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Freundschaften knüpfen "Auch doofe Freunde können ein Gewinn sein!"

Kleinkinder teilen sich einen Apfel zum Essen
© Anna Kraynova / shutterstock
Freunde sind wichtig für die Entwicklung unserer Kinder. Das allerdings heißt nicht, dass immer alles glatt läuft mit ihnen. Doch auch doofe und anstrengende Freunde können ein Gewinn sein.

In letzter Zeit sah man sie öfter zusammen: ein Kind mit einem jungen Hund an der Leine. Der beste Freund des Menschen tut, was er kann, um auszugleichen, was durch Corona zwischenmenschlich gerade den Bach runtergeht: soziale Kontakte. Freundschaften. Und dann kam mitten in der Pandemie auch noch ein Politiker und wollte eine Ein-Freund- Regel einführen: „Mama, ich habe mich für Kalli entschieden, aber der ist schon besetzt ...“ Der Vorschlag wurde gekippt. Zum Glück!

Denn Freunde sind gerade für Kinder enorm wichtig – und zwar in jedem Alter. Warum? „Schon das Freundschaftenschließen und -pflegen ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe, denn Kinder müssen sich selbst darum kümmern, Eltern können hier nur bedingt mithelfen“, sagt die Entwicklungspsychologin Maria von Salisch, Professorin an der Leuphana Universität Lüneburg. „Innerhalb dieser Beziehungen meistern Kinder dann täglich weitere Aufgaben und Bewährungsproben, mit denen Fünf- bis 15-Jährige beschäftigt sind.“ So bieten Freunde nicht nur soziale Unterstützung, Empathie, Schutz, Trost. Durch Erlebnisse mit Freunden (auch den falschen) erkunden Kinder sich selbst. Entdecken ihre Werte, spüren ihre Grenzen, erleben Intimität. Und entwickeln bestenfalls Humor. Gibt es etwas Spannenderes? Da kommen selbst Smartphones nicht mit!

Wie alles anfängt: Sandkastenfreunde

Kinder spielen im Sandkasten zusammen
© Sandrinka / shutterstock

Wachsen Freundinnen und Freunde in Sandkisten? Könnte sein, jedenfalls sind sie plötzlich da, manchmal schon zum ersten oder zweiten Geburtstag. Ein Wunder: Ohne, dass kleine Kinder je darüber nachgedacht oder sie überhaupt (per Facebook, Insta, Tinder ...) gesucht hätten, materialisieren Freunde sich einfach. Da gibt es kein Vorher – und auch nicht unbedingt ein Nachher: Mein:e Freund:in ist, wer gerade bei mir ist. Und mir nicht die Schaufel klaut. So einfach kann das manchmal sein.

Worum geht es?
Sandkasten-Freunde machen etwas gemeinsam, sie reden nicht bloß darüber. „Sie bauen eine schöne Burg, und freuen sich dran. Sie haben einen ähnlichen Rhythmus, gleiche Vorlieben – vor allem haben sie Spaß zusammen“, sagt Entwicklungspsychologin von Salisch. Die Basisqualifikation eines Sandkastenfreundes ist also, dass er:sie ein:e gute:r Spielkamerad:in ist. Außerdem: Mama und Papa kann man sich nicht selbst aussuchen, das Mädchen an der Rutsche aber schon. Und mit jeder neuen Freundschaft wird die Welt ein Stückchen größer.

Gut zu wissen: Dass Freundschaften im Kita-Alter oft noch keine lange Haltbarkeit haben, macht sie nicht weniger wertvoll. Sandkasten-Freundschaften sind oft von großer Leichtigkeit. Dennoch trauern auch schon kleine Kita-Kinder sehr, wenn ein:e gute:r Freund:in wegzieht. Und: Dass im Sand manchmal auch große Liebesgeschichten beginnen, ist nicht bloß ein Gerücht. Noch lässt die Intuition sich nicht vom Kopf reinreden.

Eine(r) – und sonst keine(r): Beste Freunde

Freundinnen klatschen sich ab
© BGStock72 / shutterstock

Zum Ende der Grundschulzeit hin werden langsam höhere Anforderungen an Freundschaften gestellt – ab jetzt definieren diese sich vor allem über Vertraulichkeiten. Dazu muss das Kind eine exklusive Auswahl treffen, schließlich liefert es sich dem besten Freund, der besten Freundin aus, wenn es preisgibt: Ich bin in Jona aus der 5b verknallt! Wüsste das die ganze Klasse – die Peinlichkeit wäre nicht auszudenken. „Wird dieses Vertrauen gebrochen, ist das jetzt ein Grund, die Freundschaft vorübergehend oder auch dauerhaft abzubrechen“, sagt Maria von Salisch.

