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Neue Familienkonstellationen Familie neu gedacht

Neue Familienkonstellationen: zwei Väter laufen mit ihren gemeinsamen Kindern am Strand entlang
© Vane Nunes / Shutterstock
Patchworkfamilien, Alleinerziehende, gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern – solche Familienkonstellationen gibt es immer mehr. Oft entstehen sie aber erst im zweiten Versuch, wenn die klassische Kleinfamilie gescheitert ist. Denken wir zu eng? Und wenn ja, was brauchen solche Familien, damit es allen gutgeht? Wir fragten eine Buchautorin, drei Kinder und die Wissenschaft.

"Die Kleinfamilie passt nicht unbedingt zu unseren Bedürfnissen"

Das meint die Buchautorin und Journalistin Anne Waak. In ihrem Buch "Wir nennen es Familie" blickt sie über den Tellerrand in andere Teile der Welt und ermuntert Eltern wie Kinderlose dazu, menschliche Gemeinschaft neu zu denken.

Anne Waak wurde 1982 in Dresden geboren und studierte in Berlin und Paris Literatur- und Kulturwissenschaften. Heute lebt sie in Berlin. Ihr Buch "Wir nennen es Familie" erschien 2021 bei Edition Körber (18 Euro)

ELTERN family: Frau Waak, was ist denn nun Familie für Sie?

Anne Waak: Mein Anliegen mit meinem Buch ist eine Erweiterung des Begriffs Familie. Für die meisten Menschen hier in Europa bedeutet er: "Vater, Mutter, Kind". Inzwischen vielleicht auch "Vater, Vater, Kind" oder "Mutter, Mutter, Kind". Trotzdem ist unsere Vorstellung nach wie vor von der christlichen Kleinfamilie geprägt. Auch dem Staat gilt nur diese eine Form des Zusammenlebens als wünschenswert. In meinen Augen ein normiertes Bild, das nicht zeitgemäß ist, nicht der Wirklichkeit entspricht und auch repressiv wirkt.

Einengend in welchem Sinn?

Indem andere Modelle – seien sie gewollt oder nicht – als minderwertig gelten, als gescheitert, unglücklich, maximal als zweitbeste Version. Also nicht als etwas Gleichwertiges zur klassischen Familie. Oder eine Lebensart, die vielleicht sogar Vorteile hat.

Die Familie, schreiben Sie in Ihrem Buch, gelte als Keimzelle der Gesellschaft – und sei damit auch immer eine politische Erklärung. Sie sind in Ostdeutschland groß geworden. Wie hat das Ihr Verständnis von Familie geprägt?

In der DDR gab es keine Hausfrauen-Ehen wie in der BRD. Nicht, weil man so fortschrittlich war, sondern aus ökonomischen Gründen: Man brauchte die Frauen, um die Planwirtschaft am Laufen zu halten. Folglich arbeiteten sie und waren sehr unabhängig. Es gab dazu ein gut ausgebautes Kinderbetreuungssystem. Um eine Familie zu gründen, musste man nicht verheiratet sein. Meine Eltern waren es auch nicht. Bei uns hat meine Mutter als Psychologin das Geld verdient, und mein Vater, ein Künstler, war zeitweise verstärkt für mich und meinen Bruder da.

Nach ihrer Trennung haben sich Ihre Eltern in einem Nestmodell um Sie gekümmert, lange, bevor dieser Begriff geprägt wurde.

Ja, man muss aber dazu sagen, dass das nur ging, weil die Mieten damals in den 90ern so niedrig waren im Osten. Man muss es sich erst mal leisten können, eine Familienwohnung und zwei kleinere zu bezahlen.

Der Startschuss zu Ihrem Buch fiel, als Sie um die 30 anfingen, über eigene Kinder nachzudenken.

Ich war damals mit einem Mann liiert, von dem ich wusste, dass er keine Kinder möchte. Weil ich ihn liebte, hatte ich die Idee, mit ihm zusammenzubleiben und mit einem anderen ein Kind zu bekommen, also eine Entkopplung der Eltern- und Paarbeziehung. Damals fing ich an, die Familien um mich herum genauer unter die Lupe zu nehmen.

Und was haben Sie da gesehen?

Ich sehe in meinem Umfeld viele Menschen, die nach wie vor auf herkömmliche Art und Weise eine Familie gründen. Aber: Die wenigsten schaffen es, sie dann auch jahrzehntelang in dieser Form zu erhalten. Und mich interessiert, woran das liegt.

