VG-Wort Pixel

Entscheidung Will ich ein Kind – oder lieber doch nicht?

Frau mit einem Schwangerschaftstest
© sam thomas / iStock
Was in einer Frau vorgeht, wenn sie von "Mommy Wars", Übermüttern und Sinnkrisen hört – und ob sie das vom Kinderkriegen abhält.

Artikelinhalt

Mindestens zwei, vielleicht auch vier - Hauptsache, eine gerade Zahl. Das war mein kindliches Ideal vom Nachwuchs. Und das natürlich bis Mitte 20, denn danach wäre ich eindeutig zu alt zum Kinderkriegen. Meiner Mutter warf ich wohl mehrfach vor, mich erst mit 28 Jahren zur Welt gebracht zu haben. Ich bin das jüngste von drei Mädchen.

Bald feiere ich meinen 30. Geburtstag. Ohne Kinder. Das fühlt sich normaler an als die Vorstellung eines "mit". Obwohl ich weiß, dass mein Freund sich insgeheim aufs Vatersein freut, ich genug Geld verdiene und einige Freundinnen inzwischen Mutter geworden sind, löst der Gedanke ans Kinderkriegen Beklemmungen bei mir aus. Es ist nicht mal die Geburt an sich, sondern vielmehr das Drumherum, von dem mir Freundinnen erzählen. Worüber ich lese, was ich sehe: Supermamas, die anderen - in ihren Augen Nicht-So-Super-Mamas - mit vorwurfsvollem Blick den "Rabenmutter"-Stempel aufdrücken. Folgende Gebote haben sich offenbar etabliert:

  • Du sollst dein Kind nicht per Kaiserschnitt gebären.
  • Du sollst deinem Kind einen klassischen Namen geben – und/oder einen mit Bindestrich.
  • Du sollst dein Kind mindestens sechs Monate lang stillen.
  • Du sollst danach selbst kochen, und zwar handverlesenes Bio-Gemüse (Geheimtipp: Pastinaken!).
  • Du sollst Babymassage und am besten auch Säuglingssprache lernen.
  • Du sollst dein Kind niemals im Elternbett und niemals auf dem Bauch schlafen lassen und es schon gar nicht mit einer Bettdecke zudecken.
  • Du sollst möglichst viele Ratgeber lesen und befolgen: "Oje, ich wachse", "Jedes Kind kann schlafen lernen" – um nur mal zwei Klassiker zu nennen.
  • Du sollst dein Kind durch Pekip- oder Delfi-Kurse, Malschule und Musikgarten möglichst früh fördern.
  • Du sollst Gewicht und Fähigkeiten deines Kindes genau protokollieren und diese möglichst oft kundtun.
  • Du sollst eine Mindest-Ausrüstung besitzen: Tragetuch gerade, Tragetuch schräg, Bondolino, Laufstall eckig, Laufstall rund, Maxi Cosi mit integriertem Sack als Jackenersatz.
  • Du sollst deinem Kind zu jeder Zeit volle Aufmerksamkeit schenken.
  • Du sollst dein Kind nicht maßregeln.
  • Du sollst schulische Leistungen, die schlechter als "gut" sind, beim Lehrer anfechten und gleichzeitig mit Nachhilfe gegensteuern.

Von all diesen Punkten erfüllt meine Mutter gerade mal den ersten. Weil es mit dem Stillen nicht gut geklappt und vor allem die Milch nicht gereicht hat, bekamen wir alle drei die Flasche. Später haben wir regelmäßig Fischstäbchen, Ravioli (aus der Dose) und Miracoli eingefordert - und manchmal auch bekommen. Das Nachmittagsprogramm bestand aus Gummitwist, Ballspielen mit den Nachbarskindern und Regina-Regenbogen-Wichte im Barbie-Wohnmobil durchs Kinderzimmer fahren. Die Sommerferien verbrachten wir ausnahmslos auf dem immer gleichen Bauernhof in Österreich. Ja, es gab auch kleine Katastrophen: Im Kinderwagen die Treppe runtergefallen. Die Hand auf der Herdplatte. Beim Schlittenfahren die Zahnfront samt Wurzeln ausgeschlagen (weil ich meiner Schwester bäuchlings hinterher eilte und nicht bremsen konnte).

Trotzdem wünsche ich mir, es einmal genauso machen zu können: nicht alles optimieren wollen ("Mein Kind geht nachmittags zum Englischunterricht. Das ist wichtig für den Lebenslauf." - Mutter einer Dreijährigen), nicht alles kontrollieren wollen ("Und was ist der motorische Mehrwert davon?" - Mutter beim Babyschwimmen), sich nicht übers eigene Kind profilieren wollen ("Mit dem Krabbeln klappt’s noch nicht so gut, aber feinmotorisch sind wir ganz weit vorn!").

Ich bin nicht strikt gegen all das, vielleicht sitze ich auch irgendwann in einer Pekip-Gruppe oder gehe zum Babyschwimmen. Mir ist nur der Ehrgeiz ein Graus, mit dem manche Eltern - auch Väter - am Gedeihen ihrer Kinder feilen. Und mir scheint, dieser Ehrgeiz nimmt mit dem Alter der Eltern zu. Was mich zu meiner nächsten Sorge bringt: Werde ich vielleicht selbst mal eine unentspannte Ü-30-Mutter, die ihr Einzelkind mit zu viel Energie umsorgt? Oder, umgekehrt, eine Mutter, die nichts mit ihrem Teilzeitjob anfangen kann und dauernd frustriert ist?

Bin ich zu egoistisch für ein Kind?

Erst kürzlich habe ich mich dabei ertappt, wie mir beim Spielen mit meiner Nichte die Geduld ausging - als sie zum zehnten Mal in ihrer neuen Villa Kunterbunt die Szene nachspielen wollte, in der die Räuber Pippis Gold klauen. Ich ließ mich von meinem Freund ablösen, der wiederum mit stoischer Ruhe - nein, eigentlich war es sogar Begeisterung - für weitere anderthalb Stunden den Raub inszenierte. Bin ich zu egoistisch für ein Kind?

Und dann ist da noch meine Schwester, die sich beklagt, dass "das Telefon kaum stillsteht." Als Kinder- und Jugendtherapeutin hat sie täglich mit verhaltensauffälligen (oft: depressiven) Kindern zu tun. Kindern von Eltern aus allen Gesellschaftsschichten, die überfordert sind.

Ach ja, was ist überhaupt, wenn ich mich irgendwann mal bereit fühle für ein Kind - und dann klappt es nicht? Trenne ich mich dann? Oder das Wunschkind kommt zur Welt und sechs Monate später schlafe ich im Wohnzimmer meiner Eltern, weil mein Freund sich das doch irgendwie anders vorgestellt hat? Beide Fälle habe ich mir nicht ausgedacht.

Über solchen Schreckensszenarien könnte ich weiter brüten, bis ich in die Wechseljahre komme. Will ich aber nicht. Deswegen halte ich mich an die klugen Worte einer Hebamme, mit denen sie eine Freundin von mir beruhigte: "Es gibt zwar viele Ratgeber, aber noch keinen über DEIN Kind." Und auch keinen über MEIN Leben.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei BRIGITTE.de.

ELTERN

Mehr zum Thema