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Gefährlicher Kindertraum Model Kinderpsychiater: "Wir leben in einem narzisstischen Zeitalter."

Kindertraum Model werden: "Wir leben in einem narzisstischen Zeitalter."
Der Traum, Model oder Influencer:in zu werden, ist für viele unrealistisch - und gefährlich.
© Roman Samborskyi / Shutterstock
Influencer:innen und Formate wie "Germany’s Next Topmodel" versprechen Jugendlichen eine Welt, die es so nicht gibt. Wie gefährlich – und unrealistisch – der Wunsch, Model oder Influencer:in zu werden wirklich ist, klären Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort und Modelagent Marco Sinervo auf.

"Es ist besorgniserregend, was da bei 'Germany’s Next Topmodel' passiert. Es wird ein vollkommen falsches Bild meiner Branche vermittelt", erzählt der Chef einer Modelagentur und Autor Marco Sinvervo bei der Vorstellung seines Buchs "Fame vs. Fake: Wie das Geschäft von Models und Influencern wirklich läuft. Der Chef von Deutschlands größter Modelagentur erzählt". Dort gewährt er Leser:innen einen Einblick hinter die Kulissen der Modelbranche – und wie wenig diese mit Formaten wie GNTM zu tun hat. 

An seiner Seite sitzt Prof. Dr. med. Michael Schulte-Markwort, Gründer der Kinderheilpraxis Paidion und ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Marzipanfabrik. In seiner Arbeit als Kinder- und Jugendpsychiater ist der "Traumberuf" Model oder Influencer:in auch in seinen Sitzungen ein Thema. Beide verdeutlichen im Talk zur Buchveröffentlichung, was an den Berufswünschen und -vorstellungen der Kinder und Jugendlichen so gefährlich ist – und wie Eltern richtig mit Formaten wie GNTM und Social-Media-Plattformen wie Instagram umgehen.

"Mit 'Diversity' ist sicherlich nicht gemeint, dass jede:r Model werden kann"

Wer Formate wie GNTM schaut, könnte das Gefühl bekommen, dass der Traum vom Modeln jedem Menschen offen stünde. Dass dem nicht so ist, betont Sinvervo sehr deutlich: "Viele junge Mädchen sind angefixt von der Idee von 'Diversity', die GNTM vermittelt. Dabei ist diese Idee vollkommen fehlleitend. Formate wie GNTM verkaufen Diversity als ein 'Wir machen alles möglich'-Versprechen – zum Beispiel in Bezug auf Größe und Gewicht." Dabei hätten sich die Anforderungen der Branche in Bezug auf solche körperlichen Eigenschaften in den letzten Jahrzehnten nicht verändert. "Das muss hier ganz klar gesagt sein."

"Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Top 10 der bestbezahlten Models nahezu allesamt weiß sind. Das ist sicherlich ein trauriger Fakt – aber es ist nun einmal ein Fakt."

Ohnehin würde der Begriff "Diversity" in einem vollkommen falschen Kontext verwendet werden, so der Modelagent weiter. "Diversity meint unter anderem kulturelle Vielfalt, unterschiedliche Nationalitäten … damit ist sicherlich nicht gemeint, dass jede:r Model werden kann." Man müsse sich auch darüber im Klaren sein, dass die Top 10 der bestbezahlten Models nahezu allesamt weiß seien. "Das ist sicherlich ein trauriger Fakt – aber es ist nun einmal ein Fakt."

"Wir leben in einem narzisstischen Zeitalter"

Spätestens, wenn sich jemand bei einer Modelagentur bewirbt, wird deutlich, wie hart umkämpft der Markt wirklich ist. "Bei uns gehen jeden Monat 500 bis 600 Bewerbungen ein, davon laden wir vielleicht zwei ein", sagt Sinvervo im Intervidew mit Express. Woher kommt dann die ungebrochene Faszination für den Beruf Model oder Influencer:in? Für Kinder- und Jugendpsychiater Schulte-Markwort liegt die Antwort auf der Hand: "Gerade Mädchen wachsen mit Märchen auf, in denen das einzige weibliche Attribut ist, die 'Schönste' oder die 'Bedeutendste' zu sein." Es sei wichtig, dass Mädchen beim Aufwachsen lernen würden, so der Psychiater im Talk, "auf diesen ungesunden Traum und auf diese gefährliche Märchenvorstellung zu verzichten".