Unter unseren Lesern sind viele junge Eltern. Denen dürfte es jetzt etwas bange werden …

Niemand muss Angst bekommen, im Gegenteil. Ich glaube, dass vielen Menschen schon geholfen wäre, wenn sie ihr Bild von Familie erweitern würden. Dann stünden wir alle weniger unter Druck. Weil wir uns dann überlegen könnten, wie sich das Leben für uns persönlich am stimmigsten anfühlt, anstatt danach zu schielen, wie "man das macht".

Aber könnte es nicht auch sein, dass Sie Ihre eigene Weltsicht zu sehr auf andere übertragen?

Es ist doch eher andersherum: Eine mögliche Form des familiären Zusammenlebens – zwei Eltern mit ihren biologischen Kindern – gilt im Moment als die einzig richtige und wird auf alle Menschen übertragen.

Was setzt moderne Familien denn Ihrer Meinung nach unter Druck?

Die heterosexuelle Zweierbeziehung ist überfrachtet mit Erwartungen: Partner sollen sich leidenschaftlich lieben und gleichzeitig beste Freunde sein – und das über Jahrzehnte. Gleichzeitig soll der häusliche Alltag mit all seinen Routinen funktionieren. Noch nie in der Menschheitsgeschichte wurde so viel von Elternpaaren erwartet. Und wenn das Paar zerbricht, dann zerbricht in diesen Konstellationen in der Regel auch die Familie – zumindest glauben wir das. Das macht es für alle sehr schwer.

Dabei ist die drei- oder vierköpfige Familie, die wir für das klassische Modell halten, noch gar nicht so alt, oder?

Es ist ein vorherrschender Irrglaube, dass die Kleinfamilie eine natürliche, tief verankerte Anordnung ist und wir deswegen danach streben. Dabei ist das ein ziemlich neues Modell, das sich erst während der Industrialisierung herausgebildet hat. Meine These ist, dass es unseren Bedürfnissen als Menschen gar nicht so nahe kommt und deswegen auch oft so schwierig zu erhalten ist.

Wo liegen denn in Ihren Augen unsere wahren Bedürfnisse?

In 95 Prozent der Fälle haben wir im Laufe der Menschheitsgeschichte in größeren Verbänden aus mehreren Generationen zusammengelebt, die nicht zwangsläufig verwandt waren. Das gibt es ja heute noch in vielen Kulturen. Was diese Gruppen zusammenhält, ist das Gefühl, sich auf die anderen verlassen zu können. Es geht also um Kooperation – und nicht darum, sich einzuigeln.

Es kann doch auch schön sein, wenn man sagt: Unsere kleine Bubble reicht mir gerade.

Selbstverständlich. Aber es ist auch nicht falsch, das irgendwann wieder aufbrechen zu wollen. Als ich im Freundeskreis von meinem Buch erzählte, sagte ein junges Elternpaar sofort, dass es sie unglaublich erleichtern würde, wenn sie ihre Last auf mehr Menschen verteilten und sie das nicht als Einzelkämpfer machen müssten. Es gab auch andere, die meinten: Wir empfinden es als gute Form. Aber es ist eben weder natur- noch gottgegeben – nur darum geht es mir. Ich will niemanden angreifen.

Sie berichten in Ihrem Buch auch von Ihren Reisen nach Westafrika, die Ihre These stützen.

In Ghana zum Beispiel kümmern sich Tanten, Onkel, Großeltern in viel größerem Maße um Kinder als bei uns, auch große Geschwister fühlen sich für die kleineren mitverantwortlich. Das nimmt Druck von der Mutter, von der gerade hierzulande enorm viel erwartet wird.

Gibt es noch andere Beispiele aus anderen Kulturen, die Sie als augenöffnend empfunden haben?

Schaut man über den westeuropäischen Tellerrand hinaus, begegnen einem schnell andere Vorstellungen von Fürsorge und Verwandtschaft. Etwa die lateinamerikanische "compadrazgo", eine Art Co-Elternschaft: Erwachsene übernehmen die Verantwortung für die Kinder von Freunden. Nicht anstelle, sondern zusätzlich zu deren Eltern. Davon könnten wir uns doch inspirieren lassen. Auch als älterer Mensch ohne Kinder und Enkel ist man nicht verurteilt, einsam zu sein.

