pubertät. Somit sind sie gut vorbereitet, wenn die Hormone auf einmal Achterbahn fahren.

Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen?

Klar, es ist auch nicht immer einfach für Eltern zu verstehen, was in ihren Kindern vorgeht und was sie bewegt. Jedes Kind ist in der Entwicklung unterschiedlich. Was Eltern aber dennoch tun können, ist eine vertrauensvolle Grundlage zu schaffen, sodass sich ihre Kinder aufgehoben und verstanden fühlen. 

Hier einige Tipps:

  • Sag deinem Kind, dass du es genauso liebst, wie es ist. Das klingt so selbstverständlich und doch kann es im Alltag manchmal untergehen. Das Selbstwertgefühl der eigenen Kinder zu festigen, stärkt sie aber gleichzeitig für die große weite Welt, die leider nicht immer nur verständnisvoll und inklusiv ist.
  • Gehe nicht davon aus, dass dein Kind auf jeden Fall heterosexuell ist. Das muss gar nicht böse gemeint sein. Wie zum Beispiel bei einer Mutter, die ihrer Tochter schon im Kindergarten von der Hochzeit mit ihrem zukünftigen Traumprinzen vorschwärmt. Aber Kinder, deren Kindheit von solchen Aussagen begleitet wird – sich in diesen aber gar nicht wiederfinden – erfahren Unsicherheit. Denn ihre Gefühle passen nicht in das Bild, dass die Eltern vermitteln. Die Gefahr, dass ein Kind sich als Folge einer solchen Situation verschließt und das Selbstwertgefühl leidet, ist groß.
  • Schau dir den Inhalt von Büchern, Filmen und Serien genau an. Werden in ihnen geschlechterspezifische Stereotype verbreitet? Spiegeln die Inhalte eine inklusive und offene Weltsicht wieder? Hier findest du einige Kinderbuchempfehlungen gegen Rollenklischees.
  • Versuche, stereotype Phrasen zu vermeiden und lass die Vielfalt der Gefühle deiner Kinder zu. „Starke Jungen weinen nicht“ oder „Benimm dich, du bist doch ein Mädchen“ tragen zu stereotypen Rollenbildern bei und können Kinder in ihrer Entwicklung hemmen. Den eigenen Gefühle freien Lauf lassen zu dürfen, ist ein wichtiger Bestandteil des Großwerdens. Jungen müssen weinen dürfen, genauso wie Mädchen laut sein dürfen.
  • Mach dir bewusst, dass jedes Kind ein Individuum ist. Du hast vielleicht mehrere Kinder, aber eines stellt konkrete Fragen zur Sexualität und geht offen damit um, während dein anderes Kind bei solchen Unterhaltungen lieber schnell das Zimmer verlässt. Hier lohnt es sich, die Unterschiede wahrzunehmen und anzuerkennen. Das Kind, das konkrete Fragen hat, kann diese dann besser in einem Einzelgespräch beantwortet bekommen. 

Wo finden Eltern und Kinder Rat?

Studien haben übrigens ergeben, dass Eltern viel öfter vermuten, dass eines ihrer Kinder lesbisch, schwul oder bi ist, als es tatsächlich der Fall ist. Dies zeigt, dass es eine Verunsicherung gibt, wie Eltern mit ihren Kindern sprechen können und umgekehrt.

Hier findet ihr eine Liste von Stellen mit weitergehenden Informationen rund um das Thema „Sexuelle Orientierung bei Kindern und Jugendlichen“:

  • Das Regenbogenportal vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt vielfältige Inhalte über geschlechtliche Vielfalt und Identität in Text und Video für Erwachsene und Jugendliche zur Verfügung.
  • Das Queer-Lexikon ist „deine Online-Anlaufstelle für sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt“.
  • Profamilia bietet persönliche Beratungsangebote in jedem Bundesland, zusätzlich gibt es die Möglichkeit einer Online-Beratung. 
  • Lambda Bundesverband ist ein bundesweites Jugendnetzwerk von und für junge Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, queer oder trans* identifizieren.

Hilfshotlines für Eltern, Kinder und Jugendliche:

  • Die Nummer gegen Kummer: anonyme und kostenlose Beratung für Kinder und Jugendliche von Montag bis Samstag zwischen 14 und 20 Uhr unter 0800 / 11 10 333.
  • TelefonSeelsorge: Die Beratung ist anonym und kostenlos – rund um die Uhr unter 0800 / 11 10 111 oder 0800 / 11 10 222.

Fazit: Unsere Gesellschaft ist bunt – und jedes Kind individuell besonders. Genauso individuell ist es, wann ein Kind nicht nur weiß, dass es Mia oder Paul besser findet, sondern sich auch der damit verbundenen sexuellen Orientierung bewusst wird. Oder eben darüber, dass diese nicht so leicht in Kategorien passt. Eltern, die verunsichert sind, können sich Unterstützung holen – es gibt auch lokal zahlreiche Beratungsstellen. Offene Kommunikation und wertungsfreies Verhalten können aber bereits eine wichtige Grundlage für die emotionale Entwicklung eures Kindes sein.

Quellen:

ELTERN

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