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Kinderwunschbehandlung ICSI: Chancen und Risiken der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion

ICSI unterm Mikroskop
© man_at_mouse / iStock
Liegt die Hauptursache der Unfruchtbarkeit beim Mann, ist eine ICSI-Behandlung häufig die einzige Chance auf ein leibliches Kind. Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion hilft langsamen Samenzellen auf die Sprünge. Denn das Spermium wird bei dieser Methode der Kinderwunschmedizin direkt in die Eizelle injiziert. Wir erklären die Details.

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Wofür steht ICSI?

Die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) ist neben der IVF eine der am häufigsten durchgeführten Behandlungen der künstlichen Befruchtung. Die auch Mikroinsemination genannte Methode wird eingesetzt, wenn zu wenig befruchtungsfähige Spermien vorhanden sind oder die Spermien zu träge sind, um eine Eizelle aktiv zu befruchten. Die durch eine Punktion der Eierstöcke entnommenen Eizellen werden dabei unter dem Mikroskop gezielt mit jeweils einem einzelnen Spermium befruchtet. Entwickeln sie sich weiter, werden sie in die Gebärmutter übertragen. Ob sich ein oder mehrere Embryonen dort mit Erfolg einnisten konnten, zeigt dann 14 Tage später ein Schwangerschaftstest.

Kinderwunschbehandlung: ICSI: Chancen und Risiken der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion

Was ist der Unterschied zu einer IVF

Das ICSI-Verfahren ist eine Weiterentwicklung der IVF-Behandlung. Die hormonelle Stimulation, die Entnahme der reifen Eizellen und das spätere Einsetzen der Embryos in die Gebärmutter sind gleich. Der Unterschied besteht in der Methode der Befruchtung. Bei der In-vitro-Fertilisation werden lediglich männliche und weibliche Keimzellen in einer Glasschale zusammengebracht. Die Spermien müssen die Eizellen jedoch selbständig befruchten. Bei der ICSI übernimmt diesen Akt ein Mediziner. Dabei wird das Spermium im IVF-Labor direkt in die Eizelle gespritzt.

Wie ist der Ablauf einer ICSI?

Spermiogramm: Das Sperma des Mannes wird unter einem speziellen Mikroskop untersucht. Das Spermiogramm zeigt, wie viele Samenzellen im Ejakulat vorhanden sind, ob es sich um bewegliche Spermien handelt, welche Form sie haben und ob Infektionen vorliegen. Sind zu wenig Spermien vorhanden, können auch direkt aus dem Hodengewebe Samenzellen gewonnen werden.
Hormonelle Stimulation: Die Stimulation der Eierstöcke durch die Gabe hochdosierter Hormonpräparate übernimmt die Frau heute in der Regel selbst. Dazu gibt es leicht zu handhabende Einwegspritzen, sogenannte Pens, in denen die notwendige Dosis schon enthalten ist. Durch regelmäßige Ultraschalluntersuchungen und Bluttests wird kontrolliert, ob und wie viele Eibläschen sich in den Eierstöcken bilden.
Punktion: Durch die Gabe eines weiteren Hormons wird künstlich der Eisprung ausgelöst. Die reifen Eizellen werden in einem operativen Eingriff durch die Scheide mit Hilfe einer Ultraschallsonde aus den Eierstöcken abgesaugt. Die Punktion geschieht in der Regel unter einer kurzen Vollnarkose und ambulant. Im Durchschnitt werden 10 bis 12 Zellen entnommen.
Befruchtung: Aus dem durch Masturbation oder TESE (testikuläre Spermienextraktion) gewonnenen Samenzellen werden einzelne Spermien ausgewählt. Unter einem Mikroskop wird dann je eine Samenzelle direkt in eine Eizelle injiziert. Aus diesem Grund heißt die Methode auch Intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Wenn möglich, werden mehr befruchtet als später eingesetzt werden, da unklar ist, wie viele sich weiterentwickeln.
Transfer: Ist die Befruchtung geglückt und die Eizellen teilen sich erfolgreich weiter, können zwei bis drei Tage später die entstandenen Embryonen in die Gebärmutter übertragen werden. Der Eingriff ist in der Regel schmerzlos und findet ohne Narkose statt. Pro ISCI-Versuch werden in der Regel zwei eingesetzt, um die Erfolgsrate zu erhöhen. Nach 14 Tagen zeigt ein Schwangerschaftstest, ob der Transfer erfolgreich war.

Wie groß sind die Erfolgschancen?

