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Tender Loving Care Die neue Kuschelvorsorge

"Tender Loving Care" - hinter diesem Schlagwort steckt die Überlegung: Die deutsche Schwangerenvorsorge braucht mehr Herz und weniger Technik. Denn Schwangere sind selten krank, aber immer öfter besorgt und ängstlich. Und dagegen gibt es keine Medizin.

Was verbirgt sich hinter Tender Loving Care?

Tender Loving Care: Die neue Kuschelvorsorge
© Kati Molin

Dr. Jael Backe in Würzburg ist Gynäkologin, Psychotherapeutin und Buchautorin. (Sehr empfehlenswert: "Schwangerschaft ist keine Krankheit. Welche Ratschläge und Untersuchungen Schwangere wirklich brauchen", mvg, 16,99 Euro.) Sie verfolgt in der Betreuung ihrer Schwangeren einen neuen Ansatz: Tender Loving Care heißt das aus Amerika stammende Konzept, das ursprünglich für Frauen mit wiederholten Fehlgeburten entwickelt wurde. Etwas salopp übersetzt heißt es so viel wie "Kuschelvorsorge" und meint eine besonders warmherzige und fürsorgliche Betreuung der Schwangeren, um ihr Sorgen und Ängste zu nehmen.

Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, und doch ist es wohl eher der Traum von einer Schwangerenvorsorge: Die Patientin darf so oft in die Praxis kommen oder anrufen, wie sie es für nötig hält. Und zwar, ohne dass eine Arzthelferin die Augen verdreht oder die Ärztin das Gefühl vermittelt, man stehle ihr die Zeit. Viele Kleinigkeiten gehören zur freundlichen Grundeinstellung: Die Frau wird mit Namen angesprochen; beim CTG bekommt sie fürsorglich ein Kissen unter den Kopf geschoben und eine Decke über die Beine gelegt. Wer extreme Angst ums Baby hat, kommt öfter und bekommt auch jedes Mal per Ultraschall bestätigt, dass es dem Baby gut geht.

"In Studien hatte sich gezeigt, dass fast alle Frauen, die ohne erkennbare Ursache mehrere Fehlgeburten hatten, ihre Schwangerschaft erfolgreich austragen konnten, als sie wöchentlich zum Arzt gingen, jedes Mal per Ultraschall untersucht und besonders liebevoll und sorgfältig betreut wurden", erklärt Dr. Jael Backe.

Ein erstaunliches Ergebnis, das zeigt: Die Psyche spielt eine enorme Rolle in der Schwangerschaft, nimmt Einfluss auf ihren gesunden Verlauf und die gute Entwicklung des Babys. "Ich stelle immer wieder fest, wie wirkungsvoll Tender Loving Care ist, nicht nur bei Frauen mit wiederholten Fehlgeburten", sagt Dr. Jael Backe. "Viele unklare Befunde wie Ziehen, Stechen und Druckgefühl im Bauch, hartnäckige Verstopfung, Übelkeit, Schwindelgefühle und Sodbrennen verschwinden oft schon, wenn ich mir Zeit für die Patientin nehme, ein beruhigendes Gespräch führe, die Symptome ernst nehme und die meist ungefährlichen Ursachen erkläre." Oft stelle sich im Gespräch auch heraus, dass die Frau unter ganz anderen Belastungen leide: Partnerschaftsprobleme, Angst vor dem Mutterwerden, übertriebene Sorge um das Baby.

Guter Hoffnung sein? Das war einmal!

Bei vielen Schwangeren überwiegt die Sorge um die Freude auf das Kind

Dr. Jael Backe wundert sich, dass es die Betrachtung der psychischen Gesundheit bis heute nicht geschafft hat, ein Plätzchen im Mutterpass zu ergattern. Seit seinen schmächtigen Anfängen vor über 50 Jahren hat sich das blaue Heft zu einem stattlichen Katalog entwickelt, der bis zur Geburt über 150 Messungen und Analysen vorsieht und alle nur erdenklichen Schwangerschaftsrisiken abfragt. Mit jeder Neufassung der Mutterschaftsrichtlinien kommen neue Laboranalysen dazu. Erst im vergangenen Jahr wurde das Screening auf Gestationsdiabetes als Routineuntersuchung mit aufgenommen, derzeit wird diskutiert, jede Schwangere auch auf Präeklampsie durchzuchecken. Hinzu kommen jede Menge individuelle Gesundheitsleistungen, deren Kosten die Kassen zwar nicht übernehmen, die aber von den verunsicherten Schwangeren meist bereitwillig selbst bezahlt werden: Tests auf Toxoplasmose, Zytomegalie, Streptokokken - der Katalog der Wahlleistungen ist lang.

