VG-Wort Pixel

Sprechen lernen Die ersten Wörter: Wie dein Baby sie lernt

Baby staunt großen Stoffhasen an
© Denniro / iStock
Dein Kind kann erst drei Wörter sagen? Und das mit eineinhalb? Macht nichts! Jedes Kind hat beim Sprechen lernen sein eigenes Tempo. Und eine eigene Strategie, sich mitzuteilen. Wie Kinder sprechen lernen und die Eltern ihnen dabei helfen können.

Artikelinhalt

Mädchen sind früher dran als Jungs

Elias ist 18 Monate alt und ein typischer Vertreter der Spezies Mann: Er redet nicht viel. Mama, Papa, Licht – mit diesem Wortschatz mogelt er sich durch jede Konversation. Dabei versteht er viel, viel mehr, bringt zuverlässig Hammer und Schraubenzieher, wenn man ihn darum bittet, oder schaltet sogar das Radio aus. Er kann in drei Tonlagen bellen und erstaunlich exakt das Krähen eines Raben imitieren. Sprechen? Das ist nicht sein Ding!

Frauen reden, Männer schweigen. Auch wenn wir solche Klischees nicht mehr hören wollen – im Babyalter stimmt es. Im statistischen Mittel haben junge Damen bei Spracherwerb und Diskussionsfreude die Nase vorn. Jungen brauchen ein paar Wochen, manchmal Monate länger, bis ihnen die ersten Worte flüssig über die Lippen gehen. Was Jungsmütter in Spielgruppen erleben, bestätigt Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Steffi Sachse von der Uni Heidelberg: "Mädchen fangen nicht nur früher an, sie haben auch später weniger Probleme mit der Sprachentwicklung."

Aber von Anfang an: Im Prinzip beginnt alles mit dem ersten Schrei. Das Neugeborene will sich mitteilen: "Hallo, ist da jemand? Ich habe Hunger!" Schnell kapiert es: Wenn ich rede (oder brülle), kommen Mama und Papa und helfen mir. Täglich wird die Kommunikation ausgefeilter – lautes Weinen, zorniges Schimpfen, leises Maunzen, erstes Gurren, vorsichtiges Lachen. Ein Sprechprogramm, das überall auf der Welt ähnlich abläuft. Allerdings haben Forscher herausgefunden, dass sogar schon Neugeborene mit einer Art Akzent schreien, offenbar durch die Sprache, die sie schon im Mutterleib gehört haben.

Zwölf Monate experimentieren bis zum ersten Wort

"Erste Lallphase" nennt sich logopädisch korrekt, was Eltern ab dem zweiten Lebensmonat zu hören bekommen,wenn ihr Kind herauszufinden versucht, was es mit seinem Mund außer Saugen und Sabbern noch machen kann – Töne wie "goo", "grr", "ech" bilden zum Beispiel. Das Baby ist von der puren Lust am Ausprobieren getrieben: Welche Töne entstehen, wenn ich die Zunge rolle? Und was passiert, wenn ich über gespitzte Lippen pruste? Mit etwa vier Monaten können sich die Kleinen zwar immer noch nicht deutlicher äußern, aber sie beginnen jetzt, Sprachmelodien zu verstehen. Sie erkennen, ob Papa fröhlich oder traurig ist, und merken, wenn jemand in ihrer Muttersprache spricht.
Richtig hören ist eine wichtige Voraussetzung für die zweite Lallphase. Auch hier werden alle möglichen Töne produziert, aber sie sind nur scheinbar willkürlich. Die Kleinen gleichen das, was sie sagen, mit dem ab, was sie hören. Bestimmte Laute werden dabei aussortiert. Das englische "th" braucht man hierzulande genauso wenig wie ein "r" in China. Also wird es nicht weiter geübt.
Zwischen dem neunten und zwölften Monat wird es sprachtechnisch ausgesprochen niedlich. Babys fangen an, Silben zu doppeln: ma-ma-ma, pa-pa-pa, gugu. Mindestens genauso wichtig für die künftige Redefreude ist jetzt aber das, was die Münchner Logopädin und Kinderspieltherapeutin Barbara Kleesattel den triangulären Blickkontakt nennt. Das Baby spielt mit dem Ball, schaut den Ball an, schaut die Mama an. Und das bedeutet: Sag mir bitte, wie das Ding da heißt. "Kinder wollen die Großen reden hören, sie möchten etwas über ihre Welt erfahren", erklärt die Logopädin diesen Schritt in Richtung bewusste Kommunikation.

Hund oder Katze? Erst mal ist alles wauwau. Oder miau.

Vater und Baby lachen einander an
© dusanpetkovic / iStock

Rund um den ersten Geburtstag ist es dann soweit: Das Baby belohnt seine Eltern mit dem ersten Wort. Stadtkind Teresa ist vom Bauernhofurlaub so fasziniert, dass sie von einem Tag auf den anderen alle Zwei- und Vierbeiner mit einem begeisterten "Muh" begrüßt. Paul, der ewig Hungrige, entscheidet sich für sein Lieblingsessen: Sein erstes Wort heißt "Beeze" (Brezel).
Ist die Hürde der ersten Wörter genommen, scheint die Sprachentwicklung zu explodieren. Das Kleinkind wird zum Sammler. Wie andere Leute Briefmarken hamstert es Vokabeln. Mama, Papa, Ball, Wau-wau, Auto, Nunu - es imitiert, was man ihm vorsagt. Es hat gelernt, Seiten umzublättern und schleppt begeistert Bilderbücher an, deutet und schaut erwartungsvoll: Ich will wissen, was das ist!