Worum geht es?
Mit besten Freunden kann man Abenteuer erleben, auf die kopfgesteuerte Erwachsene sich niemals einlassen würden. Beim Übernachten kann man im Schein der Taschenlampe – unter der geteilten Bettdecke – stundenlang herumfantasieren, sich Streiche und Unsinn einfallen lassen. Und dem Freund – Achtung! – verraten, wo das Sex-Spielzeug der Eltern versteckt ist. Man kann Verschwörungen aushecken, Geheim-Clubs gründen. Und zusammenhalten, wenn das Leben hart ist. Manchmal stirbt ein geliebtes Haustier, oder Mitschüler werfen einem schlimme Sachen an den Kopf. Gut, wenn man dann gemeinsam weinen, schimpfen und sich gegenseitig trösten kann.

Freundschaften dieser Art fordern Kinder auch heraus, neue Seiten an sich zu entdecken und zu zeigen – anders als in der Familie. Denn dort gibt es bestimmte Erwartungen an das Verhalten des Kindes – sowohl von den Eltern als auch von den Geschwistern. Und es ist ein Unterschied, ob man als ältestes Kind viel gefordert – „Du bist doch der Vernünftige!“ – oder als Nesthäkchen eher übersehen wird. „Hier ist das Verhaltensrepertoire begrenzt und bekannt. In Freundschaften werden Kinder herausgefordert, auch mal ganz anders zu reagieren, zum Beispiel die Führungsrolle zu übernehmen“, so von Salisch. Oder sie üben, sich als zweite Geige zu gedulden, wenn sie innerhalb der Familie bisher immer Prinz oder Prinzessin waren.

Gut zu wissen:
Besonders Mädchen sprechen ab etwa zehn Jahren von ihrer BFF, der „besten Freundin forever“. „Viele Mädchen zelebrieren ihre Freundschaft – und laufen mit der Auserwählten gern händchenhaltend über den Schulhof“, so die Professorin. „Dabei lassen enge Freundschaften sich leichter schmieden, wenn man sich gemeinsam gegen eine Dritte verbündet. Nur wer die Ausgeschlossene in der Dreier-Konstellation ist, ändert sich.“ Für die Beteiligten ist das oft schmerzhaft, bis sie anfangen dieses System zu verstehen. Sich zu zanken, zu vergleichen und aneinander zu messen gehört eben auch dazu, wenn man seinen Platz in der Gruppe sucht – und sich nebenbei in Sozialkompetenz übt.

Jungen sind während dieser Zeit eher mit dem Kräftemessen beschäftigt und damit, ein Gleichgewicht zwischen Konkurrenzdruck und Nähe herzustellen. „Das ist ein spannender Prozess“, meint von Salisch, „denn Wettbewerb und Nähe vertragen sich nicht gut.“ Hier liegt die Lösung in einer differenzierten Sichtweise: Wenn ein Junge plötzlich nicht mehr der beste Fußballer der Klasse ist, kann er trotzdem mit dem neuen Rekordhalter befreundet sein und bleiben. Eben weil er erkennt, dass der weit mehr ist als nur ein guter Sportler – beispielsweise ein humorvoller Gesprächspartner.

Nervig, aber auch eine Chance: doofe Freunde

Jungs kämpfen in der Schule
© CREATISTA / shutterstock

Es sind – in jedem Alter - die herausfordernden Erfahrungen, aus denen wir am meisten lernen. Niko hat einen festen Platz ganz vorn im Chemie-Raum – plötzlich drängt sich sein guter Freund Max an ihm vorbei und besetzt siegessicher Nikos Stuhl: „Heute sitze ich mal hier!“ – Das macht Niko wütend – und es macht ihn unsicher: „Er fragt sich: Bist du wirklich noch mein Freund, wenn du jetzt hier solche Sachen machst?“, beschreibt Maria von Salisch die Situation. Gleichzeitig sei dies aber auch ein wichtiger Lernschritt, denn nun muss Niko entscheiden: Soll er a) auf Max’ Kosten einen Witz machen, b) ihm beleidigt die Freundschaft kündigen oder c) Max verhauen?

Worum geht es?
Ein fünfjähriges Kind würde wohl sofort sagen: „Du bist nicht mehr mein Freund. Abgefreundet!“ Ein zwölfjähriges Kind, kann schon zwischen einer blöden Laune und einem ernsthaften Konflikt unterscheiden. Es lernt, sich zu wehren und eine Position zum Geschehen einzunehmen: „Für Kinder ist es außerdem wichtig herauszufinden, wo die Grenzen der eigenen Toleranz liegen. Was ist mir wichtig? Und wann ist es vorbei mit der Freundschaft, weil ich dieses Verhalten nicht ertragen kann – und will?“, so Salisch. Auch eine wichtige Frage: Nützt es was, wenn wir drüber reden? Und: Wie macht man das?

