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Wie Babys hören Warum der Hörtest für alle Neugeborenen so wichtig ist

Baby sitzt und dreht den Kopf
© Nick_Thompson / iStock
Im Rahmen des so genannten Neugeborenen-Hörscreenings wird jedes Neugeborene in Deutschland auf Hörstörungen untersucht. Dadurch bekommt es die Chance, dass eine eventuelle Hörstörung früh erkannt und früh behandelt werden kann – Voraussetzung für eine normale Sprachentwicklung. Hier alles Wichtige dazu.

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Hörprobleme so früh wie möglich entdecken

Hören und Sprechen gehören zusammen: Wer Wörter nicht hört, kann sie nicht nachahmen und auf diese Weise sprechen lernen. Die Grundlagen für den Spracherwerb werden bereits in den ersten zwölf Monaten gelegt. Ohne Neugeborenen-Hörscreening bemerken Eltern aber eventuelle Hörprobleme ihres Kindes erst, wenn es in der Sprachentwicklung zurück bleibt. Dann ist es im Schnitt bereits zweieinhalb Jahre alt. Bis die Diagnose sicher gestellt ist und eine Therapie beginnt, vergehen oft weitere wertvolle Monate. Eine fatale Verzögerung, denn je später ein hörgeschädigtes Kind behandelt wird, desto gravierender sind die Folgen.
Deswegen ist es so wichtig, bereits drei Tage nach der Geburt einen Hörtest zu machen. Stellt sich heraus, dass das Baby ein Hörproblem hat, kann es schon mit drei Monaten eine Hörhilfe bekommen und hat eine gute Chance auf eine normale Sprachentwicklung.

Deshalb sind Hörscreenings bei Neugeborenen so wichtig

Eine Mutter hat ihr Neugeborenes im Arm und flüstert ihm etwas in's Ohr.

Hörtest: Was wird gemacht?

Das Hörscreening sieht zwar unangenehm aus, ist aber für das Baby völlig schmerzfrei, dauert nur wenige Minuten, hat keinerlei Nebenwirkungen und kann sogar während des Schlafs gemacht werden. Das Baby bekommt über eine Sonde einen ganz leisen (35dB) Ton ins Ohr, und man misst die Reaktion des Innenohrs, die so genannten otoakustischen Emissionen. Die Untersuchung dauert gerade einmal zwei Minuten. Ist das Testerergebnis auffällig, muss es durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. Hier gibt es noch mehr Infos zum Neugeborenen-Hörscreening.
Achtung: Erhalten Eltern bei dieser Untersuchung einen auffälliges Ergebnis, gibt es noch nicht unbedingt Grund zur Sorge. Eine genauere Aussage liefert die Hirnstammaudiometrie: Bei diesem Test werden dem Kind Elektroden an Kopf und Ohren angebracht, die eine eventuelle Hörstörung über Hirnströme sichtbar machen können.
Eltern sollten bei dem Screening unbedingt darauf achten, dass die Ergebnisse für beide Ohren gut sind. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. hin. Oft werde die Bedeutung einer einseitigen Hörstörung unterschätzt.
Mehr Informationen zum Thema Schwerhörigkeit bei Kindern und den Behandlungsmöglichkeiten gibt es auf der Internetseite der Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V.undbei derInitiative Frühkindliches Hören.

Kann unser Kind richtig hören?

Jedes Kind hat sein eigenes Tempo - auch beim Hören und Sprechen

Eine fundierte Diagnose bekommen Eltern beim Pädaudiologen - den sie bei Abweichungen von diesem Entwicklungskalender zu Rate ziehen sollten:

  • Im Alter von vier bis sechs Wochen erschrecken Säuglinge bei lauten Geräuschen (z. B. einer knallenden Tür) und lassen sich von sanftem Zuspruch der Eltern beruhigen.
  • Ab dem dritten Lebensmonat können Säuglinge stimmhaft lachen und brabbeln. Sie bewegen die Augen in Richtung einer Schallquelle, ohne durch ein Geräusch oder einen Luftzug auf sie aufmerksam geworden zu sein.
  • Ab dem sechsten Monat können Kinder Laute nachahmen und verdoppeln.
  • Mit sieben bis acht Monaten lauschen Babys einer Musik und probieren unterschiedliche Stimmlagen und Laute aus.
  • Im Alter von zehn bis zwölf Monaten reagieren Kinder, wenn sie in normaler Lautstärke aus einem Meter Entfernung angesprochen werden. Sie verstehen laute Verbote ("Nein!"). Im ersten Lebensjahr brabbeln alle Kinder automatisch vor sich hin. Kinder, die nichts hören, verstummen danach.
  • Etwa zum zweiten Geburtstag können Kinder Anweisungen befolgen, die ihnen ins Ohr geflüstert werden, und beginnen, Zweiwort-Sätze zu sprechen.

