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Mental Load Immer an alles denken: Was hilft Eltern aus der Stressfalle?

Mutter mit zwei Kindern kämpft mit ihrer Mental Load
© Kubko / Shutterstock
Wenn das Gehirn vor lauter Planungen nicht mehr zur Ruhe kommt, dann ist der Mental Load wahrscheinlich zu groß. Mental Load bedeutet, ständig für andere mitzudenken, und belastet vor allem Eltern, meist die Mütter. Aber was macht eine große mentale Last auf Dauer mit uns und gibt es Wege, wie wir sie besser teilen können?

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Mental-Load. Ein Szenario Dienstagmorgen um halb sieben: Warum sind da schon wieder so viele Nachrichten auf meinem Handy? Ignorieren! Später lesen. Vielleicht schaffe ich es ins Bad bevor der Kleine wach wird. Schnell duschen. Der Föhn macht komische Geräusche. Okay, dann besser lufttrocknen lassen. Brauche ich wirklich einen neuen Föhn? Brotdose für den Großen vorbereiten. Mist, warum ist kein Käse mehr da? Muss ich mir merken. Milch ist auch fast alle. Ach ja, es ist Dienstag, Sporttasche einpacken, schnell noch den Basisplan unterschreiben, das hätte ich fast vergessen. Oh, da liegt ja noch das Buch aus der Bücherausleihe vom Kleinen. Das müssen wir heute endlich mal zurückgeben. Hat mein Mann gestern eigentlich Windeln mit in die Kita gebracht? Und wo sind schon wieder die verdammten Gummistiefel? Ich stehe im Flur, die Haare nass und überlege, wie ich alle doch noch pünktlich und vollständig angezogen aus dem Haus bekomme.

Wenn ich dann irgendwann gegen 9 Uhr an meinen Schreibtisch sinke, um meinen bezahlten Arbeitstag zu starten, fühle ich mich oft so, als hätte ich schon Stunden gearbeitet – und die nie enden-wollende To-Do-Liste rattert im Hintergrund unbeirrt weiter (Wann ist nochmal die U7a? Hatten wir schon das Zugticket für das lange Wochenende gebucht? Ist mein Mann morgen auch im Home Office oder im Büro? Hatte ich Freundin X eigentlich auf ihre Nachricht geantwortet? Und ganz wichtig: Wie lange kann ich nasse Wäsche bedenkenlos in der Maschine lassen, bevor sie anfängt zu schimmeln?). 

Mental Load: Was macht das ständige An-alles-denken müssen mit uns?

Immer erreichbar sein. Ein Phänomen der digitalen Gesellschaft. Ich hatte noch eine analoge Kindheit und Jugend. Die Erinnerung daran, wie sich das Leben vor dem ersten aufgezwungenen Nokia-Handy nach dem Führerschein mit 18 angefühlt hat, verblasst langsam. Aber gedanklich schießt mir als Erstes das Wort "Freiheit" in den Kopf. Denn nicht immer zu wissen, was andere von einem wollen, befreit! Weil die reale oder angenommene Erwartung, immer direkt auf alles zeitnah reagieren zu müssen, entfällt.

Aber das ständige erreichbar und vernetzt sein, ist ja nur ein Teil des Mental Load von Eltern. Den viel größeren Teil gab es längst vor der Digitalisierung. Nämlich die tägliche Organisation des Familienlebens oder das damit einhergehende Mitdenken für andere, das wir uns oft ungefragt aufbürden. Es sind die vermeintlich kleinen Dinge – wie sich zu merken, welches Kind welches Spielzeug wo hingelegt hat, um es dann beim verzweifelten "Suchen" auf diesen unglaublich gut versteckten Fundort hinzuweisen. Aber mit jeder zusätzlichen Planung und jeder unbewussten Registrierung von Dingen, die vermeintlich nur wir im Hinterkopf behalten können, deren Erledigung aber eigentlich nicht zu unseren direkten Aufgaben zählt, wächst der Mental Load stetig an. Bis er unser Leben bestimmt.