Kehren wir noch mal zu den Familien zurück, die unter dem Druck der Ideale zusammenbrechen. Ein Stressfaktor ist ja die Angst, die Kinder mit einer Trennung lebenslang zu traumatisieren. Aber auch da haben Sie eine andere Sicht.

Vorherrschender Glaube ist, dass man Kinder zwangsläufig schädigt, wenn die Eltern auseinandergehen. Worauf wir viel zu wenig schauen: Nur weil Mama und Papa noch zusammen sind, heißt das ja nicht, dass da zwangsläufig glückliche Kinder heranwachsen. Es gibt keine Untersuchungen darüber, wie viele Kinder unter der Kälte zwischen den Eltern leiden. Und um wie viel glücklicher alle Beteiligten sein könnten, wenn man sagt: Das geht so nicht mehr.

Sie sagen, es kommt allein darauf an, wie sich die Beziehung zwischen den Eltern gestaltet ...

Ja, wenn sie sich nach der Trennung besser verstehen als davor, dann ist das doch unbedingt zu begrüßen. Meine Eltern haben sich nie vor uns gestritten und uns immer signalisiert, dass wir nichts mit ihrer Trennung zu tun haben. Entscheidend ist, wie man miteinander umgeht und nicht, wie die Familie konstruiert ist. Unter Umständen kann eine respektvolle Trennung Kinder ja auch stark machen.

Wie das?

Im Buch beschreibe ich zum Beispiel diesen Moment auf meiner Abi-Feier, wo meine Eltern miteinander getanzt haben. Ich denke mit sehr warmen Gefühlen daran. Weil klar war: Man darf sich trennen, wenn man sich nicht mehr versteht. Und trotzdem glückliche Eltern und Freunde bleiben.

Sie bezeichnen das als "gelungene Beziehung". Und erzählen in Ihrem Buch von einem Freund, der zwei Nachbarskinder adoptiert hat und sich die Betreuung mit der leiblichen Mutter und einem älteren Freund teilt.

Ja, das ist für mich ein gutes Beispiel für eine gelungene Familie. Ich glaube, danach sollten wir streben, anstatt uns mit dem Ideal der "intakten" Familie zu stressen. Eine Patchwork-Sippe oder eine alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern kann genauso eine gelungene Familie sein wie Mama, Papa und zwei Kinder.

Auch Sie haben Ihr eigenes Modell gefunden: Sie leben inzwischen mit Ihrer besten Freundin und deren kleinem Sohn zusammen. Haben Sie noch einen Rat für andere Eltern?

Ich fände es schön, wenn mehr Menschen abseits der existierenden Muster denken würden. Wir haben das Privileg, uns aussuchen zu können, wie und mit wem wir unser Leben verbringen. Es steht nirgends geschrieben, dass man Kinder bekommen muss, wie eine Familie auszusehen hat oder dass man ein Paar sein muss, um Eltern zu sein. Das darf und sollte man alles mal hinterfragen. Und sich trauen, zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen.

1,5 Millionen

So viele Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern gab es 2018. Etwa 18 Prozent aller Kinder unter 18 leben mit einem Elternteil im Haushalt. In neun von zehn Fällen ist dies die Mutter. (Quelle: BMFSJ)

Persepktivwechsel

Der ganz normale Wahnsinn – und was die Kinder dazu sagen

Modell Alleinerziehend

Lennox, 15,

lebt zusammen mit seiner Mutter Imke, 41, und sechs Geschwistern von drei Vätern. Er ist das zweitälteste Kind der Familie und hat drei leibliche Schwestern (13 und Zwillinge, 11). Fritz und Frida (4 und 2) stammen aus der bisher letzten Partnerschaft seiner Mutter

Wie war’s früher?

Als ich noch kleiner war, sind wir oft alle zusammen auf dem Trampolin rumgehüpft. Oder ich habe mit Mamas Partner, der da noch bei uns gelebt hat, Fahrräder repariert, solche Sachen. Bis Corona kam, war bei uns viel los, zum Beispiel wenn auch noch Übernachtungsgäste von uns Kindern da waren. Die staunen manchmal schon.

Und heute?

