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Klare Worte Ich sage auch fremden Kindern, wann Schluss mit lustig ist

Frau schaut auf Kinder und stemmt die Hand in die Hüfte
© BNMK0819 / Shutterstock
Viele Mütter schimpfen höchstens den eigenen Nachwuchs. Merle nicht: Sie motzt auch fremde Kinder an. Und ärgert sich über falsch verstandene Fürsorge.

Das erste Mal war es mir noch etwas unangenehm. Das Gefühl in meinem Bauch erinnerte ein wenig an früher, wenn ich als Achtjährige auf dem Weg zum Ballettunterricht beim Obststand immer ein paar Kirschen klaute. Und wusste: So richtig korrekt ist das jetzt nicht, aber auch nicht supertotalverboten.

Das erste Mal passierte in der Krippe meines Sohnes Jul. Ich war gerade dabei ihn abzuholen, er saß auf meinem Schoß, und ich zog ihm die Hausschuhe aus, während er andächtig mit einem Plastikschraubenschüssel spielte. Uns gegenüber saß die Mutter von Peter. Geduldig wartete sie darauf, dass Peter, fast drei, davon ablassen würde, den herumkrabbelnden Babys auf den Kopf zu hauen.

Ich kannte Peter nun seit einem halben Jahr und wusste: Das dauert, denn Babys-auf-den-Kopf-hauen war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. So wie Schubsen. Oder anderen Krippenkindern Bilderbücher, Legosteine und Autos entreißen.

Genau da schnappte sich Peter Juls Schraubenschlüssel. Und wartete. Ich wartete auch. Auf Peters Mutter. Auf eine einordnende und erwachsene Geste, die ihrem Kind mitgeben würde: Das war nicht okay, so funktioniert Zusammenleben nicht.

Wir warteten beide vergeblich, der Peter und ich, denn statt zu heulen, schaute Jul lediglich verwundert seinem Spielzeug hinterher, und die einzige Reaktion, die Peters Mutter zustande brachte, war – ein müdes Lächeln.

Das typische Beispiel einer Weichei-Mutti

Mir wurde sehr heiß. Ich dachte an all die Situationen, in denen Peter das letzte halbe Jahr meinen Sohn vom Stuhl geschubst, getreten oder ihm etwas weggenommen hatte. Ich: "Gib das zurück. SOFORT!" – Peter schaute verdutzt zu mir, dann zu seiner Mutter. Die zuckte mit den Schultern. "Peter. JETZT!" Und tatsächlich, ohne zu versuchen, den Schraubenschlüssel vorher einem der Babys über den Kopf zu ziehen, gab er ihn Jul wieder.

Mühsam presste ich ein "Dankeschön" hervor, während ich damit rechnete, von Peters Mutter angepampt zu werden (irgendwas in Richtung von: "Was sollte das denn?" oder "In Zukunft lässt du mich das selbst klären.") Aber nichts. Und im Nu wich mein schlechtes Gewissen, ein fremdes Kind wie eine fiese Gouvernante zur Rechenschaft gezogen zu haben, einem Anflug von Verachtung.

Da saß es vor mir, das typische Beispiel einer Weichei-Mutti, deren Erziehungsmantra, falls sie denn überhaupt eines hatte, lautete: bloß nichts sagen. Bloß nicht Stellung beziehen. Bloß nicht die Frustrationstoleranz des eigenen Kindes stärken. Bloß nicht auffallen. Sollen doch die anderen Opfer bringen (und sich mit ihren heulenden Kindern auseinandersetzen), Hauptsache, das eigene Kind, Verursacher des Dramas, kann unbehelligt weiterspielen. Frei nach den Leitsätzen aller Memmen-Eltern: "Is’ was?" und "Also, uns stört’s nicht."

Ihr könnt den Mund nicht aufmachen? Ich schon

Danke. Hab ich begriffen. Schön auch, dass ihr euren Erziehungsauftrag einfach an eure Mitmenschen abgebt, weil ihr zu feige, zu bequem oder zu "busy" seid, um euren Kindern ein wenig Anstand beizubringen. Und in Menschen wie mir den Blockwart hervorkitzelt, der fremde Kinder an Rutsche, Wasserpumpe oder Schaukel anmotzt, weil ihr nicht in der Lage seid, der Fünfjährigen zu sagen, dass nach einer Viertelstunde Schaukeln auch mal andere an der Reihe sind ("Luischen, aber nur noch ein bisschen"). Haha. Oder, dass die Knabberdrachen in meiner Tasche nicht als Nachmittagssnack für euren Sohn gedacht sind, der gerade mein Hab und Gut durchwühlt, obwohl ich ihn NICHT kenne.

Vielleicht könnt ihr den Mund nicht aufmachen. Ich schon. Und so, wie euch eure Kinder am nächsten sind und ihr sie in falsch verstandener Fürsorge davor verschont zu merken, dass sie für den Rest der Welt keine allein funkelnden Sterne am Firmament sind, stehe ich meinen zur Seite und sorge dafür, dass sie einen Platz auf der Schaukel haben.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei BRIGITTE.de.


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