Sich Dinge nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere merken zu müssen: Wer wann wo sein muss, wer wen wann von wo abholt und wer wann nicht da ist – das schlaucht. Psycholog:innen gehen inzwischen davon aus, dass uns ein hoher Mental Load auf Dauer nicht nur psychisch belastet, sondern in einigen Fällen sogar zu einem Zusammenbruch, zu einem Burn-Out führen kann. Unser Gehirn braucht Pausen. Wir brauchen ruhige Momente, um die Welt auf uns wirken zu lassen. Uns selbst in dieser Welt wahrzunehmen. Das klingt so einfach – und ist doch für viele Eltern im Alltag ein fast unerreichbares Unterfangen

Die permanente Organisation des Familienlebens, die im Hintergrund immer mitläuft, gab es also schon immer. Dass dieses Konzept mit Mental Load einen eigenen Namen hat, ist allerdings noch relativ neu. Ein Grund dafür mag sein, dass es grundsätzlich schwer greifbar ist. Mental Load spielt sich in unseren Gedanken ab. Die sind für andere aber nicht sichtbar. Außer: Wir machen sie sichtbar. 

Strategien für eine gerechtere Verteilung der Last

Und genau hier können Betroffene ansetzen. Vorausgesetzt, sie sind sich ihres eigenen Mental Loads überhaupt bewusst. Denn zu begreifen, was einen möglicherweise stresst oder belastet, ist ein Prozess. Gerade Mütter haben oft noch ein Wertesystem verinnerlicht, das ihnen keine mentale Pause zugesteht. Sich dies bewusst zu machen und in einer Partnerschaft klar zu kommunizieren, wo es vielleicht gerade mit der Aufgabenverteilung hakt, ist ein erster Schritt zu einer gerechteren Verteilung der Last. 

Vater mit zwei Kindern kämpft mit seiner Mental Load
© Kubko / Shutterstock

Übrigens: Auch wenn sie statistisch in der Minderheit sind: Väter, vor allem solche, die in einer gleichberechtigten Partnerschaft die Hälfte der Care Arbeit übernehmen, haben ebenfalls nicht selten mit Mental Load zu kämpfen.

Und eins ist auch klar: Je mehr Menschen in einer Familie leben, umso mehr Termine, Verpflichtungen, Hobbys und Verabredungen gilt es zu koordinieren.

Was können Eltern also konkret tun, um den Mental Load zu mindern?