Heute kommt die Familie mindestens einmal am Tag zusammen: um 19 Uhr zum Abendessen. Und weil es viel Arbeit macht, für acht Leute zu kochen, haben wir einen "Dienstplan". Ich räume oft den Geschirrspüler ein und aus, kann aber auch etwas kochen: Spiegeleier braten, Pizzateig belegen.

Wenn meine drei Schwestern sich streiten, dann sorge ich für Gerechtigkeit. Ab und zu ist Mama mal mit Fritz und Frida unterwegs, und die Mädchen wollen zum Beispiel einen Film ansehen, können sich aber nicht einigen. Ich werfe eine Münze, und sie nehmen das Ergebnis dann hin, auch wenn die Verliererinnen sich ärgern und ein bisschen weiter meckern.

Was wünschst du dir?

Wenn ich mal eine eigene Familie habe, würden mir auch zwei bis drei Kinder reichen. So gibt es immer viel zu organisieren, besonders für meine Mutter. Ich würde mich für sie freuen, wenn sie bald wieder einen Partner hätte.

Modell Patchwork

Eva, 13,

lebt zusammen mit ihrer Mutter Jana, 41, ihrer leiblichen jüngeren Schwester Clara, 8, und Rüdiger, 47, dem neuen Lebenspartner von Jana. Rüdiger hat ebenfalls zwei Kinder (14 und 18), die manchmal zu Besuch kommen. Außerdem haben Jana und Rüdiger vor Kurzem noch die kleine Ronja bekommen

Wie war’s früher?

Rüdiger und meine Mutter sind schon sieben Jahre zusammen. Die beiden haben sich in meinem Kindergarten kennengelernt. Am Anfang kam Rüdiger öfter zu Besuch, ich kannte ihn vom Sehen. Dann sagte Mama irgendwann, dass er zu uns ziehen würde. Da war ich sechs und meine kleine Schwester ein Jahr alt. So richtig bewusst habe ich das alles nicht mitbekommen.

Und heute?

Meinen Vater sehe ich viel seltener als Rüdiger, jedes zweite Wochenende und immer dienstags. Meine Schwester und ich fahren dann zu ihm – und teilen uns ein Zimmer in seiner Wohnung. So war das zumindest vor Corona, im Moment sehen wir uns öfter per Video Call. Wenn’s mal Streit gibt, dann meistens mit Mama und Rüdiger.

Was wünschst du dir?

Manchmal bin ich etwas neidisch auf meine kleine Schwester Ronja. Denn ihre Eltern, meine Mutter und Rüdiger, leben schließlich zusammen – und sind nicht getrennt wie meine. Ich mag das Leben in der Patchwork-Familie, zum Beispiel große Geburtstagsfeiern, zu denen dann auch Rüdigers Söhne und meine neuen Großeltern eingeladen sind. Da ist was los! Trotzdem wäre es schön, wenn wir ab und zu Zeit zu viert, also als alte Familie, verbringen könnten. Ich erinnere mich noch gut an die Urlaube in Indien und Sri Lanka.

Modell Regenbogen

Lena*, 14

lebt zusammen mit ihrer Mama Annemarie*, 54, und deren Lebenspartnerin Katja*, 58, die sie Mami nennt

Wie war’s früher?

So mit drei Jahren wollte ich unbedingt Geschwister haben – das habe ich sogar zu Weihnachten auf meinen Wunschzettel geschrieben. Hat aber leider nicht geklappt. Bis ich neun wurde – da haben unsere Nachbarn ein Kind bekommen, und ich durfte mich ein bisschen kümmern. Die Familie ist inzwischen umgezogen, aber wir besuchen sie ab und zu.

Und heute?

Manchmal, wenn wir neue Leute kennenlernen, dann finden die meine Familie wohl ungewöhnlich und sagen "Hey, du hast ja zwei Mütter!". Aber was soll ich dazu sagen, außer "Ja, hab ich."? Für mich ist das normal, ich kenne es nicht anders.

Neugier finde ich okay. Was mich nervt, ist, wenn sich jemand lustig macht. Das ist bisher aber nur einmal vorgekommen, als ich im Fußballlager war. Aber wenn mich jemand ärgern will, dann lasse ich mich nicht unterkriegen.

Meinen Vater kenne ich auch, er besucht mich ab und zu. Oder wir ihn. Für mich ist er eher wie ein guter Bekannter, dem ich Nachrichten schicke oder mit dem ich telefoniere, wenn ich Lust habe.