Die ICSI-Methode räumt dem Spermium das größte Hindernis aus dem Weg. Es muss die Eihülle nicht selbst durchstoßen, sondern bekommt durch die Injektion freie Fahrt direkt in die weibliche Keimzelle. Doch auch wenn beim Einspritzen des Spermiums sehr selten etwas schiefgeht, birgt die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion ähnliche Chancen und Risiken wie eine In-vitro-Fertilisation. Die Schwangerschaftsrate liegt durchschnittlich bei 20 Prozent. Ob ICSI im Einzelfall Erfolg hat und die Frau schwanger wird, liegt an einer Vielzahl von Faktoren.
Neben dem Alter der Frau und dem allgemeinen Gesundheitszustand (Ernährung, Medikamente, Gewicht, Alkoholkonsum) der Partner, ist die Qualität der Keimzellen von zentraler Bedeutung für eine Schwangerschaft. Liegen in Eizelle oder Spermium Chromosomenanomalien vor, führt auch die direkte Befruchtung in der Regel nicht zum Erfolg. Die Natur sorgt im nächsten Schritt häufig dafür, dass sich die befruchtete Eizelle in diesem Fall nicht weiter teilt, sich nicht in der Gebärmutter einnistet oder die Mutter den sich nicht weiterentwickelnden Embryo durch eine Fehlgeburt verliert.
Paare, die über eine Intrazytoplasmatische Spermieninjektion nachdenken, sollten sich daher in der Kinderwunschklinik neben der Schwangerschaftsrate auch nach der sogenannten Baby-Take-Home-Rate (BTHR) erkundigen. Sie gibt Auskunft über die Zahl der geborenen Kinder nach einer künstlichen Befruchtung. Auch hier ist es sinnvoll, sich die BTHR in Anhängigkeit vom Alter der Frau anzuschauen, um die Aussichten auf diesem Weg schwanger zu werden realistisch einschätzen zu können.
Bei ungewollter Kinderlosigkeit ist ICSI in Deutschland im Vergleich zur IVF mittlerweile die häufiger angewandte Methode. In 2014 kam sie bei fast 75 Prozent aller künstlichen Befruchtungen zum Einsatz.

Welche Voraussetzungen müssen für eine Behandlung erfüllt sein?

Ebenso wie bei der IVF, muss das Alter der Frau zwischen 25 und 40 Jahre, das des Mannes zwischen 25 und 50 Jahre sein. Beide müssen verheiratet sein oder in einer festen Partnerschaft zusammenleben (die gesetzliche Krankenversicherung zahlt nur bei verheirateten Paaren einen Teil der Kosten). Außerdem muss von beiden Partnern ein negativer HIV-Test vorliegen.
Eine ICSI wird in der Regel dann durchgeführt, wenn eine Behandlung mit IVF keinen Erfolg hatte oder schon aufgrund der Voruntersuchungen deutlich wurde, dass die Chancen durch eine In-vitro-Fertilisation ein Kind zu bekommen gering sind.
Paare mit Kinderwunsch, die schon beim ersten Versuch eine ICSI-Behandlung statt einer IVF favorisieren, weil sie sich dadurch eine größere Chance auf ein Kind erhoffen, werden häufig an den Vorgaben der Krankenkassen scheitern. Denn welche Behandlungsart indiziert ist, entscheidet nicht das Kinderwunschpaar. Die gesetzliche Krankenkasse wird nur dann die Hälfte der Behandlungskosten übernehmen, wenn eine Reihe von genau definierten medizinischen Gründen vorliegen.
Welche das sind, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen. Seit Juni 2017 ist eine neue Richtlinie in Kraft, in der Änderungen der Untersuchung der männlichen Fertilität im Vorfeld einer Kinderwunschbehandlung festgelegt wurden. Das ist neu:

  • Wurden zuvor 12 Wochen Abstand zwischen zwei Spermiogrammen gefordert, entfällt diese Frist nun. Die Spermiogramme müssen nach WHO-Richtlinien erstellt werden.
  • Der Arzt muss eine schwere männliche Fertilitätsstörungdiagnostizieren. Dabei werden keine Grenzwerte für die Beurteilung des Spermiogramms genannt.
  • Die Untersuchung eines Urologen ist nicht mehr ausreichend. Vor der Erstellung eines Kostenplans ist eine Untersuchung durch einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung Androloge notwendig.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die neue Richtlinie auswirkt. Zwar wurde einerseits der Spielraum der behandelnden Ärzte bei der Beurteilung der Schwere der männlichen Unfruchtbarkeit größer. Andererseits kann die Notwendigkeit einen Andrologen aufzusuchen für Paare mit Kinderwunsch zu einer Zeitverzögerung führen, da es noch verhältnismäßig wenig Ärzte dieser Fachrichtung in Deutschland gibt.

Welche Kosten übernehmen die Kassen?