Die Fokussierung auf das Pathologische bringt vor allem eines: Als Schwangere fühlt man sich irgendwie krank, zumindest aber besorgt. In einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Schwangerschaftserleben gaben 35 Prozent der Frauen an, sich Sorgen zu machen. Das ist dramatisch, aber absoluter Alltag in den gynäkologischen Praxen. "Manchmal kann ich abends den Satz 'Ich mache mir Sorgen' nicht mehr hören", gibt Dr. Jael Backe zu.

Zur Vorsorge gehört die Anspannung: Hoffentlich ist auch alles in Ordnung mit dem Baby! Durchatmen ist nur erlaubt, wenn der Arzt grünes Licht gibt. Das Fatale: Die Erleichterung hält nicht lange an. Selbst wenn alle Messwerte im Normbereich sind und der Ultraschall ein gesundes Baby attestiert, schleicht sich die Unsicherheit zu Hause wieder ein: Was hat der Arzt gesagt? Es könnte etwas mehr Fruchtwasser da sein? Das Füßchen sah etwas eingeknickt aus? Wer dann noch anfängt, im Internet nach Erklärungen zu suchen, macht sich vollends verrückt.

Gute Hoffnung? Freudige Erwartung? Bei vielen Schwangeren stehen die Freude auf das Kind und die Sorge um das Kind in keinem guten Verhältnis mehr. Dabei wünschen sich die Frauen nichts sehnlicher als die rosarote Brille: "Immer wieder beobachte ich, wie werdende Mütter ihren nüchternen Mutterpass liebevoll mit bunten Hüllen und verspielten Bildern von Babys, kleinen Füßchen und Babyschuhen verzieren", erzählt Dr. Backe. Auf sie wirke das wie der Versuch, der Freude und der Liebe doch noch einen Platz im Mutterpass zu verschaffen.

Persönliche Vorsorge bei der Hebamme

Nicht bei allen Frauen funktioniert das so einfach. "Schwangere sind heute nachhaltig verunsichert", sagt Katharina Jeschke, Präsidiumsmitglied im deutschen Hebammenverband. Gründe kennt die Hebamme viele: Die Familie sei heute kein Hort der Erfahrung mehr, in dem Wissen über Schwangerschaft und Geburt einfach weitergegeben wird und für Sicherheit sorgen kann. "Gleichzeitig bekommen Frauen heute nur noch wenige Kinder, und jedes Kind ist etwas ganz Besonderes, an das die werdenden Eltern all ihre Hoffnungen und Erwartungen knüpfen", so Jeschke. Weil man aber nur bedingt Einfluss auf das Ergebnis habe, mache das Kinderkriegen auch Angst.

Diese Gründe zeigten, dass man der Unsicherheit der Schwangeren nicht mit immer mehr Untersuchungen, Messungen und Analysen begegnen sollte. "Es geht nicht darum, die medizinischen Diagnoseverfahren zu verteufeln, ohne sie werden wir nicht mehr auskommen", weiß auch Jeschke, aber: "Wir Hebammen sehen in der Schwangerenvorsorge doch immer noch in erster Linie die Begleitung einer gesunden Frau in die Mutterschaft. Und viel wichtiger als die medizinische Überwachung ist, anzuerkennen, dass Kinderkriegen einen riesigen biografischen Wandel bedeutet, der positiv, warmherzig und sensibel begleitet werden sollte."

Ein wunderbarer Ansatz, der vielen Frauen die nötige Zuversicht bringen könnte. Stellt sich die Frage, warum sich so wenige Deutsche in der Schwangerschaft von einer Hebamme betreuen lassen. Ihre Zahl ist zwar in den letzten Jahren steigend, aber nach Schätzungen dürften es nicht mehr als fünf Prozent aller Schwangeren sein. In anderen Ländern wie Holland oder Großbritannien ist es völlig normal, den Arzt nur zu den Ultraschallterminen oder bei Problemen zu treffen.

Seitdem die Frauenärzte Anfang der 60er-Jahre die Schwangeren mit einem Bonusprogramm in die Arztpraxen lockten (für den Besuch aller Vorsorgetermine gab es bis in die 80er-Jahre 100 Mark geschenkt), ist es dagegen in Deutschland völlig normal geworden, zur Vorsorge zum Gynäkologen zu gehen. "Viele Frauen wissen nicht, dass sie genauso gut zur Hebamme gehen könnten", kritisiert Katharina Jeschke. Hinzu kommt, dass die allermeisten Frauen auf die (vermeintliche) Sicherheit der ärztlichen Betreuung nicht mehr verzichten möchten.

So bleibt für besorgte und ängstliche Schwangere vor allem der Rat: sich viel Zeit zu nehmen, um die richtige Begleitung in der Schwangerschaft zu finden. Wer schon immer ein blödes Gefühl bei seinem Frauenarzt hatte, sollte sich jetzt unbedingt jemand Neuen suchen. Denn nichts ist in der Schwangerschaft kostbarer als ein gutes Bauchgefühl.


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