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Mord an Michelle Ist die Gefahr für Kinder gewachsen?

Nach dem Mord an der achtjährigen Michelle in Leipzig macht sich zunehmend panische Angst bei vielen Eltern breit. Sie haben Angst ihre Kinder allein zur Schule zu schicken oder allein im Hof spielen zu lassen. Wie können Eltern mit ihren Ängsten umgehen? Und: Wie können wir unsere Kinder schützen?

Beruhigend ist: Die Zahl der Sexualmorde an Kindern unter 14 Jahren geht seit Jahrzehnten zurück. Lag die Zahl der Fälle in den 70er-Jahren noch bei etwa neun Fällen pro Jahr, sind es seit dem Jahr 2000 bundesweit jährlich durchschnittlich drei. Die subjektiv gefühlte Gefahr ist also weit höher als die tatsächliche, was hauptsächlich an der gesteigerten Aufmerksamkeit der Medien für dieses Thema liegt.

Wir haben uns mit dem Diplompsychologen Hans Berwanger unterhalten und wollten wissen, wie Eltern mit dieser Angst umgehen sollen und wie sie auf Ängste ihrer Kinder reagieren sollen.

Eltern.de: Wie können Eltern, die angesichts von Gewaltverbrechen an Kinder Ängste oder Panik entwickeln, mit diesen Gefühlen umgehen lernen?
Hans Berwanger:
Erstmal ist wichtig zu wissen: Ängste sorgen vom Prinzip her für Sicherheit - und in den meisten Fällen sind sie nicht grundlos. Natürlich muss zwischen gesunden und krankhaften Ängsten unterschieden werden, und dazwischen gibt es eine große Grauzone. Für Eltern, die nach dem Fall Michelle unter Ängsten um ihre Kinder leiden, ist wichtig, dass sie aktiv werden. Sie sollten – soweit es im Bereich des Machbaren liegt – für die Sicherheit ihrer Kinder sorgen. Und ab diesem Punkt müssen sich Eltern dann klar machen: Ich tue alles, was mir möglich ist, um mein Kind zu schützen – aber ich kann nicht für 100-prozentige Sicherheit sorgen. Eltern müssen akzeptieren, dass es einfach Bereiche im Leben gibt, wo ihr Einflussbereich und ihre Macht begrenzt sind.

Was bedeutet das konkret? Wie können Eltern ihre Kinder schützen?
Wichtig ist hier alles, was unter den Fachbegriff "Monitoring" fällt: Eltern müssen ihren Kinder klar machen: "Ich will wissen, was du machst. Ich will wissen, wo du bist. Und ich will wissen, mit wem du deine Zeit verbringst." Das Kind muss verinnerlichen, dass diese Informationen für die Eltern wichtig sind und dass bei diesen Punkten Offenheit herrschen muss.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Dem Kind immer wieder nahelegen, dass es mit anderen Kindern zusammen von der Schule oder vom Sport nach Hause gehen soll – weil es gemeinsam viel mehr Spaß macht und weil es sicherer ist. Eltern sollten mit dem Kind zusammen belebte Wege suchen und dabei lieber mal Umwege in Kauf nehmen als die Abkürzung durch dunkle Ecken wählen.
Ein dritter Punkt: Mit dem Kind eventuelle Gefahrensituationen in Form von kleinen Rollenspielen durchspielen: "Was machst du, wenn dich jemand anspricht? Wie reagierst du, wenn du ein komisches Gefühl im Bauch hast? Wer ist deine Vertrauensperson im häuslichen Umfeld?"

Müssen Eltern ihre Ängste vor ihren Kindern verbergen?
Die Angst der Eltern ist wichtig – und sie lässt sich vor den eigenen Kindern auch gar nicht verstecken. Wenn man Angst hat, soll dieses Gefühl thematisiert werden. Ganz klar: Panik ist fehl am Platz und kann bei Kindern zu massiver Verunsicherung führen, die Kindern mehr schadet als sie wirklich vor Gefahren schützt. Wenn ein Elternteil panische Ängste hat, sollte er sich bei Gesprächen zu diesem Thema zurückziehen und vielleicht den Partner oder ein anderes Familienmitglied das Gespräch führen lassen. Es darf auch nicht aus dem Blickfeld geraten, dass schätzungsweise 95 Prozent der Gewalttaten im häuslichen Umfeld passieren und der Onkel, Nachbar oder ein Freund der Familie der Täter ist. Auf dem Schulhof oder auf dem Heimweg passieren in absoluten Zahlen nur sehr, sehr wenige Gewaltverbrechen.

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Wie kann man seine Kinder schützen?

Angst vor Kindermördern

Kinder bekommen natürlich auch über die Medien oder Gespräche mit, dass Verbrechen an Kindern geschehen und entwickeln eventuell von sich aus Ängste. Wie können Eltern mit den Ängsten ihrer Kinder in solchen Situationen umgehen?
Eltern sollten erstmal einfach für ihre Kinder da sein und sie begleiten. Das heißt, das Kind über seine Ängste reden lassen, ausführlich und ohne, dass die Ängste von den Eltern gleich als nichtig abgetan werden. Es ist ganz wichtig, dass Kindern im Gegenzug von ihren Eltern Interesse, Verständnis und Offenheit entgegengebracht werden. Oftmals hilft auch eine Art nächtliche Suggestion: Dem Kind beim Einschlafen beruhigend über den Kopf streichen und es wissen lassen, dass es sicher und behütet ist. Auch ein Schutzengel kann hilfreich sein. Bei kleineren Kindern hilft es auch, die bildlichen bösen Geister gemeinsam zu verjagen.


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