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Mobbing in der Schule Wie Eltern Anzeichen bei ihren Kindern erkennen können

Mobbing in der Schule: Wie Eltern Anzeichen bei ihren Kindern erkennen können
© Lopolo / Shutterstock
Am Anfang sind es oft unauffällige Hänseleien, die von vielen nicht ernst genommen werden. Doch je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer wird meistens auch die Situation und das Kind leidet immer mehr unter dem, was ihm passiert. Vor allem in der Schule ist Mobbing keine Seltenheit. Teilweise fangen Probleme sogar schon in der Grundschule an.

Das Mobbing an Schulen ein Problem ist, ist bekannt. Der 2017 veröffentlichten PISA-Studie der OECD zufolge wird jede:r sechste:r Schüler:in in Deutschland gemobbt. In einer Studie der Bertelsmannstiftung gaben sogar 60 Prozent von 3.448 befragten Schüler:innen an, dass sie in der Schule Opfer von Ausgrenzung, Hänseleien oder körperlicher Gewalt seien. Ein Viertel der Kinder und Jugendlichen im Alter von acht bis vierzehn Jahren gaben an, sich an ihrer Schule nicht sicher zu fühlen.

Ist mein Kind betroffen? Mobbing erkennen

Doch wie können wir herausfinden, dass Kinder betroffen sind und es ihnen nicht gut geht? Dazu haben wir mit Marek Fink, Gründer des ehrenamtlichen Vereins "Zeichen gegen Mobbing e.V." gesprochen. Seit 2017 helfen er und sein Team aus 150 Ehrenamtlichen Kindern und Jugendlichen in Mobbing-Situationen. Inzwischen arbeitet der Verein sogar deutschlandweit. Die sogenannten Social Visionaries bieten Präventionskurse und Interventionen bei Mobbing in und an Schulen an und sprechen mit betroffenen Kindern sowie Klassenkamerad:innen, Eltern und Lehrer:innen. Die Anzeichen zu erkennen und für das Problem zu sensibilisieren, ist für die Arbeit des Vereins sehr wichtig. Wir haben mit Marek darüber gesprochen, auf welche Signale Eltern achten können.

ELTERN: Mobbing-Situationen finden meistens in der Schule statt und werden oft von Mitschüler:innen ausgelöst. Dass es dazu kommt, wird allerdings nicht immer vom Lehrpersonal entdeckt. Warum ist es für Eltern vielleicht sogar einfacher, Mobbing-Signale zu erkennen?

Marek Fink: Wir haben in der Schule die folgende Situation: Wir haben 25 bis 30 Kinder in einer Klasse. Die Klassenleitung kann es deshalb in den meisten Fällen gar nicht schaffen, Mobbing-Situationen direkt zu erkennen. Wenn wir von Mobbing sprechen, sprechen wir primär von Gewaltsituationen, die seelischer Natur sind. Die Kinder sitzen aber normalerweise nicht mit blutenden Nasen im Klassenraum, weil sie vorher einen Faustschlag auf die Nase bekommen haben, sondern sie wurden beleidigt und beschimpft und sind dadurch verletzt. Dieses Verletztsein können sie verbergen und stattdessen Reaktionen aufsetzen, die sie selbst gar nicht fühlen. Das aus einer Masse an Kindern und Jugendlichen herauszufiltern, die im Klassenraum sitzen, ist enorm schwierig.

Wieso ist es so schwierig, die Signale zu erkennen?

Betroffene Kinder sind Meister:innen darin, sich zu verstellen. Sie wollen in der Klasse möglichst wenig auffallen und möglichst wenig angreifbar sein. Dafür verbergen sie oft ihre Gefühle. Ein Kind, das wir betreut haben, hat beispielsweise irgendwann angefangen über jede Beleidigung, die es bekommen hat, zu lachen. Es wirkte wie das fröhlichste Kind der Klasse, weil es anstatt jedes Mal zu weinen, einfach gelacht hat und diese Emotionen für sich selbst verdreht hat. Das war eine unglaubliche Belastung für das Kind und führte dazu, dass sich das Verhalten so sehr normalisiert hat, dass es selbst irgendwann gedacht hat: 'Ich darf mich gar nicht mehr schlecht fühlen, weil ich selbst über diese Situation lache'. Ich glaube, das passiert bei vielen Kindern, die verbergen, wie es ihnen eigentlich geht. Es ist eine große Herausforderung, dieses Verständnis zu behalten von: 'Ich darf mich schlecht fühlen, ich darf darüber reden und ich darf mir Hilfe holen'.

Sich selbst Hilfe zu holen oder sich jemandem anzuvertrauen, ist für die Kinder natürlich schwer. Wie können Eltern ihre Kinder unterstützen beziehungsweise worauf sollten sie achten?

