VG-Wort Pixel

Familienplanung Nachzügler: Wenn die Mutter noch mal schwanger wird

Ob geplant oder unverhofft – Nachzügler mischen die Familie auf. Wie sehr sich das Leben für alle Familienmitglieder durch eine erneute Schwangerschaft der Mutter ändert, erzählen hier Eltern und Kinder.

Manuel - das Maskottchen

Familienplanung : Nachzügler: Wenn die Mutter noch mal schwanger wird
© Lacheev / iStock

"Schwanger - ein Schock! Ich hatte das Gefühl, auf dem Bahnhof zu stehen und der Zug ins Glück rast an mir vorbei!" Marion von Mettenheim war 40 und in Aufbruchstimmung. Ihre drei Kinder, Emilia, damals sechs, und die beiden Söhne Maxim und Moritz, elf und 13, waren bereits relativ selbstständig. Und Marion von Mettenheim hatte sich gerade für ein Zusatzstudium in Sonderschulpädagogik eingeschrieben.

Doch als es losgehen sollte, wurde ihr ein Winzling auf dem Ultraschallbild präsentiert. "Wir schaffen das", tröstete sie ihr Mann. Lieb gemeint, aber aus Erfahrung wusste die Mutter von drei Kindern, dass er ihr nur sporadisch würde helfen können. Als Beamter im Auswärtigen Amt ist er viel unterwegs. Ein Anruf aus dem Ausland kann zwar trösten, aber kein schreiendes Baby beruhigen, Emilia aus dem Kindergarten abholen oder den Buben beim Aufsatz helfen, während sie eine Klausur vorbereiten musste.

Die sonst immer so zupackende Marion von Mettenheim zögerte und zauderte erst, doch dann entschied sie: "Ich will es!" Mit Baby-Bauch besuchte sie die ersten Vorlesungen. Manuel wurde geboren und eroberte als "Klein-Uedi" sofort die Herzen aller.

Wie reagieren elf- und 13-jährige Jungen auf ein Baby? Einmal am Tag "duzi, duzi" und dann ab zum Fußball, möchte man denken. Moritz und Maxim aber waren begeistert. Sie legten Klein-Uedi neben sich, während sie Hausaufgaben machten, wechselten die Windeln oder gaben Fläschchen. Uedi wurde zu ihrem Maskottchen, das sie mit sich herumschleppten.

Die große Unterstützung durch ihre Söhne, aber auch ein gut funktionierendes Netz von Freundinnen halfen Marion von Mettenheim, die tägliche Herausforderung durch vier Kinder plus Studium zu bewältigen. Jede Minute des Tages war ge- und verplant, unerwartete Zwischenfälle brachten ihre Pläne jedoch immer wieder durcheinander. Kleine Katastrophen, die mit der Hilfe von Freundinnen ausbalanciert wurden, und größere wie ihre Hüftoperation. Zwei Koffer mit Unterlagen für ein Referat schleppte eine Freundin für Marion von Mettenheim ins Krankenhaus. Bei ihrer Entlassung hatte sie das Referat fertig,

Mittlerweile, zwölf Jahre später, unterrichtet sie an einer Schule für Sonderpädagogik in Berlin. Maxim und Moritz haben eigene Wohnungen, Emilia bereitet sich auf ihr Abitur vor. Demnächst wird Uedi, als Letzter der vier, allein mit seinen Eltern nach Moskau ziehen.

"Heute bin ich sehr froh, dass ich mich damals für Job und Baby entschieden habe", sagt Marion von Mettenheim. "Ich genieße beides und fühle mich dank Uedi noch immer jung. Ohne ihn würde jetzt ein ganz anderer Lebensabschnitt beginnen."

Manuel, elf Jahre: "Große Geschwister sind - meistens - Klasse. Sie bringen mir Schokolade mit, manchmal darf ich sogar bei einem meiner Brüder übernachten. Allerdings sollte man ältere Geschwister nie ärgern, das ist gefährlich. Doof finde ich auch, dass sie immer über einen bestimmen wollen. Aber daran kann man wohl nichts ändern."

