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Mobbing auf dem Schulhof Angst vor den Mitschüler:innen

Mobbing
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Kleine Streitigkeiten im Klassenzimmer kommen ab und an vor – kein Grund zur Sorge. Wenn Kinder jedoch Zielscheibe permanenter Übergriffe durch ihre Schulkamerad:innen werden, sollten Eltern handeln.

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Hier ein verstecktes Federmäppchen, dort ein schlechter Scherz auf Kosten des Mitschülers oder der Mitschülerin - kleine Hänseleien unter Klassenkamerad:innen gehören zum Schulalltag wie die große Pause und das Zeugnis. Wenn sie auch oft harmlos und schnell vom Tisch sind: Zum Problem werden sie dann, wenn einzelne Kinder systematisch ausgegrenzt und schikaniert werden. Nach Ansicht von Expert:innen ist jedes sechste Kind in Deutschland von Mobbing in der Schule betroffen.

Kind wehrt sich nicht

Was ist Schulmobbing?

Nicht jede kleine Feindseligkeit ist schon Mobbing

Wiltrud Richter, Schulpsychologin an den Nymphenburger Schulen in München und aktives Mitglied von KIBBS (Kriseninterventions- und Bewältigungsteam der bayerischen Schulpsychologen), sieht im Mobbing unter Schüler:innen ein weithin unterschätztes Problem: "Viele Fälle von Schulmobbing sind nicht bekannt, es gibt eine hohe Dunkelziffer. Hinzu kommt, dass das Mobbing oft bagatellisiert und zu wenig ernst genommen wird." Weil die Betroffenen extrem leiden, schlichtweg nicht mehr gerne in die Schule gehen und ernsthaft erkranken können, muss das Problembewusstsein bei Eltern und Lehrer:innen ihrer Ansicht nach wachsen: "Man darf nicht wegschauen. Eltern und Lehrkräfte sollten hinsehen und das Problem beim Namen nennen."
Der Begriff Mobbing kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie anpöbeln, fertigmachen oder über jemanden herfallen. Geprägt wurde er in der Verhaltensforschung, erst später hat ihn die Schulpsychologie übernommen. Während der letzten Jahre fällt das Wort Mobbing immer dann, wenn es um verschiedene Formen psychischer Gewalt gegen Kolleg:innen im Arbeitsleben geht. Nicht jede kleine Feindseligkeit in der Klasse verdient schon das Etikett "Schulmobbing". Psycholog:innen und Expert:innen sprechen nur dann von Mobbing, wenn ein oder mehrere Personen einen Mitschüler oder eine Mitschülerin regelmäßig, andauernd und systematisch ausschließen und drangsalieren. Mit dem einzigen Ziel, den anderen "fertigzumachen".

Schulmobbing hat viele Facetten

Was aber steckt hinter dem Wort "Schulmobbing"? Entscheidend ist, dass die permanente Schikane viele Gesichter haben kann: Verbale Attacken wie hässliche Bemerkungen über die zu große Nase, Lästereien über die uncoole no-name-Jeans oder das Verbreiten böser Gerüchte über die Eltern gehören ebenso dazu wie Treten, Schlagen und das Bekritzeln oder Zerreißen von Heften, Büchern oder Kleidung. Eine Art stillschweigende Verachtung ist das psychische, so genannte "stumme Mobbing": Ein Mitschüler oder eine Mitschülerin wird links liegengelassen, vor allen bloßgestellt und aus Gesprächen ausgeschlossen. Was folgt, ist die schrittweise Ausgrenzung aus der Gruppe.

Wie entsteht Schulmobbing?

Der Auslöser für das Mobbing ist in den meisten Fällen ein unterschwelliger Konflikt, der die unterschiedlichsten Ursachen haben kann. Überforderung, Unterforderung oder ein gestörtes Klassenklima beispielsweise bieten besonders in der weiterführenden Schule den Nährboden für Konfrontationen. Körperliche oder technische Unterschiede, beispielsweise nicht das neueste Handy zu besitzen, können ebenfalls der Auslöser sein. Vereinfacht gesagt: Eigentlich alles, was das Kind individuell macht oder es sonst wie herausstechen lässt. Eine Zahnspange, eine Brille oder gute Noten können genauso ein Grund sein wie die Nationalität, Sexualität oder Religion eines Kindes. Auch bestimmte Umstände wie die Scheidung der Eltern können eine Angriffsfläche bieten. Das Spektrum für Mobbing-Situationen ist vielseitig. Statistisch gesehen gibt es allerdings kein besonderes Merkmal, das dazu führt, häufiger von Mobbing betroffen zu sein. Die einzige Ausnahme ist Übergewicht.In der Grundschule ist Mobbing unter Kindern eher selten, sagt die Mobbing-Forschung: Kinder zwischen 6 und 10 Jahren vergessen schnell, es gibt kaum Fälle, in denen einzelne Kinder über einen längeren Zeitraum ausgeschlossen bleiben. 