Was wünschst du dir?

Na ja, Geschwister werde ich wohl nicht mehr kriegen. Und ansonsten sind wir einfach eine wunderbare Familie!

*Namen geändert

Schon gewusst?

Rund 14 000

So viele Kinder leben in Deutschland in Regenbogenfamilien. Laut Bundeszentrale für politische Bildung gibt es etwa 9500 gleichgeschlechtliche Paare mit mindestens einem Kind.

7–13 Prozent

So lautet der vorsichtige Schätzwert des Bundesfamilienministeriums bei der Frage: Wie viele Familien in Deutschland leben eigentlich in einem Patchworksystem?

Wissenschaftlich betrachtet

Und was weiß die Forschung?

Tatsächlich ist "Familie" heute immer öfter ein individuelles und kreatives Projekt: Kinder haben zwei Mütter oder zwei Väter, leben mit Halbgeschwistern oder werden mithilfe von Samenspenden gezeugt. Die Frage, wie es ihnen damit geht, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel:

Von den Ressourcen der Menschen, die sich um das Kind kümmern

Patchworkfamilie, das klingt bunt, groß, laut und lustig. Stimmt auch oft. Trotzdem zeigt die Bildungsforschung, dass Kinder aus dieser Familienform – ebenso wie die Kinder von Alleinerziehenden – in der Schule offenbar häufiger Probleme haben als Kinder, die mit beiden biologischen Eltern zusammenleben. Grund dafür, so heißt es dann oft, seien "Ressourcen-Unterschiede". Der Soziologe Wolfgang Ludwig-Mayerhofer und sein Team haben mittels der Daten des Nationalen Bildungspanels (NEPS) versucht, herauszufinden, welche Ressourcen das sein könnten.

Das Ergebnis: Im Wesentlichen geht es um Zeit. Geld. Und Bildung.

Vor allem alleinerziehende Mütter, so die Untersuchung, haben einen niedrigeren ökonomisches Status – und wegen fehlender Entlastung oft weniger Zeit, etwa um den Kindern in der Schule zu helfen. Interessant: Lebten die Kinder überwiegend bei der Mutter, erzielten sie bessere schulische Ergebnisse, als wenn sie beim Vater lebten.

Häufig günstiger verteilt sind offenbar die Ressourcen in Familien, in denen zwei Mütter oder zwei Väter zusammenleben: In ihrem Bericht "Regenbogenfamilien in Deutschland" beziehen sich die Autorinnen Pia Bergold und Andrea Buschner auf eine Analyse von 33 Studien. Einige davon zeigen, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien sogar weniger Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme als Gleichaltrige aus heterosexuellen Familien haben. Einer der möglichen Gründe dafür könnte auch hier die ökonomische Situation sein: Der Bildungsgrad und das Nettoeinkommen der gleichgeschlechtlichen Paare war deutlich höher als das der heterogeschlechtlichen Eltern. Hinzu kommt: Schwule oder lesbische Paare können oft nur dann Eltern werden, wenn ihrer Familiengründung ein bewusster Prozess vorausgeht. Wer sind wir? Wie wollen wir uns zeigen? Wer gehört zu unserer Familie, wer nicht? Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen ist anspruchsvoll – kann die Verbundenheit und Konfliktfähigkeit innerhalb der Familie aber gerade deshalb auch stärken und ist damit wichtiger für die Entwicklung der Kinder als die sexuelle Orientierung der Eltern.

Von der Art, wie mit vorangegangenen Trennungen umgegangen wird

Viele Familienmodelle jenseits der klassischen Kleinfamilie entstehen nach Trennungen: Doch wie verkraften Kinder den Stress, den das fast immer mit sich bringt?

Eine Studie der Universität Bergen in Norwegen, bei der 1225 Jugendliche befragt wurden, kam zu dem Ergebnis: Die meisten psychischen und gesundheitlichen Beschwerden hatten Kinder, die den Kontakt zum Vater verloren hatten oder die es schwierig fanden, nach der Trennung der Eltern mit ihm zu sprechen. Dabei fiel offenbar vor allem Mädchen die Kommunikation mit dem Vater schwer. Hatten die befragten Kinder hingegen nach der Trennung ein gutes Verhältnis zu beiden Elternteilen, schien ihr Selbstwertgefühl oder die Gesundheit nicht beeinträchtigt zu sein.

