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Körpergröße bei Kindern Wie groß ist normal?

Körpergröße bei Kindern: ein Baby liegt auf einem übergroßen Maßband
© bookzv / Shutterstock
Größe zeigen kann man in jeder Länge – schon klar. Und doch haben viele Eltern Sorge, ihr Kind könnte zu groß oder klein sein. Wann sollte man genauer hinschauen?

Das Wachstum im Auge behalten

Justus begann sein Leben als großes Baby. Bis zu seinem dritten Lebensmonat lag er auf der Wachstumskurve über dem Durchschnitt. Dann stellte er das Wachsen plötzlich ein. Seine Mutter Pia Drießen machte sich trotzdem keine Sorgen: "In meiner Familie sind alle klein, auch die Männer. Da ist keiner über 1,70 Meter." Auch der Kinderarzt sei daher sehr unaufgeregt gewesen. Tatsächlich reicht oft ein Blick auf die Eltern, um die Länge des Kindes richtig einzuordnen. Neben unserer Herkunft – Südeuropäer sind im Schnitt etwas kleiner als Nordeuropäer – wird unsere Größe nämlich hauptsächlich von den Genen bestimmt. "Große Eltern haben große Kinder, kleine Eltern haben kleine Kinder", bringt es Annette Richter-Unruh, Kinderendokrinologin an der Uniklinik Bochum, auf den Punkt.

Trotzdem ist es wichtig, das Wachstum im Auge zu behalten und es im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen regelmäßig zu dokumentieren. Nur so kann eine mögliche Störung oder Erkrankung rechtzeitig erkannt und behandelt werden. "Wachstum ist ein Gradmesser für die Gesundheit eines Kindes", erklärt Richter-Unruh. Jede übergeordnete Krankheit könne dazu führen, dass ein Kind nicht wächst. Bleibt es in der körperlichen Entwicklung hinter Gleichaltrigen zurück, muss der Kinderarzt die Ursache klären.

Bei den regelmäßigen U-Untersuchungen werden deshalb Körperlänge, Kopfumfang und Gewicht in eine Wachstumskurve eingetragen. Mithilfe der sogenannten Perzentilen lassen sich die Werte mit denen von Gleichaltrigen vergleichen. Liegt die Größe etwa bei der 50. Perzentile, ist die Hälfte der Kinder größer, die andere Hälfte kleiner. Liegt der Wert unterhalb der 3. Perzentile oder oberhalb der 97. Perzentile, spricht man von Klein- oder Hochwuchs. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass das Kind eine Krankheit oder Störung hat. In den allermeisten Fällen ist es kerngesund – nur einfach besonders kurz oder lang, weil das in der Familie liegt. Man spricht hier von familiärem Klein- bzw. Hochwuchs.

Der persönliche Verlauf ist entscheidend

Wichtiger als die reine Größe des Kindes ist bei der Beurteilung des Wachstums sein ganz persönlicher Verlauf. Ist ein Kind größer oder kleiner als seine Altersgenossen, wächst aber auf seiner eigenen Wachstumskurve parallel zu den Werten der Perzentilkurve, muss man sich meist keine Sorgen machen. Weicht die Kurve aber plötzlich nach unten oder oben ab, sind weitere Untersuchungen nötig.

Wie bei Justus: Mit zwei Jahren lag er bereits deutlich unter der 3. Perzentile. Sein Arzt beschloss daher, der Sache auf den Grund zu gehen, und überwies ihn zu einem Radiologen. Auf einer Röntgenaufnahme der linken Hand sollte dieser anhand der Wachstumsfugen Justus’ genaues Knochenalter bestimmen. Entspricht dies dem tatsächlichen Alter eines Kindes, lassen sich Wachstumsstörungen sicher ausschließen. Liegt aber eine Verzögerung des Knochenwachstums vor, kann das mehrere Ursachen haben:

• Mangel- oder Fehlernährung, Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum in der Schwangerschaft

• Chronische Erkrankungen und Stoffwechselstörungen: Glutenunverträglichkeit (Zöliakie), Morbus Crohn, Asthma, Diabetes, Störungen der Nierenfunktion, Herzfehler, Wachstumsstörungen der Knochen (Achondroplasie)

• Genetische Veränderungen: beim Kleinwuchs z. B. das Ullrich-Turner-Syndrom, beim Hochwuchs das Marfan- oder Klinefelter-Syndrom

• Hormonstörungen, z. B. Mangel an Wachstumshormonen (s. Interview auf der nächsten Seite).

• Psychosoziale Ursachen: Vernachlässigung, Essstörungen, Depression, etc.

Diagnose, was nun?

Pia Drießen erinnert sich noch gut an den Moment, als sie die Überweisung zum Radiologen in der Hand hielt: "Als ich dort schwarz auf weiß die Diagnose Kleinwuchs las, war das im ersten Moment schon ein Schock." Sie habe aber keine Angst davor gehabt, dass Justus später sehr klein sein würde. "Da habe ich gar kein Problem mit. Mein Bruder und mein Vater sind auch keine großen Männer, ich kenne das quasi nicht anders." Ihre Sorge bezog sich eher auf unsere Gesellschaft und darauf, was diese mit der Gefühlswelt ihres Sohnes anrichten könnte, sollte er wirklich aus er Norm fallen.

Zum Glück ergab die Untersuchung beim Radiologen, dass Justus völlig gesund ist, nur eben sehr kurz. Mit seinen zehn Jahren kommt er heute auf 1,30 Meter. Wie groß er einmal werden wird, können die Ärzte nur grob vorhersagen: 1,60 Meter plus minus zehn Zentimeter. "Das ist natürlich eine unfassbare Varianz. Wir warten also einfach mal ab", sagt Pia Drießen und klingt dabei sehr entspannt. Vielleicht lege Justus auch in der Pubertät noch einen Wachstumsschub hin.

Tatsächlich sind sehr kleine Kinder oft einfach Spätzünder. Sie wachsen zwar regelmäßig, gehören aber immer zu den Kleinsten in der Klasse und kommen später in die Pubertät. Der große Wachstumsschub, der mit der Pubertät einsetzt, kommt bei ihnen dann einfach etwas zeitversetzt. Hier lohnt es sich, im Gedächtnis zu kramen, denn der Beginn der Pubertät wird ebenfalls vererbt. Hatte Mama vielleicht auch erst ziemlich spät ihre erste Regelblutung? Gehörte Papa auch lange zu den Kleinsten und machte erst später einen "Schuss“?

Wie viel Justus noch wächst, wird sich zeigen. Im Moment geht er mit seiner Körpergröße sehr selbstbewusst um. "Er ist seinen Freunden absolut ebenbürtig und kann sich ganz klar positionieren“, sagt seine Mutter. Nur dass seine achtjährige Schwester ihn beim Wachsen schon fast eingeholt habe, treffe ihn. Und Sprüche wie: "Na, du Zwerg?" Aber die kämen nur von Erwachsenen. Denen fehle manchmal das nötige Feingefühl.

"Er ist mein David, der es mit jedem Goliath dieser Welt aufnehmen kann. Ein großer Junge in einem kleinen Körper. Geliebt. So sehr", schreibt Justus’ Mutter in ihrem Blog Daily-pia.de

Welche Rolle spielen die Hormone?

Ein Gespräch mit Annette Richter-Unruh, Professorin für Kinderendokrinologie und Diabetologie an der Uni-Klinik Bochum

Eltern Family: Welche hormonellen Gründe kann es haben, dass ein Kind sehr klein oder sehr groß ist?