Die Kosten einer künstlichen Befruchtung bringen viele kinderlose Paare an ihre finanzielle Schmerzgrenze. Eine ICSI-Behandlung kostet rund 4000 Euro pro Versuch. Wurden mehr Eizellen gewonnen, als für den ersten Versuch genutzt wurden, kommen Kosten für die Kryokonservierung der Keimzellen für kommende Versuche (zwischen 300 und 500 Euro) hinzu.
Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen in der Regel 50 Prozent der Kosten für höchstens drei Versuche. Einige Krankenkassen werben für höhere Prozentsätze oder die Übernahme von mehr als drei Transfers. Hier lohnt es sich, ganz genau hinzuschauen und die eigene Kasse mit anderen zu vergleichen. Welche Kosten private Kassen übernehmen, ist von Versicherer zu Versicherer verschieden. 
Damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt, muss ein Antrag auf Kostenübernahme erstellt und genehmigt werden. Dieser sogenannte Behandlungsplan wird von dem behandelnden Reproduktionsmediziner erstellt und dann bei der Krankenkasse eingereicht.

Mit welchen Risiken muss man rechnen?

Die Risiken einer ICSI-Behandlung decken sich weitgehend mit den möglichen Nebenwirkungen anderer Verfahren der künstlichen Befruchtung.
Die hormonelle Stimulation der Frau kann zu einer deutlichen Überfunktion der Eierstöcke (Ovarielle Hyperstimulationssyndrom (OHSS)) führen. Werden mehrere Embryonen in die Gebärmutter eingebracht, erhöht sich das natürliche Risiko einer Mehrlingsschwangerschaft (etwa 20 bis 30 Prozent bei IVF und ICSI). Kommt es nach einer ICSI zu einer Schwangerschaft, verläuft sie in der Regel normal, auch wenn das Risiko einer Fehlgeburt leicht erhöht ist.
Viele Paare vergessen im Vorfeld, dass bei einer Kinderwunschbehandlung nicht nur der Körper belastet ist. Die ganze Situation ist auch eine große Bürde für die Seele und ein Härtetest für viele Beziehungen. Spätestens nach dem zweiten oder dritten missglückten Versuch, ist es Zeit, über Alternativen zur Kinderwunschmedizin zu sprechen. Auch Pflege oder Adoption kann der Weg zu einem Wunschkind sein.

Was passiert mit den überzähligen Keimzellen?

Bei der ersten Behandlung werden häufig mehr Eizellen punktiert als später befruchtet. Die überzähligen Eizellen und Spermien werden mit der jeweiligen Einwilligung von Mann und Frau in flüssigem Stickstoff eingefroren. Der große Vorteil: Sollte die Frau nach dem ersten Mal nicht schwanger werden, ist für den zweiten Transfer keine weitere Hormon-Stimulation notwendig. Allerdings können von der Kryokonservierung nicht alle Frauen profitieren, da nicht immer ausreichend befruchtungsfähige Eizellen für mehrere Transfers gewonnen werden können.

Was ist die PICSI-Methode?

Die Abkürzung steht für physiologische ICSI und beinhaltet eine erweiterte Voruntersuchung der Spermien. Während bei einer normalen ICSI auf die äußere Form, Schnelligkeit und Beweglichkeit der männlichen Keimzellen geachtet wird, wird bei PICSI zusätzlich getestet, ob das für die Injektion ausgewählte Spermium einen Hyaluronsäurerezeptor aufweist. Dieser Rezeptor sorgt bei einer natürlichen Befruchtung dafür, dass das Spermium sich an die aus Hyaluronsäure bestehende äußere Hülle der Eizelle binden kann. Fehlt der Rezeptor, handelt es sich unter Umständen um noch unreife Spermien oder solche mit defektem Erbmaterial.
Die Auswahl der Spermien mit Rezeptor soll verhindern, dass defekte Zellen injiziert werden. Dass äußerlich unauffällige und agile Spermien, defektes Erbmaterial tragen, ist zwar relative selten. Hat ein Paar mit Kinderwunsch aber schon einige Fehlversuche (niedrige Befruchtungsraten, keineEinnistung, verzögerte Entwicklung des Embryos, Fehlgeburten) hinter sich, ist die PICSI-Methode möglicherweise eine Option. Die entstehenden Zusatzkosten für eine PICSI-Behandlung werden nicht von den Krankenkassen übernommen. Die Kosten betragen rund 200 Euro.

Darf der Embryo vor dem Transfer untersucht werden?

Eine genetische Untersuchung des Embryos, die z.B. schon kurz nach der Befruchtung eine Trisomie zeigen würde, ist nur bei Risikopatienten möglich. Treten in der Familie keine schwerwiegenden oder tödlich verlaufenden Erbkrankheiten (z.B. schwere Formen der Mukoviszidose oder Muskeldystrophien) auf, ist die sogenannte Präimplantationsdiagnostik in Deutschland aus ethischen Gründen verboten.


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