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Alltagsrassismus bei Kindern "Mein Sohn findet sich falsch – das bricht mir das Herz"

Mutter trägt ihren Sohn auf den Schultern
© Africa Studio / Shutterstock
Mit der Adoption eines ostafrikanischen Kindes erfuhr Sabine Priess einen schmerzhaften Perspektivwechsel. Und merkte, wie sehr Rassismus in Deutschland immer noch verbreitet ist.

Natürlich war uns klar, dass ein Kind mit schwarzer Hautfarbe hier in Deutschland auch Ausgrenzungen ausgesetzt sein würde. Das wussten mein Mann und ich schon, bevor wir unseren Sohn, der ostafrikanische Wurzeln hat, adoptiert haben. Aber ich dachte, dass wir auf jeden Fall stark genug sein könnten, dem Kind mit humorvoller Leichtigkeit über diese Klippen hinwegzuhelfen und es zu einer gefestigten Persönlichkeit zu erziehen, an dem solche Anfeindungen im besten Fall abperlen, weil es darüber steht.

Schmeckst du nach Schokolade?

Doch ich wurde bald nach der Adoption unseres Sohnes, der 2013 als Zweijähriger zu uns kam, von der Wirklichkeit eingeholt. Einer Wirklichkeit, das muss ich vorwegschicken, die um einiges härter und schmerzvoller ist, als ich es mir je hätte träumen lassen. Als unser Kind mit drei Jahren in die Kita kam, fing es nämlich an. Die steten Fragen, meist gut gemeint, zogen in seinen Alltag ein: "Warum siehst du anders aus", "Schmeckst du nach Schokolade?" und auch die Ausgrenzungen begannen: "Du bist ein Schokomuffin, du darfst nicht mitspielen".

Auf einer mehrtägigen Kita-Fahrt wurde mein Kind von den anderen "Nutella" gerufen – die Erzieherinnen, die ich persönlich eigentlich mochte, fanden das nicht schlimm (es sei ja positiv konnotiert) und sagten meinem Sohn, er solle das selbst klären. Da war er fünf Jahre alt. Er war sehr unglücklich, als er von dieser Fahrt zurückkam. "Jeder wird mal ausgegrenzt", sagten die Erzieherinnen, als ich sie darauf ansprach. Mir wurde außerdem geschildert, dass der kleine Jannik kürzlich nicht bei den Mädchen mitspielen durfte, weil er ein Junge ist. "Dasselbe Lied", hieß es. Mein Einwand, dass es da große Unterschiede gäbe, wenn es sich beim schwarzen Kind um das einzige oder eines von sehr wenigen Kinder handele, wurde weggelächelt.

Vom Wunsch, mehr so auszusehen, wie "die anderen"

Mir ist das Lachen mit den Jahren vergangen, muss ich gestehen. Denn ich sehe, wie sehr die Ausgrenzungen meinen Sohn verletzen und sein Selbstbewusstsein unterminieren. Dieser fantastische, eigensinnige und charmante Junge hat sich neulich verzweifelt gewünscht, weiße Haut zu haben oder wenigstens "etwas heller" zu sein. Das bricht mir das Herz. Natürlich stärke ich ihn, sage ihm, wie wundervoll wir ihn als Eltern genau so finden, wie er ist. Aber ich sehe es in seinen Augen, auch wenn er dann schweigt: Er findet sich falsch. Und ich kann ihn verstehen. Denn sein Umfeld signalisiert ihm seit Jahren sein Anderssein. "Klar, dass du so gut im Fußball bist". "Er ist aber auch wirklich wild", wird uns gerne lächelnd zugeraunt von anderen Eltern.

Wenn mich jemand fragt, warum man schwarze Menschen eigentlich nicht danach fragen soll, woher sie kommen, antworte ich meistens, derjenige solle sich doch einfach mal vorstellen, dass er das dauernd gefragt würde. Manchmal mehrmals am Tag und auch gerne von Fremden an der Bushaltestelle. Der Perspektivwechsel, der mir ein Stück weit möglich ist, weil ich die Mutter eines schwarzen Kindes bin, hilft mir, das zu sehen, das zu erkennen. Das war nicht immer so. Früher hätte ich die Frage auch nur harmlos gefunden und mich im Recht gesehen, sie auch zu stellen. Aber früher fand ich auch, dass Kinderbücher mit dem N*-Wort nicht geändert werden müssten. Sie waren für mich – wie für so viele – einfach Relikte aus einer anderen Zeit. Das hat sich schlagartig geändert, als ich meinem Sohn als Schulkind noch einmal Pippi Langstrumpf vorgelesen habe. Inzwischen wusste er nämlich durchaus, dass es sich da bei der Berufsbezeichnung von Pippis Vater um eine handfeste rassistische Beleidigung handelt. Dass das so in Büchern steht, hat ihn total schockiert. Und es hat ihn verletzt. Er war traurig und das Buch haben wir einvernehmlich und für immer aus seinem Regal genommen.

Ich habe mich da über mich selbst geärgert. Ich hätte ja die angepasste Version kaufen können, das Wort auslassen oder (und das vor allen Dingen) das Buch schon selbst aussortieren können. Aber auch mein Weg war ein Prozess.

Auf der Suche nach mehr Vielfalt in der Kinderliteratur

Ab diesem Zeitpunkt habe ich gezielter nach korrekten, aber auch diverseren Kinderbüchern gesucht. Möglichst mit Kindern mit schwarzer Haut als Protagonisten. Doch diese Bücher gibt es kaum. Also habe ich gemeinsam mit meinem Sohn eines geschrieben. Es heißt: "Klar bin ich von hier. Was ein schwarzer Junge in Deutschland erlebt" und viele der Geschichten darin sind so oder so ähnlich passiert. Und sie passieren schwarzen Kindern in Deutschland jeden Tag. Ihnen wird ungefragt in die Haare gefasst, sie werden in Schubladen gesteckt, beleidigt, ausgegrenzt und sie werden verbal und tätlich angegriffen.

Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele Menschen bemühen, die Perspektive zu wechseln und sich einzufühlen in die Menschen, die zwar anders (und das meine ich in jeder Hinsicht) aussehen, die aber dennoch Teil dieser Gesellschaft sind und sein wollen. Es wird so oft nach Integration gerufen. Aber denen, die sich hier integrieren wollen und sollen, wird es von Kindesbeinen an nicht leicht gemacht. Denn ein vermeintlich nur neugieriges "woher kommst du?" impliziert vielleicht für den so oft gefragten das nicht zwangsläufig auch ausgesprochene "und wann gehst du dahin zurück?.

Buchtipp: "Klar bin ich von hier" von Sabine Priess, edition riedenberg, 14,90 Euro.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei BRIGITTE.de.


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