Annette Richter-Unruh: Beim Hochwuchs ist das extrem selten, er ist in der Regel genetisch bedingt. Meistens sind eben auch die Eltern sehr groß. Bei Kleinwüchsigen findet sich in weniger als 20 Prozent eine hormonelle Ursache. Im Prinzip kann jede Hormonstörung das Wachstum beeinträchtigen. Beim klassischen Wachstumshormonmangel bildet die Hirnanhangdrüse kein oder zu wenig Somatotropin (SHT). Dadurch wird das Größenwachstum stark gebremst. Rechtzeitig erkannt, lässt sich das gut mit einer Hormonersatztherapie behandeln. Daher sollte man unbedingt zu einem Kinderendokrinologen gehen, wenn familiäre, genetische oder organische Ursachen ausgeschlossen sind.

Wie läuft so eine Testung ab?

Weil die Hormone selbst nur nachts produziert werden, untersuchen wir das Blut auf bestimmte Trägerstoffe für Wachstumshormone. Sind sie zu gering, klären wir durch weitere Blutuntersuchungen, ob ein Mangel vorliegt. Dafür muss das Kind zweimal nüchtern für etwa zwei Stunden zu einem Wachstumshormonstimulationstest in die Praxis kommen.

Und wenn sich der Mangel bestätigt?

Sicherheitshalber schließen wir eine organische Störung, etwa einen Tumor, durch ein MRT des Schädels aus. Dann beginnen wir mit der Hormonbehandlung. Das Hormon wird jeden Abend ins Unterhautfettgewebe gespritzt, bis das Kind ausgewachsen ist. Den Hormonspiegel kontrollieren wir anfangs alle drei, dann alle sechs Monate.

Welche Nebenwirkungen hat die Behandlung?

Die sind, wenn überhaupt, sehr selten. Es liegt ja ein Mangel vor, der mit der Hormongabe ausgeglichen wird. Man kann auch nicht so weit überdosieren, dass es zum Überwachstum kommt.

Kann man auch Kinder ohne Hormonstörung mit Hormonen behandeln, damit sie größer werden?

Nein, ihnen fehlt ja nichts. Wir haben natürlich immer Eltern, die unbedingt möchten, dass ihr Kind ihren Idealvorstellungen entspricht. Da ist die Frage: Leidet das Kind oder leiden die Eltern? Hier muss man ganz klar sagen: Die Gene sind vorgegeben, da können wir nicht viel ändern.

Kann man das Wachstum durch Hormone bremsen?

Das ist ethisch eigentlich nicht vertretbar, weil medizinisch nicht notwendig, wird aber in Ausnahmefällen gemacht. Da wird dann ein neun- oder zehnjähriges Mädchen mit Geschlechtshormonen so schnell durch die Pubertät geschickt, dass sich die Wachstumsfugen schließen. Das kann zu großen psychischen Problemen führen. Und es verändert die Proportionen, weil in erster Linie Arme und Beine verkürzt werden. Auf Kopf, Hand- und Schuhgröße hat man mit so einer Behandlung keinen Einfluss. Da muss man überlegen, ob man nicht lieber auf eine psychotherapeutische Begleitung setzt. Die Kinder sind ja danach trotzdem groß, vielleicht 1,82 Meter statt 1,90 Meter.

Wie kann man besonders kleinen oder großen Kindern noch helfen?

Indem man ihnen erklärt, dass die Größe eines Menschen nichts mit seiner Länge zu tun hat, sondern mit seiner Ausstrahlung. Ich versuche, die Kinder zu stärken, damit sie herausfinden, worin sie gut sind und was ihnen Spaß macht. Dann können sie auch glänzen, wenn sie nicht der Norm entsprechen.

Wie groß wird mein Kind?

Mit dieser einfachen Formel kann man es ganz grob ausrechnen:

Mädchen: Vatergröße plus Muttergröße geteilt durch 2 minus 6,5 cm.

Jungen: Vatergröße plus Muttergröße geteilt durch 2 plus 6,5 cm.

ELTERN

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