Mara - das Wunschkind

Maren darf ihrer Schwester zuliebe nicht ihre eigene Kindheit verlieren

Gudrun Witte (heute 38) war skeptisch. "Mitte 30 wird man nicht mehr auf Knopfdruck schwanger!" Sie hatte Recht. Erst zwei Jahre später kann sie die frohe Botschaft verkünden - Marco Witte ist gerührt, Tochter Maren (heute zehn Jahre alt) außer sich vor Freude. Parallel zum "Projekt Wunschkind" erfüllten sich Wittes ihren Traum vom eigenen Haus. Acht Wochen vor dem Termin wurde Mara - beinahe zwischen Umzugskisten - geboren.

Mit einem Schlag veränderte sich das Leben von Maren völlig. Keine ungeteilte Aufmerksamkeit mehr. Stattdessen ist ihre Mutter ständig auf dem Sprung: Entweder braucht Baby Mara oder brauchen die Handwerker sie. Gudrun und Marco Witte fürchteten Eifersuchtsdramen und wilde Revolten. Doch das Gegenteil ist der Fall. Glückselig steht Maren an der Wiege.

Die Umstellung klappt sicher deshalb so gut, weil es Gudrun Witte gelingt, Maren nicht aus den Augen zu verlieren. Nach Maras Geburt wollte und durfte Maren zum Beispiel wieder im Bett ihrer Eltern schlafen.

Ruhige Minuten nutzt Gudrun Witte zum vertrauten Gespräch mit ihrer großen Tochter. "Hässliche Gefühle" wie Eifersucht werden dann offen zur Sprache gebracht. Maren spürt, dass sich am innigen Vertrauensverhältnis zu ihrer Mutter nichts geändert hat. "Auf keinen Fall soll der Altersunterschied von zehn Jahren zwischen Maren und Mara dazu führen, dass ich in Maren jetzt eine Beinahe-Erwachsene sehe, die mit mir zusammen das Baby aufzieht. Maren darf ihrer Schwester zuliebe nicht ihre eigene Kindheit verlieren", betont Gudrun Witte.

Die Anstrengungen der vergangenen acht Monate sind ihr nicht anzumerken. Im Gegenteil! Glücklicher denn je sagt sie: "Mara ist für uns alle ein wunderbares Geschenk, über das wir uns jeden Tag aufs Neue freuen!"

Maren, zehn Jahre: "Wenn ich traurig bin, lege ich mich zu Mara auf die Krabbeldecke, kitzle sie, und dann lachen wir beide. Ich bin froh, dass ich kein Einzelkind mehr bin. Früher war ich immer an allem schuld. Bald wird Mara mehr Unsinn machen als ich."

Viktoria - der Wirbelwind

Eine Mutter mit dickem Babybauch - wie peinlich!

Viktoria hat das Leben ihrer Familie schon mehrfach auf den Kopf gestellt. Das erste Mal bereits vor ihrer Ankunft. Claudia und Steffen Lawrenz waren beide 40, die Töchter Christina und Svenja zwölf und zehn Jahre alt. Das Familienleben bewegte sich in runden Bahnen. Sie genossen das Stadtleben, die geringen Entfernungen: zur Polizeistation, wo Steffen Lawrenz als Polizist arbeitete, zum Miniclub, in dem Claudia Lawrenz als Erzieherin Kleinkinder betreute, zur Schule der beiden Mädchen.

Die freudige Gratulation ihres Frauenarztes löste bei Claudia Lawrenz denn auch Erschrecken aus: "Warum jetzt?", fragte sie sich. Früher, als Svenja noch ein Kleinkind war, hatte sie sich sehnlichst ein weiteres Kind gewünscht. Doch erst zögerte ihr Mann, dann erlitt sie zwei Fehlgeburten. Das nahm sie als Zeichen. "Es soll nicht sein!" Sie fügte sich, absolvierte eine Ausbildung zur Montessori-Erzieherin, konkretisierte ihre beruflichen Pläne. Sie konnte die unverhoffte späte Schwangerschaft nicht fassen.