Jedes Kind entwickelt sich in seinem eigenen Tempo, was auch fürs Hören und Sprechen gilt. Deshalb können die aufgelisteten Fähigkeiten nur Anhaltspunkte sein. Sinnlos ist, im Eigenversuch Hörtests mit seinem Kind zu unternehmen (etwa: Zuckt es zusammen, wenn ich mit dem Löffel auf den Topf schlage? Dreht es den Kopf, wenn ich es von hinten anspreche?). Der Grund: Sind Kinder müde oder lustlos, reagieren sie mitunter anders, als wenn sie wach und fröhlich sind. Außerdem verliert sich der Schreckreflex etwa nach dem sechsten Lebensmonat. Und: Babys mit Hörstörungen lernen, viel sensibler auf winzige Bewegungen, Luftzug und Erschütterungen zu reagieren. So wirkt es oft so, als könnten sie hören.

Hören beginnt im Mutterleib

Bereits im dritten Schwangerschaftsmonat ist das Hörorgan, also der innere Teil des Ohres, voll entwickelt und funktioniert perfekt. Schon vor der Geburt reagieren Babys auf Geräusche, das haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt. Dennoch hört das Baby im Mutterleib nicht wie ein Erwachsener: Das Gehirn ist noch nicht so weit, dass es akustische Reize einer Bedeutung zuordnen kann. Der Grund: Alle Geräusche müssen durch die Bauchdecke und das Fruchtwasser hindurch, kommen also sehr gedämpft und verfremdet beim Baby an (ungefähr so, als würden wir uns fest die Ohren zuhalten). Dennoch ist es wichtig in der Schwangerschaft mit dem Ungeborenen zu sprechen: "Auch wenn das Kind die Stimme nicht zuordnen kann, wird sie ihm doch vertraut", sagt Professor Roswitha Berger, Fachärztin für Kommunikationsstörungen an der Uni-Klinik in Marburg. Außerdem fördere die Zwiesprache die Bindung zum Kind und sei Ausdruck von Liebe und Freude.

Hören will gelernt sein

Es dauert anderthalb Jahre, bis alle Nervenverbindungen stehen

Ein Neugeborenes kann Geräusche noch nicht so verarbeiten wie ein Erwachsener. Mamas und Papas Stimmen, das Radio, Vogelzwitschern - ein Baby kann in seinen ersten Lebensmonaten noch nicht verstehen, welche Bedeutung Geräusche haben. Aber es bekommt sehr bald mit, dass das, was Mama und Papa von sich geben, eine besonders große Rolle spielt. Eine faszinierende Spirale setzt sich in Gang: Die Eltern sprechen mit ihrem Baby, das Baby lächelt, die Eltern fühlen sich verstanden und sprechen noch mehr mit ihrem Baby, auch wenn es vorerst kein Wort versteht. So bekommen seine Ohren genügend Reize angeboten, und die Nervenverbindungen zwischen Innenohr und Gehirn können geknüpft werden - es entsteht die so genannte Hörbahn.

"Zunächst muss man sich das vorstellen wie einen Rasen, der noch nicht abgetreten ist“, erklärt Fachärztin Roswitha Berger; "dann entsteht durch die akustischen Informationen erst ein dünner Trampelpfad, später ein Weg, dann eine Schnellstraße." Aber das dauert. Im ersten Lebensmonat unterbricht das Baby seine Bewegungen, wenn es ein lautes Geräusch hört, im zweiten Monat beginnt es, sich zur Geräuschquelle zu wenden. Im dritten Monat kann es unterschiedliche Geräusche unterscheiden - ein raschelndes Blatt Papier, das Klingeln eines Glöckchens, Papas Stimme. Insgesamt dauert es anderthalb Jahre, bis alle Nervenverbindungen stehen und ein Kind gelernt hat zu hören. Hören zu lernen, ist für Babys übrigens harte Arbeit. Leichter fällt es ihnen, wenn das Geräusch-Chaos (Fernseher, Radio, Hörspiele etc.) um sie herum nicht zu groß ist.

Sprechen setzt Hören voraus

Nervenanbindung und das Erlernen der ersten Wörter fallen in dieselbe kindliche Entwicklungsphase. Ergeben die gehörten Wörter nach vielen Wiederholungen endlich einen Sinn, fangen Kinder an, sie selbst auszusprechen. "Deshalb ist es so wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern so viel wie möglich sprechen und sie gezielt zum Hören anregen", so Professor Berger. Auch wenn es einem manchmal albern vorkommt: Es ist sinnvoll, seinem Kind zu erzählen, was man gerade tut - egal, ob es sich dabei ums Putzen oder Tischdecken handelt. Ebenso wichtig ist, Kinder auf einen bellenden Hund, ein fliegendes Flugzeug, eine knallende Tür aufmerksam zu machen - so können Geräusche bestimmten Dingen zugeordnet werden.


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