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Angstgefühle Warum Fremdeln für Babys so wichtig ist

Angstgefühle: Warum Fremdeln für Babys so wichtig ist
© gradyreese / iStock
Neulich hat Dein Schatz die Dame an der Fleischtheke noch angestrahlt - und auf einmal ist er wie ausgewechselt und sehr reserviert gegenüber weniger vertrauten Personen. Keine Sorge, das Fremdeln ist ganz normal. Ja, sogar ein wichtiger Entwicklungsschritt!

Woran erkennt man Fremdeln?

Das "Fremdeln" tritt häufig um den achten Monat auf, oft über Nacht. Das fremdelnde Baby wendet den Blick ab, klammert und vergräbt seinen Kopf an Mamas Schulter. Die Körpersprache ist eindeutig: "Komm mir bloß nicht zu nah!" Nur engste Vertraute, wie die Eltern können das verängstigte Kind dann beruhigen.

Fremdeln: ein Systemabsturz im Gehirn

Babys Gehirn meldet: da passt was nicht zusammen

Die Ursachen sind nicht hundertprozentig geklärt. Einig sind sich die Wissenschaftler aber darin, dass Fremdeln ein wichtiger Punkt in der gesunden Entwicklung. Also weder die Folge mangelnder Pflege oder eines Erziehungsfehlers.
Forscher vergleichen die Fremdel-Panik mit einer Art Systemabsturz im Gehirn: Im ersten Dreivierteljahr seines Lebens hat das Kind mit seinen Eltern bereits eine sehr feine Form der Verständigung entwickelt - eine sinnliche Sprache aus Gesten, Lauten, Mimik, Gerüchen, Berührungen.
Diese Sprache funktioniert aber nur im eingespielten Team. Ein Unbekannter kann sich noch so viel Mühe geben und Mamas Gesten oder Papas Worte imitieren; sein Geruch, seine Stimme, sein Aussehen - all das weicht vom gewohnten Muster ab. Und genau dies können Kinder mit acht Monaten langsam erkennen. Ihr Gehirn meldet: Da passt was nicht zusammen. Aber sie wissen noch nicht im Geringsten, wie sie auf diese neue Erfahrung reagieren sollen.

Nicht alle Kinder fremdeln gleich stark

Wie stark Kinder fremdeln ist auch eine Frage des Temperaments

Meist sind es plötzlich auftretende Panik-Attacken, die einige Wochen, manchmal Monate anhalten können - allerdings mit großen individuellen Unterschieden. Nicht alle Kinder fremdeln gleich stark: Einige sind nur ein bisschen zurückhaltender als sonst, andere dagegen weinen schon, wenn Opa nur "Hallo" sagt.

Das ist vor allem eine Frage des Temperaments. Manche Babys reagieren eben auch sonst mit heftigem Gefühl, ein anderer Teil ist grundsätzlich etwas cooler. Auch Erfahrungen spielen eine Rolle: Kinder, die häufigen Besuch gewöhnt sind, gewöhnen sich schneller an unbekannte Gesichter.

Sofortmassnahmen gegens Fremdeln

Was tun, wenn das Kind fremdelt? Trösten! Wenn die Fremdel-Attacke wirklich so etwas wie ein Computerabsturz ist, hilft nur ein Neustart auf Mamas Arm. Es empfiehlt sich, Besucher und andere Fremdel-Opfer mit einer Bitte und einer Information zu empfangen. Die Information: Leon meint's nicht persönlich. Die Bitte: Etwas Abstand halten. Gut gemeinte Annäherungsversuche ("Na komm mal her, ich beiß doch nicht!") verstärken die Angst nur. Es wäre also reine Quälerei, das Baby - sozusagen zur Abhärtung - der Tante auf den Arm zu geben, wenn es das nicht will.

Die beste Medizin bei Fremdeln: eine Prise Distanz, eine Riesenportion Nähe

Irgendwann siegt die Neugier - und Baby lächelt wieder

Eine Therapie ist eigentlich nicht nötig. Die Beschwerden verschwinden in der Regel von selbst. Bis dahin lassen sie sich lindern: Die beste Medizin besteht aus einer Prise Distanz (zu weniger vertrauten Menschen) und einer Riesenportion Nähe (zu den vertrauten). Vorsicht: Die Distanz sollte man nicht überdosieren! Selbstverständlich soll Besuch kommen, nur eben behutsam. Und er sollte sich nicht gleich mit Freudengeschrei aufs Kind stürzen. Ein kurzer, freundlicher Blick zur Begrüßung reicht vollkommen. Wir nehmen schließlich auch für uns selbst eine körperliche VIP-Zone in Anspruch, zu der nicht jeder Zutritt hat.

Und dann heißt es einfach abwarten, bis der kleine Klammeraffe die ersten Schritte der Annäherung macht. Schließlich hat die Natur Kindern auch Neugier mitgegeben. Deshalb dauert es meist nicht lang, bis sie von Papas Schoß beziehungsweise Mamas Arm einen verstohlenen Blick in Richtung Fremdling riskieren oder gar vorsichtig lächeln.

Und wenn das Fremdeln ausbleibt?

Bist Du ganz sicher, dass Dein Kind nicht doch gefremdelt hat? Je nach Temperament zeigen Kinder ihre Vorbehalte gegenüber Fremden nämlich ganz unterschiedlich. Mutige, neugierige oder tolerante Babys fremdeln nur sporadisch und ohne viel Schreien. Wenn Dein Kind fremde Gesichter manchmal ernsthaft mustert, dabei die Mundwinkel verzieht oder die Stirn runzelt, sind auch das deutliche Fremdel-Signale.
Möglicherweise kommt die Fremdelphase aber auch noch. "Es gibt Kinder, die erst mit zwei oder drei Jahren Scheu gegenüber Fremden entwickeln", erklärt Dr. Claudia Thoermer, Entwicklungspsychologin an der Uni München.


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