Und die anderen? Während ihr Mann Steffen und auch Tochter Svenja die Nachricht vom Familienzuwachs mit großer Freude aufnahmen, reagierte die damals zwölfjährige Christina mit Wutausbrüchen. Eine Mutter mit dickem Babybauch - wie peinlich! Babygeschrei statt Teenie-Partys! Und dann auch noch der Umzug an den Stadtrand Berlins. Ein Garten mit Sandkasten war plötzlich wichtiger als die nächste U-Bahn-Station.

Christina motzte und maulte, bis auf dem Ultraschallbild ein richtiges Baby zu erkennen war. Von diesem Moment an freute sie sich auf den Neuankömmling, sie beteiligte sich an der Namenssuche und setzte ihren Vorschlag durch: Viktoria, die Siegerin.

Viktoria kam - und sie siegte! Svenja schmuste mit ihr auf der Krabbeldecke, alle wetteiferten darum, wer "Törchen" versorgen durfte. Bis "Törchen" zwei wurde und ihre Kräfte entdeckte. Selbst noch nicht mal einen Meter hoch, zwang sie die Großen in die Knie. Lief etwas nicht nach ihrem Willen, brüllte sie los. Laut und erbarmungslos.

Gleichzeitig kam die mittlerweile zwölfjährige Svenja in die Pubertät: Türen knallten, böse Worte fielen, Zornesausbrüche waren an der Tagesordnung. "Unsere Nerven lagen blank", erinnert sich Claudia Lawrenz, und Svenja berichtet: "Es war immer Stress! Irgendeiner brüllte fast immer!"

Die Großeltern erwiesen sich als Retter in höchster Not, in dem sie Viktoria nachmittags oder auch mal über Nacht zu sich nahmen.

Die Lösung aber brachte ein Sommerurlaub mit getrenntem Erziehungsprogramm: Svenja reiste zu ihrer Tante, erhielt dort viel Zuwendung, hörte aber auch manch ernstes Wörtchen; Christina nahm an einer Freizeit teil, und an Klein-Viktoria wandten ihre Eltern ein Lehrprogramm in Sachen Konsequenz an:

Kaum waren die Schwestern aus dem Haus, herrschten andere Sitten. Wenn Viktoria sich weigerte, ihre Schuhe anzuziehen, blieb sie eben barfuß in der Küche stehen, und Mama ging allein los.

Das war nur möglich, weil Papa auch daheim war. "Im Alltag tickt die Uhr, man muss aus dem Haus, kann das Kind nicht allein lassen, und schon säuselt man Besänftigungsmelodien, statt konsequent durchzugreifen." Sehr bald schon erkannte Viktoria, dass ihre Machtspiele keine Chance mehr hatten.

Trotzdem fällt der Spagat zwischen den beiden flügge werdenden Töchtern und ihrem willensstarken Nachzügler auch der ausgebildeten Erzieherin Claudia Lawrenz bis heute nicht leicht. Aber "mit vier ist Land in Sicht", stellt sie erleichtert fest.

Christina, 17 Jahre: "Als Viktoria noch im Kinderwagen lag, hat mir eine Apothekerin mal ein Heft über Babynahrung für 'mein Kind' in die Hand gedrückt. Eine merkwürdige Situation! Seit mein Freund auch einen kleinen Halbbruder hat, gehen wir häufig mit unseren kleinen Geschwistern spazieren."

Svenja, 14 Jahre: "Früher habe ich mir immer ein Geschwisterchen gewünscht. Ich wollte nie die Jüngste sein. Jetzt spiele ich zwar manchmal gern mit Viktoria, aber dass eine kleine Schwester so viel Stress machen kann, hätte ich nie geglaubt."


Mehr zum Thema