  • Sich über tradierte Werte bewusst werden und diese hinterfragen: Gar nicht so einfach, aber ein wichtiger Punkt, um überhaupt den Ist-Zustand herauszufinden. Unsere Sozialisation ist ein entscheidender Faktor, wie wir unsere Familie (unterbewusst) organisieren. Und auch wenn wir die Erziehungsmethoden unserer Eltern vielleicht nicht immer toll fanden, so geht ein tradiertes Wertesystem viel tiefer, als uns meist bewusst ist. Das zeigt sich zum Beispiel daran, wenn Frauen es automatisch als ihre Pflicht ansehen, früher von der Arbeit zu kommen, um das Kind rechtzeitig abzuholen und dafür in Kauf nehmen, am nächsten Tag extra viel auf dem Schreibtisch liegen zu haben. Oder wenn sie nicht nur bei allen Elternabenden dabei sind, sondern sich auch noch in den Elternbeirat wählen lassen, bei jeder Gelegenheit einen extravagant dekorierten Kuchen mitbringen oder dem Kind eine aufwendig dekorierte DIY-Schultüte basteln, obwohl sie eigentlich gar keine Zeit dafür haben (wobei all dies natürlich völlig okay ist, wenn es einem wichtig ist – schwierig wird es, wenn die Handlung aufgrund einer angenommen Erwartungshaltung von außen stattfindet!). Es lohnt sich also zu hinterfragen, warum wir uns für bestimmte Dinge zuständig fühlen. 
  • Bilanz ziehen: Was ist, was soll sein: Um die Last gerechter zu verteilen, hilft reden! Am besten, wenn die Kinder schlafen. Bei getrennt erziehenden Elternteilen ist vielleicht ein Treffen auf neutralem Terrain hilfreich. Generell helfen Schuldzuweisungen bei der Ergründung der jeweiligen mentalen Last nicht. Sätze wie: "Ich habe aber die letzten drei Abende die Kinder ins Bett gebracht", "Aber dafür hast du diese Woche noch nicht einmal die Spülmaschine ausgeräumt" sind dem Prozess auch nicht zuträglich. Im Gegenteil. Denn dann ist die konstruktive Atmosphäre hin, bevor der Mental Load überhaupt Thema war. Daher: Sucht euch einen Tag, an dem ihr beide Kraft für ein solches Gespräch habt (klar, das ist nicht so einfach), legt euch eine große Pappe oder Papier mit Stiften parat und macht Listen, wer was macht. Da werden schon die ersten Erkenntnisse kommen. Denn gerade beim Thema Familienorganisation (wie Essenbestellungen für die Schule, Überweisung der Kitagebühren, Aussortieren der zu klein gewordenen Kinderkleidung oder das Besorgen von Geburtstagsgeschenken für die Freunde der Kinder) weiß der andere Elternteil oft gar nicht, was der oder die andere alles auf dem Zettel hat. Eine Liste kann das Unsichtbare sichtbar machen.
  • Teamwork makes the dream work: Wer weiß, wo es hakt, hat auch einen Ansatz. Versucht die mentale Last gerechter aufzuteilen, indem ihr eure To-Dos aufschreibt. Hängt euch die Liste am besten gut sichtbar in eurem Zuhause auf. Und ganz wichtig: Ab diesem Zeitpunkt übernehmt ihr nur die eigenen Aufgaben, die anderen übernimmt eure Partnerin oder euer Partner beziehungsweise der andere Elternteil. Das ist nicht ganz einfach, denn auch Verantwortung abzugeben will gelernt sein und Verhaltensmuster haben sich meist über Jahre hinweg verfestigt. Doch wer dran bleibt, hat eine echte Chance auf langfristige Besserung. Übrigens: Familienplaner können super helfen, den Überblick zu behalten – und auch die Kids gehören da mit rein.
  • Kinder mit einbeziehen: Warum sollten Kinder eigentlich nicht von klein auf zu Hause mithelfen? Denn selbst die Kleinen wollen oft schon bei der Hausarbeit mitmachen. Sie sehen das nicht als Arbeit an, sondern fühlen sich viel mehr in die Familie integriert. Kleinkinder können beispielsweise helfen, den Tisch zu decken. Und Schulkinder können selbst an ihre Sportsachen denken und diese am Abend vorher einpacken. Das braucht vielleicht etwas Übung, aber so lernen Kinder Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und werden zu selbstständigen jungen Menschen. Die Gleichbehandlung von Mädchen und Jungen spielt hier eine große Rolle, denn so können sie eine Sozialisation erfahren, die dazu beiträgt, dass sich die mentale Organisation des Familienlebens in ihrer Generation weniger am Geschlecht als an tatsächlichen Interessen oder Fähigkeiten festmachen lässt.
  • Dinge auch mal sein lassen: Was muss wirklich sein? Und was ist vielleicht nur unnötiger extra Stress, den man im schlimmsten Fall wochen-, wenn nicht monatelang mit sich herumträgt? Okay, die Steuererklärung muss vielleicht sein, aber muss das Halloween-Kostüm dieses Jahr wirklich selbst genäht werden? Wenn ihr ohnehin am Limit seid, dann streicht, was nicht muss. Und vielleicht lassen sich manchen Aufgaben ja auch abgeben. Und wenn die Wohnung eigentlich geputzt werden müsste, ihr aber "Feierabend" haben wollt, weil die Kids endlich schlafen – dann sucht euch ein gemütliches Plätzchen, macht die Tür zu und lest ein Buch, macht Yoga, hört Musik und starrt dabei die Wand an oder guckt einen Film – was auch immer es ist, das euch jetzt beim Abschalten hilft.

Fazit: Mental Load wächst mit der Anzahl von Personen im Haushalt meist automatisch an. Aber ihn sollte nicht eine Person allein tragen müssen. Alle können und sollten mitdenken und so den Mental Load des oder der Einzelnen, meist die der Mutter, verringern. Reden ist hierbei das wichtigste Mittel, um die Situation zu verbessern. Denn wenn die unsichtbare Last sichtbar ist, kann sie auch gerechter verteilt werden.

Quellen:

ELTERN

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