„Von der dritten bis hoch zur siebten, achten Klasse nimmt die Bereitschaft zum Dialog immer weiter zu. Sagt der Freund etwa etwas Schlechtes über Ausländer, ist ein elfjähriges Kind durchaus imstande nachzufragen: ‚Was redest du da eigentlich? Hast du dir das nicht richtig überlegt, denkst du das wirklich? Oder: Sagt das dein Papa?‘“ 

Gut zu wissen:
Manchmal können Kinder und Jugendliche ihre Konflikte nicht allein lösen. Sind sie sehr empfindsam, fühlen sie sich schnell schuldig und unterlegen. Gerade wenn Kinder dann wochenlang gemobbt werden und sich nicht zu wehren wissen, ist es gut, wenn wir Großen eingreifen. Lehrer:innen können dem Betroffenen zum Beispiel ein Helfer-Team aus Mitschülern zur Seite stellen. Die lernen dann auch gleich was dabei, nämlich: Sozialer Einsatz lohnt sich!

Wenn Mama und Papa abgemeldet sind: Peers in der Pubertät

Jugendliche quatschen vor der Schule
© Monkey Business Images / shutterstock

Wenn die Kinder älter werden, verlieren wir Eltern meist nach und nach den Überblick über die Freundschaften unserer Kinder und die Dynamik der Peer Groups, in denen sie sich bewegen. Noch nicht mal die Telefonate können wir heutzutage noch belauschen, denn die digitalisierten Kinder tauschen sich fast ausschließlich in Chats aus. Gut, wenn wir zuvor eine belastbare Beziehung zu den „Pubertieren“ aufgebaut haben.

Worum geht es? Während der Pubertät lösen sich unsere Kinder von uns und beginnen, in ihrer eigenen Welt zu leben. Die Peers sind jetzt alles für sie – auch (oder gerade) dann, wenn diese in unseren Augen „einen schlechten Einfluss ausüben“. Männlichkeitsrituale – wie Muskelaufbau und Alkoholkonsum – spielen in der Gruppe eine Rolle. Mädchen laufen plötzlich geschminkt und bauchfrei herum. Und wenn man sich zuvor noch nicht gegenseitig entdeckt hat ... ab jetzt wird zusammen gefeiert. Männlich, weiblich, divers kennt kaum noch etwas anderes. 

Gut zu wissen: Bei den Freunden können wir Eltern jetzt keinen Einfluss mehr nehmen, wenn es ums Selbstbewusstsein unserer Kinder und um Kontakt zu ihnen geht, aber schon. Wir können ihnen beispielsweise einen Kampfsport-Kurs finanzieren. Mit ihnen eine dreitägige Hütten-Tour durch die Berge machen – oder ein anderes Abenteuer bestehen, das alle gleichermaßen fasziniert. Und wenn Sohn oder Tochter uns am Lagerfeuer was von der Clique erzählen: Thanks for sharing!

Was bleibt: Freunde fürs Leben!

Freunde feiern am Strand zusammen
© Jacob Lund / Copyright

Wir lernen nie aus, entwickeln uns immer weiter. Im Laufe der Zeit erfahren wir, dass Systeme dynamisch sind. Und Menschen sich verändern. Der Alpha-Typ von früher, der immer zu cool war für eine Freundschaft, hat jetzt leichtes Übergewicht – dafür sucht er offenbar das Gespräch. Das Leben, die Zeit relativieren die Dramatik unserer Konflikte mit alten Freunden. Die gemeinsame Vergangenheit verbindet meist mehr, als dass sie uns trennt. 

Worum geht es?
Um etwas wirklich Großes ... Denn mit alten Freunden aus der Schulzeit können wir in Gefühlen baden. Wir reden stundenlang darüber, wer für wen geschwärmt hat, wer blöd war – das können Außenstehende nicht nachempfinden. Deshalb sind diese Freundschaften nicht zu ersetzen.

Gut zu wissen:
Gleich und gleich gesellt sich gern? „Da ist was dran. Freunde und Freundinnen sind sich oft ähnlich in der Bildung, im Einkommen, in der ethnischen Gruppe. Sie haben ähnliche Einstellungen, Interessen, Erfahrungen – sind vielleicht beide alleinerziehend“, sagt Psychologin von Salisch. Natürlich könne man bestehende Freundschaften immer vertiefen. Wer sich aber auch neue Impulse wünsche, sollte im Hinterkopf haben: „Menschen, die aktiv etwas von sich preisgeben, finden leichter Freunde. Wir sollten immer mal wieder einen kleinen Versuchsballon starten – egal, in welcher Lebensphase."

ELTERN

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