Allgemein hilft es, auf Verhaltensänderungen zu achten: Das Kind kommt zum Beispiel wiederholt bedrückt nach Hause und ist plötzlich ungewohnt still oder introvertiert, in irgendeiner Form ängstlich oder wirkt nervös. Es zieht sich schnell aufs Zimmer zurück, möchte nicht mehr am Familienleben teilnehmen oder ist sogar ungewohnt aggressiv. Launisch zu sein gehört oft dazu und dass das Kind dem Anlass entsprechend nicht angemessen reagiert. Die Eltern beobachten oft Muster, die sie so von ihrem Kind noch nicht kennen. Es können allerdings vielfältige Gründe hinter dem Verhalten stecken. Es kann eine Mobbing-Situation sein, muss es aber nicht. Es kann beispielsweise genauso gut die Pubertät sein. Aber es lohnt sich bei all diesen Signalen aufmerksam zu sein und zu überlegen, welche Schritte man gehen kann. Denn je früher wir Mobbing-Situationen erkennen, desto wirksamer können wir intervenieren. 

Gehört diese Art von Aggressionsverhalten, das du angesprochen hast, auch ein Stück weit zum Selbstschutz? 

Ich war in der Grundschule selbst von Mobbing betroffen und habe damals sehr aggressiv darauf reagiert. Ich war das Kind, das angefangen hat, Stühle durch den Klassenraum zu schmeißen oder mir die anderen Kinder zu greifen und sie quasi durch den Klassenraum zu schleudern. Das führte bei mir dazu, dass die Lehrkräfte mich für das Verhalten bestraften, das ich gezeigt hatte. Ich möchte meine Verhaltensmuster nicht schönreden. Wie ich reagiert habe, war nicht in Ordnung. Für mich war es aber die letzte Möglichkeit, mir in der Situation Raum zu verschaffen. Ich habe vorher versucht, es zu ignorieren oder es anders zu klären und das hat alles nicht gewirkt. Mein letzter Ausweg war es, meine körperliche Überlegenheit zu nutzen, um auf die Verhaltensmuster der anderen zu reagieren und die Situation im besten Fall für den Moment zu beenden. Das führte dazu, dass, wenn ich beschimpft und beleidigt wurde, ich "ausgerastet" bin und die Person durch den Klassenraum geschmissen habe und dafür wurde ich dann bestraft. Mich hat damals niemand gefragt: 'Du Marek, warum wirfst du Personen durch den Klassenraum?', sondern ich habe eine Strafe bekommen. Das führte wiederum dazu, dass ich das Vertrauen in meine Klassenlehrerin verloren habe. Sie hat nicht gesehen, wie es mir geht und ich habe mich nicht mehr verstanden gefühlt. Es wurde auch nie darüber gesprochen. In der Grundschule wusste niemand, dass ich von Mobbing betroffen war. Ich war nur dieses hochaggressive Kind. Das hat mir am Ende aber natürlich nicht geholfen.

In deiner persönlichen Erfahrung hast du versucht, mit körperlicher Stärke die Mobbing-Situation zu beenden. Welche anderen Verhaltensweisen entwickeln Kinder in der Schule?

Mobbing-Situationen entstehen aufgrund von Auffälligkeiten, die die Betroffenen angreifbar machen. Um diese möglichst gering zu halten, fangen die Kinder schnell damit an, sich anzupassen. Es fängt beispielsweise mit bestimmten Marken an, bei der Kleidung oder der Technik und geht zu Handlungen, Verhaltensmustern oder sogar Sprachmustern über bis hin zum Kaufen von Geschenken. Außerdem gibt es eine Art Sündenbock-Phänomen. Also, wenn das Kind sagt: 'Ich bin schuld an einer Situation, für die ich eigentlich gar nichts kann.' Es ist irgendetwas passiert und das Kind nimmt die Schuld auf sich, mit dem Ziel dahinter, dadurch in irgendeiner Form Aufmerksamkeit von der Klasse zu bekommen. Nach dem Motto: 'Immerhin sprechen sie über mich, wenn schon nicht mit mir'.

Geschenke, neue Kleidung oder Technik: Das sind ja theoretisch Dinge, die wiederum zu Hause auffallen können. Was können noch Beispiele sein?

Wenn Eltern fehlendes oder beschädigtes Eigentum des Kindes wahrnehmen, beispielsweise. Wenn das eigene Kind vorher immer verantwortungsbewusst mit den eigenen Gegenständen umgegangen ist und plötzlich alle drei Tage ein Geodreieck fehlt, muss das nicht daran liegen, dass das Kind plötzlich schusselig geworden ist, sondern es können eben auch andere Gründe dahinter stecken.

Worauf sollten Eltern noch achten? 