Mein Kind – von Mobbing betroffen?

Jedes Kind kann von Mobbing betroffen sein. Weil es meist um die Rangordnung in der Klasse geht, sind Kinder, die zum Beispiel nach einem Umzug oder einem Schulwechsel in eine feste Klassenhierarchie hineingeraten, möglicherweise betroffen. Nach der Erfahrung von Schulpsychologin Wiltrud Richter spielen dabei auch bestimmte Persönlichkeitszüge eine Rolle: "Überangepasste, gutgläubige und unsichere Kinder werden häufiger als andere Kinder von ihren Schulkameraden und Schulkameradinnen gemobbt." Anfeindungen, so die Psychologin, richteten sich zudem häufig gegen Kinder, die sich in irgendeiner Form von der Masse abheben: "Besonders oft sind Kinder betroffen, die ein wenig anders sind als der Rest, beispielsweise durch eine andere Sprache, besonders gute oder schlechte Noten."

Warnzeichen

Generell gilt: Die betroffenen Kinder brauchen dringend Hilfe von außen. Meist leiden sie still vor sich hin und ziehen sich zurück, suchen den Fehler allein bei sich selbst. Sie sind nicht selten vollkommen unfähig, die Probleme selbstständig zu bewältigen. Zwar muss nicht jeder Krach in der Klasse den Eltern Anlass geben, das eigene Kind als von Mobbing betroffen zu sehen. Streiten ist wichtig – nur so lernen Kinder, Konflikte zu erkennen und zu lösen. Aufmerksam werden sollten Eltern allerdings, wenn sie Veränderungen beim Kind wahrnehmen. Warnsignale dafür, dass ein Kind gemobbt wird, sind:

  • Das Kind möchte immer häufiger nicht zur Schule gehen und klagt regelmäßig über Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit oder Albträume.
  • Der größte Anteil körperlichen Mobbings findet auf dem Schulweg statt. Wenn das Kind plötzlich nicht mehr allein zur Schule gehen will, ist das möglicherweise ein Hinweis darauf, dass ihm körperliche Gewalt zumindest angedroht wird.
  • Das Kind wird plötzlich nicht mehr zu Geburtstagsfesten eingeladen und hat immer weniger Kontakte zu gleichaltrigen.
  • Der Sportunterricht macht dem Kind keinen Spaß mehr, weil kein Mitschüler:in es bei Mannschaftssportarten in seinem Team haben möchte.
  • Das Kind wirkt seit einiger Zeit verschlossen und zieht sich mehr und mehr zurück, obwohl es zuvor immer aufgeschlossen und fröhlich war.
  • Die schulischen Leistungen fallen ab.
  • Das Selbstbewusstsein des Kindes sinkt merklich.
  • Das Kind kommt gar mit Verletzungen nach Hause.

Schulmobbing – und was dann?

Wenn Eltern Auffälligkeiten beobachten, sollten sie zunächst versuchen, behutsam nachzuforschen, ob in der Schule alles in Ordnung ist. Sprecht mit eurem Kind über den Klassenzusammenhalt, die Pausen, die Schulstunden. Hört aufmerksam zu – so der Rat von Wiltrud Richter: "Eltern sollten ihre Kinder ernst nehmen und das Problem auf keinen Fall ignorieren oder es dem Kind ausreden. Sich einen Überblick über das Geschehen zu verschaffen, ist extrem wichtig." Bevor erste Maßnahmen getroffen werden, sollten die Eltern allerdings sicher sein, dass das Kind bereit ist, sich dem Problem zu stellen. Natürlich wollen wir als Erwachsene die Situation schnellstmöglich lösen, aber das Kind sollte nicht unter Druck gesetzt werden und den nächsten Schritt selbst wollen. Ansonsten kann es passieren, dass es das Vertrauen in die Eltern verliert und in Zukunft nicht mehr über die Probleme spricht. Erste Anlaufstation für die Eltern betroffener Kinder ist der Klassenleiter oder die Klassenleiterin. Er kann das Thema in der Klasse zur Sprache bringen und den Weg zur Konfliktlösung bahnen. Wer professionelle Hilfe bei einer solchen Intervention nutzen will, kann sich bei einer der Hilfsorganisationen melden, die unten aufgeführt sind.

