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Öffentliches Stillen Immer noch ein Tabu?

Öffentliches Stillen: eine Frau stillt ihr Baby in einem Café
© Iryna Inshyna / Shutterstock
Warum sich Nora gern an eine Szene aus ihrer Kindheit erinnert. Und findet, Mütter müssen sich nicht verstecken, wenn sie ihrem Baby die Brust geben.

So sieht Stillen aus

Als ich zum ersten Mal ganz bewusst eine Frau stillen sah, war ich um die sechs Jahre alt. Klar, als Baby war ich selbst gestillt worden, und als Kleinkind hatte ich sicher auch öfter meine Mutter meinen kleinen Bruder stillen sehen. Doch daran habe ich keine bewusste Erinnerung.

Woran ich mich jedoch noch sehr genau erinnere, ist der Besuch einer Cousine meines Vaters mit ihrem kleinen Baby, bei dem sie sich irgendwann zum Stillen zurückziehen wollte. "Oh, darf ich mitkommen und zuschauen?", fragte ich neugierig, was meinen Eltern etwas peinlich war. Doch die Cousine sagte nur: "Klar, warum nicht?" Und so schaute ich fasziniert zu, wie sie ihre Bluse aufknöpfte und wie ihr Baby so zielsicher wie entschlossen genau an der richtigen Stelle andockte und rhythmisch zu saugen begann, während es sich mit seiner winzigen Hand an ihrem Finger festkrallte. Ich war völlig fasziniert. Es schien die perfekte Einheit zu sein: Mama und Milch, Baby und Brust. Und dabei sahen die beiden so entspannt und zufrieden aus!

Fortan stillte ich meine Puppenbabys mit besonderer Inbrunst. Und als ich viele Jahre später selbst mein erstes Kind erwartete, war für mich von Anfang an klar: Natürlich würde ich dieses Baby stillen. Und es würde sich so wunderschön und perfekt anfühlen, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Auf die Warnungen meiner Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs gab ich entsprechend wenig. Stillprobleme? Ich doch nicht!

Anders als gedacht

Entsprechend hart war der Aufprall, als meine ersten Stillversuche mal so gar nicht entspannt und schön waren. Sondern im Gegenteil ziemlich scheußlich. Zuerst konnte mein Baby die Brust kaum fassen, dann war auch schon alles wund, und bei jedem Ansaugen durchzuckte mich so ein starker, stechender Schmerz, dass ich auf einen Kochlöffel biss, um nicht laut aufzuschreien. Unzählige Quarkwickel, Kohleinlagen, Brusthütchen und Schwarztee-Kompressen später war ich kurz davor aufzugeben. Ich weinte bei jeder Stillmahlzeit. Ich hatte Angst davor, dass mein Baby aufwacht und schon wieder trinken will. Es war furchtbar.

Hätte ich damals, als alles so schlimm war, einfach guten Gewissens abstillen können? Natürlich. Mutterqualitäten hängen nicht vom Stillen ab, und auch mit Pulvermilch und Fläschchen werden Babys prima groß. Und gleichzeitig war da dieses Bild in meinem Kopf, wie Stillen auch sein kann: leicht und verbindend und schön. Ich hatte doch selbst gesehen, dass das geht! Warum konnte ich das nicht auch einfach haben? Ich wollte es doch so unbedingt! Also versuchte ich es weiter. Wochenlang.

Und dann wurde es langsam besser. Die Schmerzen ließen nach, die Brust heilte. Mein Baby lernte, richtig anzudocken, und manchmal griff es beim Trinken mit seiner kleinen Hand nach meiner, als wollte es sagen: Komm, wir schaffen das zusammen. Zumindest redete ich mir das ein. Denn ganz ehrlich: Nach all den Strapazen war kein Gedanke zu kitschig, um mir beim Durchhalten zu helfen.

Jetzt aufhören?

Als das Stillen dann endlich so war, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, war mein Baby schon fast ein halbes Jahr alt. "Na, dann können Sie ja jetzt endlich abstillen!", sagte der Kinderarzt bei der U5 fröhlich. Und ich weiß noch, wie ich dachte: Ist der wahnsinnig? Ausgerechnet jetzt, wo nach all der Anstrengung endlich alles gut ist, soll ich schon wieder aufhören?

Ich stillte dann nicht ab. Sondern beschloss, meinem Kind und mir noch mindestens so viele gute Stillmonate zu gönnen, wie wir schlimme hinter uns hatten. Sozusagen zur Belohnung für uns beide.

Seitdem habe ich noch unzählige Stunden damit verbracht, meine Kinder zu stillen. Ob zu Hause oder unterwegs, durch Wachstumsschübe hindurch oder zum Einschlafen: Stillen ist so ein selbstverständlicher Teil meines Alltags geworden, dass ich kaum noch darüber nachdenke und allmählich die Fähigkeit entwickelt habe, wirklich immer und überall zu stillen, auch in der Straßenbahn oder im Flugzeug, auf der Rolltreppe oder im Riesenrad.

So kommt es, dass ich dabei immer wieder kleine Zuschauer habe: meine eigenen Kinder natürlich, aber auch andere neugierige kleine Nasen, die nur mal gucken wollen. Den Eltern ist das immer ein bisschen peinlich, weil Stillen ja was Intimes ist, aber mir macht das nichts aus. Im Gegenteil: Ich finde es wichtig, dass Kinder Mütter beim Stillen sehen. Denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wertvoll es sein kann, ein solches Bild im Kopf zu haben und zu wissen: Genau das ist es, was ich später auch mal will. Für mein Baby. Und für mich selbst.

Nora Imlau schreibt als freie Autorin für ELTERN, sie hat einen erfolgreichen Blog (nora-imlau.de) und viel Erfolg mit Bestsellern wie "So viel Freude, so viel Wut", Kösel, 20 Euro, oder "Mein Familienkompass", Ullstein, 22,99 Euro.

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