Als ein 32-Jähriger nach Hause kommt, findet er seine zweijährige Tochter leblos auf. Da weder er noch seine Frau Deutsch sprechen, greift er nach seinen Autoschlüsseln, anstatt einen Rettungswagen zu rufen. Auf dem Weg ins Krankenhaus wird er von zwei Polizisten angehalten, weil er nicht angeschnallt ist. Die Beamten erkennen jedoch die prekäre Situation und halfen dem Mann mit seiner Tochter weiter.
"Augenscheinlich musste dieses schnellstmöglich medizinisch behandelt werden, daher eskortierte man mit dem Zivilwagen bis zur Kinderklinik, wo das Kind umgehend der Notaufnahme zugeführt wurde", heißt es in einem Protokollauszug, welcher der Siegener Zeitung vorliegt.
Geldbuße und Fahrverbot
Trotz der verständnisvollen Polizisten hat die Fahrt für den Mann allerdings Folgen. Denn sowohl der Polizeiwagen als auch der Vater werden von einer Radarfalle geblitzt. Das Auto des Vaters mit dem kollabierten Kind ist zu diesem Zeitpunkt 82 km/h schnell.
Der Vorfall ereignete sich am 18. Januar 2022. Einen Monat später bekam die Familie Post: Darin wird gegen den Familienvater eine Geldbuße von 348,50 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.
Richter: Prekäre Lage des Vaters sei keine Ausnahmesituation
Der 32-Jährige wehrt sich gegen die Strafe und der Fall landete vor dem Amtsgericht Siegen. Bei einer Anhörung am vergangenen Mittwoch sagt Richter Dr. Paul Sprenger laut der "Siegener Zeitung": "Er hätte einen Rettungswagen rufen müssen, wir haben da in Deutschland ein funktionierendes System."
Für den Richter stellt die Situation des Mannes keine Ausnahmesituation dar, in der man in der Theorie straffrei Verkehrsregeln missachten darf. Eine solche Ausnahme sei immer dann gegeben, "wenn Leib und Leben betroffen sind, dann darf man darüber nachdenken", sagt die Rechtsexpertin Nicole Mutschke zu RTL.
Allerdings gelte dies nicht uneingeschränkt. Zuvor müsse man alle verfügbaren Mittel ausgeschöpft haben – wie etwa einen Krankenwagen zu rufen. Erst dann gelte der sogenannte Notstand, so Mutschke.
Dass der Mann kein Deutsch spreche, rechtfertige nicht, dass er zu schnell fahren dürfe. Sprenger zufolge hätte er im Rahmen der Geschwindigkeitsbegrenzungen zur Klinik fahren oder nach einer Person suchen müssen, die für ihn den Krankenwagen hätte rufen können. "Man kann eine solche Fahrt machen, darf aber eben nicht erwarten, freigesprochen zu werden", sagt der Richter. Darüber hinaus hätte ihm zufolge das Kind mit einem Rettungswagen viel schneller versorgt werden können.
Keine Entschuldigung des Mannes
Der Richter senkt zwar das Bußgeld auf 260 Euro, hält aber weiterhin an dem Bußgeld fest. RTL zufolge sei auch in Betracht gekommen, die Geldstrafe zu erhöhen und auf das Fahrverbot zu verzichten. Jedoch fehlt dem Richter dafür eine Entschuldigung des 32-Jährigen. Über den derzeitigen Gesundheitszustand des Kindes ist nichts bekannt.
Quellen: Siegener Zeitung, Mutschke / RTL, RTL
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei stern.de.