Das erste Gespräch: Wie geht das?

Das Wichtigste: Das erste Gespräch darf kein Verhör sein. Es geht nicht darum, Frage an Frage aneinanderzureihen. Denn die meisten Kinder verschließen sich nur noch mehr, wenn sie Fragen beantworten sollen, die ihnen unangenehm sind. Stattdessen sollten Eltern lieber ruhig bleiben und vor allem die Probleme des Kindes ernst nehmen und sich Zeit nehmen. Das Kind wünscht sich in dem Moment des Gesprächs nichts mehr als Sicherheit, Zuversicht und Mut. Auch wenn es schwer ist, sollten Eltern deshalb ihre Emotionen zurückstellen und ruhig bleiben. Im ersten Schritt reicht es oft, dem Kind Mut zuzusprechen, etwa so: 'Hey, ich verstehe, dass es dir gerade nicht gut geht und an deiner Stelle ginge es mir wahrscheinlich auch nicht gut, aber ich bin mir sicher: Wir können das gemeinsam lösen'. Das hat eine ganz andere Aussage als: 'Wehr dich doch mal', 'Überleg doch mal, ob du wirklich nichts getan hast' oder: 'Geh dem Typen doch einfach aus dem Weg'. Das sind klassische Aussagen, die laut Marek Fink, dem Gründer des Vereins "Zeichen gegen Mobbing e.V.", leider immer wieder ausgesprochen werden. Doch solche Tipps sind in Mobbing-Situationen fehl am Platz. Eltern sollten dem Kind auch auf keinen Fall die Schuld daran geben, fertiggemacht zu werden.

Zusätzlich sollten Eltern Folgendes beachten:

  • Informiert den Lehrer oder die Lehrerin und fordert, dass gehandelt wird: Mobbingsituationen, die erst einmal verfestigt sind, sind schwer aufzulösen. Der oder die Klassenleiter:in kann auch einen oder eine Schulpsycholog:in, eine andere Hilfsstelle oder Vertrauens- oder Beratungslehrer:in einschalten oder das Problem im Kreis der Kolleg:innen thematisieren.
  • Plant das Gespräch mit der Lehrkraft sorgfältig und überlegt, was ihr als Eltern von der Schule erwartet. Am Gespräch sollten außerdem beide Eltern teilnehmen.
  • Bleibt beim schildern der Vorfälle sachlich. Schuldzuweisungen an die Lehrkraft sind kontraproduktiv. Setzt euch mit ihm oder ihr in dasselbe Boot – und entwickelt zusammen konkrete Strategien.
  • Vergewissert euch bei eurem Kind, dass der Lehrer oder die Lehrerin tatsächlich etwas unternommen hat. Wenn nicht, sprecht es erneut an und schaltet notfalls den oder die Direktor:in der Schule ein. Er oder sie ist verpflichtet, für das Wohl eures Kindes zu sorgen. Notfalls könnt ihr euch auch direkt an den psychologischen Schuldienst wenden.
  • Außerdem kann es sinnvoll sein, ein Mobbing-Tagebuch zu führen: Darin werden die einzelnen Vorfälle schriftlich dokumentiert. So kann der Mobbing-Verlauf im Nachhinein immer wieder rekonstruiert werden.

Aufgeklärte Eltern können ihren Kindern helfen, Situationen richtig einzuordnen und dafür sorgen, dass es dem Kind besser geht. Die schulische Sozialberatung wird selten von Kindern genutzt. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass diese sich zu nah am Schulgeschehen befindet. Sich Erwachsenen anzuvertrauen, hat viel mit dem Vertrauen in die Gesprächspersonen zu tun. Kinder, die unter Mobbing leiden, haben oft Angst, dass sich ihre Situation verschlimmert, wenn sie versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Außerdem sind sie oft beschämt, dass sie die Situation alleine nicht bewältigen können.

Sich die Mobbenden selbst vornehmen?

