VG-Wort Pixel

Hebamme Hört auf, Mütter zu bevormunden!

Kaiserschnitt? Um Himmels Willen! Neugeborene impfen? Niemals! Mit dem Fläschchen füttern? Verstoß gegen die Still-Pflicht! Manche Hebamme verkauft ihre privaten Meinungen als Tatsache - und verunsichert damit die Frauen, die sie eigentlich unterstützen soll. Das geht so nicht, fordert ELTERN-Autorin Nora Imlau in einem offenen Brief.

Der Appell von ELTERN-Autorin Nora Imlau an die Hebammen:

Hebamme: Hört auf, Mütter zu bevormunden!
© Andreas Fromm

"Einen unglaublichen Job habt ihr euch da ausgesucht: Lernt uns kennen, wenn wir am unsichersten und verletzlichsten sind, begleitet uns durch die schönsten und schwersten Stunden unseres Lebens, wacht über unsere ersten tapsigen Schritte in unser neues Leben als Mutter, um euch dann langsam wieder daraus zurückzuziehen. Innerhalb kürzester Zeit kommt ihr uns näher als unsere engsten Freunde, lernt uns und unseren Körper kennen, wie wir ihn selbst noch nie erlebt haben. Ihr kriegt Zugang zu unserer Intimsphäre, begleitet uns unter der Geburt manchmal bis aufs Klo und auf die Kante unseres Ehebetts, um zu tasten, wie sich die Gebärmutter zurückbildet.

Dass wir euch so nah an uns herankommen lassen, ist für euren Job unabdingbar - und bringt eine riesige Verantwortung mit sich. Denn nichts, was ihr in dieser Zeit sagt oder tut, sagt oder tut ihr einfach so. Es sagt oder tut unsere Hebamme, unsere Expertin fürs Kinderkriegen.

Hebamme: Hört auf, Mütter zu bevormunden!

Fakten statt Idelogien!

Die Frau verdient eure Unterstützung - egal, wie sie sich entscheidet!

Und genau an diesem Punkt kann es anfangen, schwierig zu werden. Denn es ist ja so: Was Schwangerschaft, Geburt und die Zeit danach angeht, gibt es wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse. Und es gibt Überzeugungen, Philosophien, auch Ideologien. Das eine ganz vom anderen zu trennen ist oft fast unmöglich, gerade wenn man sich wie ihr um einen ganzheitlichen Blick bemüht, der Körper und Seele sieht und Kinderkriegen nicht auf einen medizinisch-mechanischen Vorgang reduziert.
Trotzdem müsst ihr es versuchen. Und zwar mehr, als es viele von euch bis jetzt tun. Beispiele gefällig? Ich nenne mal ein paar Stichworte: Vitamin K, Vitamin D, Impfungen.
Kinder- und Jugendärzte, Weltgesundheitsorganisation (WHO) und ein breites Spektrum wissenschaftlicher Experten fordern einhellig: geben, unbedingt. Und wer verunsichert junge Eltern im Wochenbett und rät von all dem ab? Oft genug die Nachsorgehebamme. Damit überschreitet sie im Übrigen ihre - durchaus weit gefasste - Kompetenz. Und weil sie das weiß, verpackt sie ihre Einschätzung oft mehr als persönlichen Tipp denn als fachlichen Rat: 'Also ich hätte meinen Kindern ja nie ...' Besser macht es das nicht.
Privat könnt ihr so anthroposophisch, esoterisch oder sonstwie angehaucht sein, wie ihr mögt, in eurer Rolle als Hebamme müsst ihr euch an die Fakten halten. Und Frauen, die ihr informiert habt, dann die Entscheidung selbst überlassen. Ich weiß: Für viele von euch ist es absolut unverständlich, wie sich eine Frau für einen Wunschkaiserschnitt entscheiden kann. Oder gegen das Stillen.
Und es stimmt ja: Ein Kaiserschnitt birgt mehr Risiken als eine Spontangeburt, und an die Vorteile der Muttermilch reicht keine Flasche heran. Deshalb ist es auch durchaus richtig, eine Schwangere, die in diesen Fragen unentschlossen ist, pro Stillen und pro Spontangeburt zu beraten. Aber dann liegt die Entscheidung einzig bei der Frau, und sie verdient euren Respekt und eure Unterstützung, egal wie ihre Entscheidung ausfällt.

Respektiert die Wahlfreiheit der Frauen!

Im Grunde genommen ist das nichts anderes als die konsequente Umsetzung der Wahlfreiheit Schwangerer und junger Mütter, für die ihr in den vergangenen Jahren so engagiert gekämpft habt. Und so erfolgreich: Dass wir heute wählen können zwischen Vorsorge bei euch und beim Frauenarzt oder beides kombinieren, dass wir unsere Kinder nicht nur in der Klinik, sondern auch im Geburtshaus oder zu Hause kriegen können, haben wir euch zu verdanken. Und wieder hat eine neue Studie bestätigt, was ihr schon lange sagt: Wie außerordentlich sicher von euch geleitete Hausgeburten sind - sie stehen darin Klinikgeburten in nichts nach.
Die gesetzliche Verankerung der Wahlfreiheit zwischen außerklinischen und klinischen Geburten im Jahr 2008 war euer Erfolg jenseits ideologischer Grabenkämpfe. Davon profitieren alle Schwangeren und jungen Mütter. Wenn eure Arbeit dieses Ergebnis hat, dann habt ihr sie wirklich gut gemacht."


Mehr zum Thema