Außerdem: Wenn getrennte Mütter und Väter neue Beziehungen eingehen, erhöht sich meist die Zahl der Kinder in der neuen Familie, was dazu führen kann, dass jedes einzelne Kind weniger Aufmerksamkeit oder Förderung bekommt oder auch Abstimmungsprozesse, zum Beispiel über Freizeitaktivitäten, viel Energie kosten.

Im besten Fall erleben Kinder aber, dass sie trotz der Trennung etwas gewinnen: Exklusivzeit mit dem getrennt lebenden Elternteil, weniger Beziehungsstreit – und vielleicht auch gleichaltrige Halbgeschwister, mit denen sie sich gut verstehen.

Vom Umfeld, in dem die Familie lebt

Je mehr eine Familie vom Vater-Mutter-Kind-Schema abweicht, desto mehr Aufmerksamkeit erregt sie – dies gilt vor allem für Regenbogen-, aber auch für Großfamilien.

Gerade in älteren Studien wie etwa der "Zur Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften" vom Staatsinstitut für Familienforschung der Uni Bamberg berichten Kinder aus Regenbogenfamilien auch von Diskriminierung, Hänseleien und Mobbing.

Doch die westlichen Gesellschaften werden, wenn auch langsam, toleranter gegenüber neuen Familienformen. Vor allem das Recht, heiraten zu dürfen, stärkt die soziale Anerkennung homosexueller Familien.

So zeigt eine US-Studie von Diederik Boertien und Fabrizio Bernardi aus dem Jahr 2018, dass die nachlassende Diskriminierung schwuler und lesbischer Familien in vielen Ländern positive Auswirkungen auf die Schulleistungen der Kinder hat – und dass sie auch seltener gemobbt wurden. Konnten die Eltern von Anfang an offen zu ihrer sexuellen Orientierung stehen, belasteten Trennungen von früheren heterosexuellen Partnern die Familien deutlich weniger.

Ob und wie über die Herkunft gesprochen wird

Unabhängig davon, in welcher Familienform Kinder aufwachsen – wichtig für ihre psychische Stabilität ist es, dass sie sich mit ihrer Lebensgeschichte auseinandersetzen können.

Wo komme ich her, wer ist mein biologischer Vater, meine biologische Mutter? Schon im Fall einer Adoption ist die Situation komplex, in Regenbogenfamilien kommen Familiengründungen durch Samenspende oder – jenseits von Deutschland – Leihmutterschaft hinzu. Um keine Verwirrung zu stiften und das Kind nicht zu belasten, haben die Erwachsenen früher oft geschwiegen. Heute weiß die Wissenschaft: Kinder spüren die Leerstellen in der eigenen Geschichte intuitiv. Sie wachsen dann mit dem vagen Gefühl auf, dass irgendwas nicht stimmt. Psychologen raten deshalb zu einem offenen Umgang: Möglichst früh sollte man Kindern – in einer Form, die ihrem Alter entspricht – die eigene Geschichte erzählen. Allerdings fehlen für diese Geschichten oft die passenden Begriffe.

Wie erklärt man einem Kita-Kind, dass es einen biologischen Samenspender-Vater hat – und einen sozialen "Anfasspapa" zu Hause. Wer ist gemeint, wenn das Kind eines lesbischen Paares "Mama!" ruft? Wie fühlt sich der neue Partner einer Mutter, wenn er als "Stiefvater" vorgestellt wird? Und was sagt er dann? "Felix und Maja sind meine Bonuskinder"?

Viele Familien finden dafür ihre eigenen Lösungen, doch die fehlenden Begriffe zeigen auch, dass unsere Gesellschaft offenbar Nachholbedarf hat, neue Familienformen – gedanklich wie sprachlich – in unser aller Bewusstsein zu integrieren.

Wie sag ich’s?

Wunschkinder, die durch Samenspende entstanden sind, leben überall – bei Solo-Müttern, lesbischen Paaren, in "Normalfamilien“. Je nach Hintergrund haben die Kinder andere Geschichten und Fragen, die die Bücher von Petra Thorn beantworten. Bei der Auswahl auf den Titel achten: "Die Geschichte unserer Familie" gibt es für Kinder heterosexueller und lesbischer Eltern. "Unsere Familie" richtet sich an Solo-Mütter (FamART, Preise variieren).

ELTERN

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