Aber wann genau ist es so weit? Wann sollte ein Kind zuverlässig einen Hund von einer Katze unterscheiden können – rein sprachlich? Und warum redet das jüngere Nachbarskind wie ein Wasserfall, und der eigene Nachwuchs schweigt beharrlich? Die wenigsten Kinder halten sich in Entwicklungsfragen an den Lehrplan. Ein Beispiel aus der Statistik: Es gibt Sprachgenies, die den Bogen mit den ersten drei Wörtern schon mit zehn, elf Monaten raus haben, Spätzünder müssen dafür bis zu 21 Monate alt werden. Manche Kinder gebrauchen alle paar Tage ein neues Wort, andere speichern Begriffe ab: Wochenlang passiert nichts, dann bricht eine wahre Wortkaskade aus ihnen heraus.
Unterschiede in der Sprachentwicklung sind also normal. Dennoch rät Barbara Kleesattel unsicheren Eltern, eventuelle Verzögerungen von einem Kinderarzt oder Logopäden beurteilen zu lassen: "Richtig sprechen zu können, das ist enorm wichtig für Kinder. Die Welt erschließt sich durch Sprache. Wer gut spricht, findet außerdem leichter Freunde."
Elias hat im vergangenen Monat Fortschritte gemacht. Neben Tierstimmen hat er auch Werkzeuggeräusche in sein Repertoire aufgenommen: Er kann jetzt einen Akkuschrauber imitieren. Und seinen Wortschatz hat er um "Tatüta" und "Auto" erweitert.

Praktische Tipps: So macht Sprechen lernen Spaß

Was Eltern tun können, um den Redeeifer ihres Kindes zu fördern:

Viel sprechen. Man kann ein Baby schweigend wickeln oder ihm auf dem Wickeltisch die Welt erklären: "Guck mal, da ist dein Bauchnabel!". "Schau, das Mobile hüpft, wenn wir pusten!" Natürlich verstehen Babys den Sinn der Worte noch nicht. Zwei Gründe sprechen trotzdem für ein Wörterbad: Babys finden es schön, wenn Mama plaudert. Und sie lernen anfangs vor allem durch Hören.
Nachplappern. Bu-bu-bu, ga-ga-ga: Sobald ein Baby Laute produziert, ist es ein ernst zu nehmender Gesprächspartner. Es freut sich, wenn die Großen seine Geräusche nachahmen, und wird sich im Gegenzug mit Mamas und Papas Wörtern Mühe geben.
Zuhören. Reden ist nur sinnvoll, wenn man das Gefühl hat, dass jemand interessiert zuhört. Gleichgültig, ob ein Einjähriger sein neues Wort übt oder der Dreijährige zum siebten Mal die Geschichte vom Müllauto erzählt. Zuhören heißt: sich Zeit nehmen und das Kind beim Reden anschauen. Und das Smartphone richtig weglegen. Passt es mal nicht, sollte man das kurz erklären: Ich hänge jetzt die Wäsche auf, dann trinken wir Kakao, und du erzählst mir die Geschichte ausführlich.
Vorlesen. Bücher sind großartig, auch für Klitzekleine. Man kann die Ecken annagen, kräftig an den einzelnen Seiten ziehen und irgendwann die Bilder betrachten. Je kleiner das Kind ist, desto schlichter sollten die Illustrationen sein: ein Ball, ein Auto, ein Bär.
Singen. Sprache ist Information, aber auch Melodie und Rhythmus. Beides lernen Sprachanfänger am besten durch Lieder, Gedichte und Fingerspiele.
Niemals direkt korrigieren. "Oma schon heimgegeht." Völlig klar, was der Kleine damit sagen will. Das verdient Anerkennung. Statt ihr Kind zu verbessern, wiederholen Eltern den Satz besser noch einmal richtig: "Ja, die Oma ist schon heimgegangen."

Interview: Wann braucht mein Kind Hilfe?

Prof. Dr. Steffi Sachse von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg erklärt, wann Kinder mit Sprachproblemen Unterstützung benötigen.

Ab wann sollte man sich mit einem Kind unterhalten können?
Sobald Kinder etwa 50 Wörter beherrschen, fangen sie an, Zweiwortsätze zu bilden, um sich bewusst mit anderen auszutauschen. Das sollten sie um den zweiten Geburtstag können. Allerdings: 20 Prozent tun es nicht.
Mit welchen Folgen?
Über die Hälfte dieser Kinder sind einfach Spätzünder. Sie lernen ganz normal sprechen, nur ein bisschen später. Sechs bis acht Prozent aller Vorschulkinder haben eine Sprachstörung und brauchen Hilfe. Idealerweise schon mit zwei oder drei Jahren.
Wie merkt man, ob das eigene Kind betroffen ist?
Meist haben Eltern selbst ein gutes Gespür dafür, wenn etwas nicht stimmt. Manchmal fällt Freunden oder Großeltern auf, dass das Kind nur schwer zu verstehen ist. Der erste Ansprechpartner ist der Kinderarzt. Er wird zunächst checken, ob das Kind richtig hört. Wenn das Kind wirklich in der sprachlichen Entwicklung zurück ist oder der Verdacht besteht, wird es zum Logopäden oder Phoniater überwiesen. Spätestens mit drei Jahren lässt sich eine Entwicklungsstörung eindeutig diagnostizieren.

Sprechen lernen: Die ersten Wörter: Wie dein Baby sie lernt

Mehr zum Thema