Eltern sind ein zentraler Schlüssel im Erkennen von Mobbing-Signalen. Wenn wir an die betroffenen Kinder und Jugendlichen denken, dann ist es so, dass sich die meisten Betroffenen keine Hilfe holen. Ein Grund dafür sind unangebrachte Ratschläge aus der Vergangenheit. Man muss sich das so vorstellen: Wenn ein Kind den Mut aufbringt, auf eine scheinbar allwissende erwachsene Person zuzugehen, dann fällt es ihm sowieso nicht einfach, die Situation zuzugeben, aus der es alleine nicht herauskommt. Es erhofft sich natürlich einen Ratschlag, einen Tipp, der die Situation am Ende löst. Das ist bei den meisten Tipps und Ratschlägen, die bei Mobbing im Umlauf sind, aber nicht gegeben. Die Situation verschlimmert sich im Worst Case und das Kind geht am Ende nicht noch mal diesen schwierigen Schritt, sich Hilfe zu holen.

Diese hohe Belastung ist für Kinder natürlich sehr schwierig, gerade wenn sie damit allein sind oder das Gefühl haben, dass ihnen keiner helfen kann. Inwiefern führt das zu Problemen?

Psychosomatische Beschwerden sind ein weiterer Klassiker. Denn Stresssituationen sind da quasi der Auslöser. Stell dir vor, du bist total aufgeregt, weil du vielleicht vor einer großen Menge an Menschen einen Vortrag halten musst. Dann reagiert dein Körper vielleicht mit Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit. Genauso ist das bei dem Stress, der durch eine Mobbing-Situation ausgelöst wird. Da steckt zwar die psychische Ursache dahinter, die Auswirkungen sind aber tatsächlich real. Je länger die Situation anhält, desto schwerer können die Folgen sein. Das kann bis zur Depression, Ängsten und Suizidgedanken führen.

Wie wirkt sich dieser geballte Stress auf das Verhältnis des Kindes zur Schule aus?

Die Beschwerden führen dazu, dass das Kind nicht in die Schule gehen möchte. Das muss aber nicht mit den Beschwerden zusammenhängen, sondern kann generell der Wunsch sein, sich einfach mal zu regenerieren und sich einen Tag nicht der Angst stellen zu müssen. Damit kann ein Leistungsabfall einhergehen, aber die Fehlzeiten müssen nicht der einzige Grund sein. Wenn das betroffene Kind mit 25 bis 30 anderen Kindern in einer Klasse ist, bei denen es das Gefühl hat, dass niemand es mag, wird das natürlich zu einem Unwohlsein im Klassenraum führen. Wenn dieses Unwohlsein dann den ganzen Tag da ist und es sich kaum zurückziehen kann, dann entstehen Denkblockaden und Konzentrationsschwierigkeiten, die zum Leistungsabfall führen können.

Wie sollten Eltern im besten Fall reagieren?

Wir als Erwachsene haben oft den Eindruck, dass Probleme sofort mit einer Lösung verbunden werden müssen – und das stimmt nicht! Wir brauchen nicht für jedes Problem sofort eine Lösung. Ich glaube, dass diese Message wichtig ist, um den Eltern den Druck ein bisschen zu nehmen. Was kann man stattdessen machen? Am besten ist es, die Wahrnehmung der Verhaltensveränderung des Kindes ihm gegenüber zu kommunizieren. Also: 'Ich habe wahrgenommen, dass es dir nicht so gut geht, du ziehst dich immer mehr auf dein Zimmer zurück und ich wollte nur einmal fragen: Was steckt dahinter? Kann ich dir irgendwie helfen?' Das ist ein erster guter Ansatz. Das Gespräch muss und sollte keine Tipps beinhalten, keine Ratschläge. Wir sollten das Gespräch ergebnisoffen führen und so, dass die Betroffenen ausreichend Raum bekommen, darüber zu sprechen.

Weitere Informationen zum Thema Mobbing gibt es in unserer Zusammenfassung.

Hilfe zum Thema Mobbing in der Schule finden Kinder oder Eltern auf der Seite von "Zeichen gegen Mobbing e.V." . Für Betroffene von Cybermobbing im Netz steht außerdem die anonyme Beratungsplattform von Juuuport  bereit.

Marek Fink ist Gründer des Vereins "Zeichen gegen Mobbing e.V.". Was als Schulprojekt in seiner Jugend beginnt, ist nun eine bundesweite Anlaufstelle beim Thema Mobbing.
Marek Fink ist Gründer des Vereins "Zeichen gegen Mobbing e.V.". Was als Schulprojekt in seiner Jugend beginnt, ist nun eine bundesweite Anlaufstelle beim Thema Mobbing.
© Zeichen gegen Mobbing e.V.

Verwendete Quellen: OECD, Bertelsmannstiftung, Zeichen gegen Mobbing e.V.

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