Für den Aufbau des Selbstwerts nutzt der:die Einzelne unterschiedliche Möglichkeiten – Influencer:in oder Model zu werden, ist eine davon.“

Letzten Endes würden beide Berufe – Model und Influencer:in – als (psychologisch generell notwendige) "narzisstische Zufuhr" dienen. Es ginge dabei immer um den Selbstwert und die Frage, wie er bei einem Individuum entsteht. "Für den Aufbau des Selbstwerts nutzt der:die Einzelne unterschiedliche Möglichkeiten – Influencer:in oder Model zu werden, bzw. diesem Traum nachzugehen, ist eine davon." Mit dem Berufswunsch sind einige Gefahren verbunden: Zum einen ist nicht allen Menschen klar, wie stark die Berufe auf psychische und physische Weise fordern. Influencerin Charlotte Kurth macht die hohen Anforderungen in einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland deutlich: "Jedes Mal, wenn ich Instagram öffne, arbeite ich. Ich bin jederzeit erreichbar, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche." Ihr Arbeitsalltag bestünde daraus, Fotos zu planen, Texte zu schreiben, Kooperationen mit Firmen zu besprechen oder auf Nachrichten zu Antworten. Im Schnitt erhalte sie rund 500 Anfragen pro Tag.

Ebenfalls problematisch ist die stetige Bewertung des Äußeren, die in beiden Berufen alltäglich ist. Schließlich ist nicht jeder Kommentar auf Social Media wertschätzend, was Kompetenzzentren wie "Hass im Netz" notwendig macht, die Aufklärung und Hilfestellungen gegen Hate Speech und Mobbing im Internet bieten. "Kinder sind – auch – durch die Erziehung sensibler geworden und durch die Zeit, in der wir leben", erklärt Schulte-Markwort. "Wir befinden uns in einem 'narzisstischen Zeitalter', in dem der Traum der Schönheit stark prägt. Dadurch sind wir gleichsam auch kränkungsempfindlicher", sagt Schulte-Markwort.

Was Eltern tun können

Elternteile stehen Formaten wie GNTM und realitätsfernen Berufswünschen nicht hilflos gegenüber. Wenig hilfreich sei es allerdings dabei, solche Formate zu verteufeln oder gar zu verbieten. "Verbote machen das Verbotene im Zweifel nur interessanter für die Jugend", so der Psychiater. Vielmehr müsse es darum gehen, die Kinder beim Konsumieren solcher Formate zu begleiten "und vor allem zu erklären, was dort gezeigt wird." Besonders erwarte er von Vätern, dass sie an der Seite ihrer Töchter sitzen und Sendungen wie "Germany’s Next Topmodel" einordnen.

"Es ist ungemein wichtig, die Kinder medienkompetent zu erziehen."

Für Schulte-Markwort sei die Fotooptimierung von Instagram-Bildern und das damit verbundene unrealistische Schönheitsideal "ein schreckliches Thema". Vielen Jugendlichen unter 16 sei gar nicht klar, dass diese Bilder nicht echt sind. Gleiches gilt für viele Videos auf der Social-Media-Plattform TikTok, bei der Videoaufnahmen durch einen Filter verzerrt werden können. "Es ist ungemein wichtig, die Kinder medienkompetent zu erziehen", sagt er zu dem Thema. 

Das koste Zeit und Aufwand, den sich Eltern nicht immer nehmen würden. "Dabei ist es so wichtig, mit den Kindern partizipierend und respektvoll über Medien und dessen Konsum und Nutzung zu sprechen." Ein Kind sei mit dem Rechner und dem Handy allein – und ebenso, wenn es ein Foto schießt und das hochlädt. "Nur wenige haben eine Vorstellung davon, wie viele Menschen diese Bilder nach dem Hochladen sehen können. Hierfür braucht es Erfahrung", so Schulte-Markwort. Deswegen müssen Eltern begleiten – was er zumindest im Rahmen seiner Arbeit nicht immer sieht. "Ich beobachte, dass Eltern eine gewisse Resistenz haben, wenn es um das Thema Medienkonsum bei ihren Kindern geht. Wenn mir ein Elternteil in der Sitzung sagt, der Sohn würde 'Etwas an der Konsole spielen', dann frage ich, was es denn genau sei und höre oft: 'Irgendwas.' Und meine Antwort ist dann immer: 'Machen Sie sich schlau!'"

Verwendete Quellen: Buch-Talk "Fame vs. Fake", rnd.de, express.de, hass-im-netz.info

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