Bei allen Schritten, die die Eltern unternehmen, sollten sie mit viel Fingerspitzengefühl vorgehen, um es für ihr Kind nicht noch schlimmer zu machen. Darum: Auf keinen Fall mit den Täter:innen selbst sprechen! Euer Kind könnte unter noch größeren Druck geraten, wenn diese merken, dass es zu schwach ist, sich selbst zu wehren. Auch die Eltern der Mobbenden sind nicht die richtigen Ansprechpartner:innen: Sie werden ihr Kind schützen wollen und sein Fehlverhalten auf diese Weise indirekt unterstützen. Und schließlich: Eltern sollten die Schuld nicht beim eigenen Kind suchen! Kein Kind hat das Recht, ein anderes zu terrorisieren. Schulpsychologin Wiltrud Richter sagt dazu: "Viel zu häufig wird die Schuld in der Empfindlichkeit der Opfer gesucht. Das ist der falsche Weg. Mit pädagogischer Nachsicht für die Täter und Täterinnen kommt man in konkreten Mobbingfällen nicht weiter." Die Botschaft: Jedes Kind ist auf seine Weise liebenswert und verdient es, mit Respekt behandelt zu werden.

Hilft ein Schulwechsel?

Wenn sich die Lehrenden überfordert fühlen und sich das Verhalten der Mobber:innen nicht durchschlagend ändert, heißt die letzte Alternative für viele Eltern: Schulwechsel. Man muss sich allerdings vor Augen führen, dass das Problem damit nicht gelöst, sondern lediglich an einen anderen Ort verschoben wird. In der neuen Klasse ist das Kind wiederum Außenseiter:in, muss sich erst einfügen und anpassen – eine neue potenzielle Mobbing-Klippe, die das Kind umschiffen muss. Außerdem kann es Monate dauern, bis das Kind aus der Klasse, in der es gemobbt wird, herausgeholt wird, was das Gefühl verstärken kann: 'Ich bin doch das Problem und muss in eine neue, mir fremde Klasse gehen.' Das führt erneut zu Traurigkeit, Einsamkeit und einem schlechten Selbstwertgefühl. Darum sollten Eltern in jedem Fall zunächst alle angesprochenen Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung ausschöpfen, um dem eigenen Kind einen Verbleib auf der alten Schule zu ermöglichen. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, das Kind soweit zu stärken, dass es sich selbst wehren kann und ein größeres Selbstvertrauen gewinnt. Denn je länger ein Kind in einer Mobbing-Situation steckt, desto mehr verliert es an Selbstvertrauen. Nein sagen lernen, heißt die Devise. Ein Selbstsicherheitstraining bei der psychologischen Schulberatung kann ein erster Schritt sein.

Hilfsstellen bei Mobbing:

https://zeichen-gegen-mobbing.de/hilfe 

Zeichen gegen Mobbing e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich auf Präventionskurse in Schulen spezialisiert hat. 50 Prozent der von Mobbing getroffenen Kinder melden sich nach ihren Workshops bei dem Verein und erhalten Hilfe von etwa 150 jungen Ehrenamtlichen. Ergänzend bieten sie auch Interventionen für Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte an – und das bundesweit.

https://www.juuuport.de/beratung

Juuuport ist eine Online-Plattform bei Hilfe gegen Cyber-Mobbing. Betroffene Kinder können sich hier anonym melden und sich schrittweise Hilfe holen.


www.mobbing-zentrale.de


www.schueler-gegen-mobbing.de

Ein Forum, eingerichtet von Alexander Hemker, einem Hamburger Schüler, der jahrelang unter Mobbing litt. Hier tauschen sich Mobbing-Betroffene aus und finden Tipps, um damit fertig zu werden.

Bücher zum Thema Mobbing auf dem Schulhof:

Heike Leye
Mobbing in der Schule – Das Praxisbuch: Profi-Tipps und Materialien aus der Lehrerfortbildung (Alle Klassenstufen)
Auer Verlag in der AAP Lehrerwelt GmbH, 25,90 Euro

Sebastian Wachs, Markus Hess, Herbert Scheithauer, Wilfried Schubarth
Mobbing an Schulen: Erkennen - Handeln - Vorbeugen (Brennpunkt Schule)
W. Kohlhammer GmbH, 29,00 Euro

Tobias Bücklein
TikTok, Snapchat und Instagram – Der Elternratgeber: Risiken und Gefahren kennen
Stiftung Warentest, 16,90 Euro


Jo-Jacqueline Eckhardt:
Mobbing bei Kindern. Erkennen, helfen, vorbeugen.
Urania, 12,95 Euro

Zusätzlich verwendete Quellen: Zeichen gegen Mobbing e.V.


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