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Nicol Ljubic Schweigen in der Pubertät

Nicol Ljubic: Vater und sein jugendlicher Sohn sitzen auf einem Baumstamm an einem See
© Motortion Films / Shutterstock
Wie bringt man das pubertäre Kind zum Reden? Schritt für Schritt. Nicol Ljubic hat es ausprobiert.

Geheimrezept Spazierengehen

Seit einiger Zeit gehören mein Sohn und ich in die illustre Reihe der Spaziergänger: Beethoven, Nietzsche, Goethe und jetzt auch die Ljubics. Wir sind regelmäßig unterwegs, ein-, zweimal die Woche – und ich bin sehr froh darüber. Nicht nur, weil wir rauskommen an die frische Luft und das unserer Gesundheit guttut. Sondern auch, weil wir über Dinge sprechen, über die wir sonst nie sprechen, was unserer Beziehung guttut. Ob das Gehen ein Überbleibsel aus der Zeit der Corona-Beschränkungen ist? Ja, auch, aber vor allem war es meine Unlust aufs Tragen, die uns dazu gebracht hat. Ich war es satt, allein einkaufen zu gehen und mich dann wie ein Packesel nach Hause und die fünf Stockwerke (kein Lift!) hoch zu quälen. Ich bat meinen Teenager-Sohn, mich zu begleiten, wozu der aber wenig Lust hatte, weil er weiß, in welchem Stockwerk wir wohnen und außerdem gerade am Daddeln war. Erst als ich ihm anbot: "Du kannst dir im Laden was aussuchen!", war er bereit, mitzukommen – missmutig zwar, doch immerhin.

Und kaum waren wir draußen und die ersten 50 Meter gelaufen, geschah das Wunder. Mein Sohn, den man nicht gerade als Quasselstrippe bezeichnen kann, der eher pubertär-verschlossen seinen Gedanken nachhängt – sodass ich nie genau weiß, was ihn gerade beschäftigt oder bedrückt –, fing auf einmal an zu reden: Ich hatte ihn gefragt, wie es in der Schule laufe, eine Frage, auf die er sonst nur mit "gut" oder "nicht so gut" antwortet. Aber jetzt erzählte er von der Vier in der Physikklausur (ich wusste nicht mal, dass er eine Klausur geschrieben hatte), von den Lehrern, mit denen er Schwierigkeiten hatte und dann auch von anderen Dingen, die ihn beschäftigten. An jenem Tag sind wir einen Umweg zum Supermarkt gegangen, weil ich nicht wollte, dass er aufhörte zu erzählen.

Harmonischer Gleichschritt

Ein paar Tage später fragte ich ihn, ob er mich zum Kaffeeladen begleiten will, wiederum ein paar Tage später, ob er Lust auf einen Döner hat. Dann erinnerte ich ihn daran, dass er doch einen neuen Pullover wollte, und wir spazierten ins Viertel mit den Klamottenläden. In der Woche drauf liefen wir los, um uns einen neuen Fernseher für sein Zimmer anzusehen.

Es ist erstaunlich und, wie ich mittlerweile herausgefunden habe, auch durch Studien belegt, dass zwei Menschen beim gemeinsamen Spazieren, Seite an Seite, den harmonischen Gleichschritt suchen: Wir passen uns den Schritten des anderen an, und diese Synchronität verbindet uns. Nur so kann ich mir auch den Flow erklären, der zwischen meinem Sohn und mir entsteht, sobald wir zu Fuß unterwegs sind. Wir führen großartige Vater-Sohn-Gespräche, über Mädchen, über die Liebe, über die Welt an und für sich.

Ich überlege mir immer neue Ziele: die Shopping-Mall am Alexanderplatz, einen neuen Burger-Imbiss, den Bäcker mit den besten Zimtschnecken der Stadt. Kürzlich hatte ich ein Sport-Geschäft herausgesucht, in dem es die coolen neuen Sneakers gibt, die ihm so gefallen. Ich also in sein Zimmer. "Wollen wir wieder unsere Männerrunde drehen?", fragte ich, "wir könnten uns die Sneakers ansehen, von denen du mir erzählt hast. Weißt du, diese Weißen mit blauen Streifen." Es dauerte eine Weile, bis er sich mit seinem Gaming-Sessel umdrehte, mich ansah und sagte: "Papa, entspann dich, wir können auch einfach in den Park gehen."

ELTERN

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