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MUTTERLIEBE: Eine Fehlgeburt ist nicht dein Fehler!

Wie hält man das aus? Expertinnenrat: Das hilft dir, eine Fehlgeburt zu verarbeiten

Fehlgeburt
© fizkes / Shutterstock
Immer mehr Frauen sprechen öffentlich über ihre Fehlgeburt. Der Umgang damit ist genauso individuell, wie wir selbst es sind. Während es für manche Betroffene ein sehr traumatisches Erlebnis ist, gelingt es anderen vergleichsweise schnell, das Erlebte zu verarbeiten. Was bei diesem Prozess helfen kann, verrät uns Expertin und Perinatalpsychologin Sally Schulze.

Alle Emotionen dürfen sein

Was uns oft im Weg steht, sind Annahmen und Erwartungen darüber, wie wir uns fühlen oder verhalten sollten, wenn wir eine Verlusterfahrung gemacht haben. Dabei ist für den Verarbeitungsprozess erst mal wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Bandbreite an Emotionen riesig ist und in keinster Weise widerspiegelt, wie erwünscht oder unerwünscht diese Schwangerschaft war, sagt Sally. Auch Frauen, die mit ihrer Schwangerschaft gar nicht im Reinen sind, sich nicht sicher sind, ob sie diese Schwangerschaft überhaupt wollen oder in der Partnerschaft nicht klar ist, ob man sich das gerade vorstellen kann, können trotzdem total traurig sein und es als riesigen Verlust empfinden, wenn die Schwangerschaft nicht bleibt.

Oft wird davon ausgegangen, dass je mehr du dir ein Baby gewünscht hast, desto größer die Traurigkeit, aber der Zusammenhang ist nicht da. Andersrum gibt es auch Menschen, die sich total gewünscht haben, Eltern zu werden und den Verlust dann trotzdem gut wegstecken.

Man kann sich nicht darauf vorbereiten

Haben wir Angst vor etwas, versuchen viele von uns sich, innerlich auf das Schlimmste vorzubereiten, in der Hoffnung, dass es dann nicht so weh tut, wenn die Situation tatsächlich eintritt. Ein Trugschluss, sagt Sally. „Man weiß es einfach vorher nie, wie man mit dieser Situation umgehen wird, bevor man in der Situation ist und es fühlt. Klar, kann man sich mit dem Thema Fehlgeburt auseinandersetzen und sich informieren. Es wird aber auf emotionaler Ebene keinen Unterschied machen.“

Was in der Situation dann doch ein wenig helfen kann, sind die Erwartungen von außen, wie man sich fühlen sollte, weil sie zumindest Orientierung geben und uns zeigen können, wonach wir vielleicht suchen sollten. Doch genauso wie die Bandbreite auf der emotionalen Ebene ist, ist sie das auch auf der körperlichen. Wie schnell das Erlebte verarbeitet ist, ist genauso individuell, wie wann sich Betroffene wieder bereit fühlen, einen neuen Versuch zu wagen.

"Liebe Mama ..."

Je fortgeschrittener die Schwangerschaft, desto schlimmer der Verlust?

Eine Annahme, die nicht unbedingt zutrifft. Wie lange oder kurz die Schwangerschaft bestand, sagt nichts darüber aus, wie schlimm sich der Verlust anfühlt. Was Sally vielmehr beobachtet hat, ist, dass je länger der Kinderwunsch besteht, desto schwieriger ist es für die Paare, sich nach einer Fehlgeburt wieder zu erholen.

Was hilft beim Verarbeiten von Fehlgeburten?

Sallys Tipp klingt einfach: Jemandem erzählen, was passiert ist. Nur erzählen und das Gegenüber hört zu, in dem Tempo, wie es die Betroffene vorgibt. Deshalb ist es so wichtig, dass der:die andere nur zuhört, ohne Tipps oder Ähnliches zu geben. Also eine:n Freund:in oder Angehörige:n aussuchen, dem man das erzählen mag und auch explizit sagen, dass man gerade nur ein Ohr braucht. Das klingt banal, formt aber eine Geschichte, die für die Bewältigung wichtig ist. Denn wir neigen alle dazu, direkt mit Tipps und wohlmeinenden Ratschlägen einzugreifen, weil wir uns natürlich hilflos fühlen.

Selbstwirksam werden

Eine Fehlgeburt ist immer ein Ereignis, bei dem sich Betroffene unglaublich hilflos fühlen. Meist fängt es damit an, dass man etwas spürt und dann schon eine Vorahnung hat. Leider kann in den allermeisten Fällen niemand etwas tun, außer sie zu begleiten. Hilflosigkeit ist für Menschen eines der schlimmsten Gefühle, die es gibt. Sich durch das Erzählen, diesem schweren Gefühl wieder auszusetzen, freiwillig da noch mal hinzugehen, erfordert schon viel Überwindung. Durch das Erzählen kann aber ein kleines Selbstwirksamkeitserleben erschaffen werden: Ich kann die Geschichte über das Ereignis in meinem Leben erzählen und dann gibt es auch ein Ende. Dann erst folgt die Integration in die eigene Biografie: Das ist mir passiert, das ist Teil meines Lebens, aber eben nur ein Teil. Und das ist superschwer.

Das zu erzählen, ist ein bisschen wie ein Pflaster. Darunter ist trotzdem eine Wunde, aber ein wenig kontrollierbarer wird es trotzdem.
Sally-Schulze
© Privat

Sally ist Diplompsychologin, approbierte Psychotherapeutin und Expertin für Frauenheilkunde. Sie hat vier Jahre als Psychologin Frauen mit drohender Frühgeburt und Eltern auf der Babyintensivstation der Uniklinik Frankfurt betreut. Schon als junge Psychologin wurde sie in die Facharztkonferenz der Uniklinik Frankfurt aufgenommen. Hier erarbeiten Spezialisten:innen verschiedener medizinischer Fächer individuelle Behandlungswege für komplizierte und ungewöhnliche "Fälle" mit Kinderwunsch. Sally ist die psychologische Expertin dieses Gremiums. An der Uniklinik hat sie auch zunächst ehrenamtlich als Psychologin Paare mit unerfülltem Kinderwunsch beraten. Bald schon konnte sie die vielen Anfragen von emotional belasteten Paaren nicht mehr abdecken. Aus diesem Bedarf heraus entstand die Idee für die Onlineplattform MentalStark. 

ELTERN

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