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Streitverhalten Gibt es den richtigen Zeitpunkt für Streit?

Streitverhalten: ein kleines Mädchen sitzt mit ihrem Essen am Küchentisch und verzieht das Gesicht
© veryulissa / Shutterstock
Mit Kindern streiten – das tun alle Eltern. Die Frage ist nur, wann und wie sie das machen sollten.

Im ersten Jahr

Kein Thema

Babys müssen bekommen, was sie brauchen. Wärme. Nähe. Fürsorge. Das reicht. Erziehen ist noch nicht nötig. Auch wenn Eltern manchmal so ein Gefühl beschleicht: Was macht es denn da? Muss das sein?

Fünf Babymomente, die wir nicht missverstehen dürfen:

Oh nein, das Babyphon meldet sich schon wieder

Um in den Schlaf zu finden, muss ein Baby nicht nur müde, satt und warm sein. Es muss sich auch geschützt und geborgen fühlen. Evolutionsbiologisch war es sehr sinnvoll, dass die Kleinsten nicht einfach irgendwo alleine unter einem Baum in der Steppe einschliefen – oder in einem ruhigen, dunklen Kinderzimmer. Am Esstisch wird gelacht, im Fernsehen reden Tatort-Kommissare, Mama hüstelt im Schlaf, Papa schnarcht leise. Am besten schlafen Babys da, wo sie hören und fühlen können, dass sie in Sicherheit sind.

Karotte quer über den Tisch

Es ist eingebauter Selbstschutz: Was das Baby nicht kennt, schluckt es nicht. Eine Ausnahme sind süße Geschmäcker. An süß sind Essanfänger von Geburt an gewöhnt, weil so Mutter- oder Anfangsmilch schmeckt. Um andere Geschmacksrichtungen wie sauer oder salzig zu mögen, brauchen Kinder oft bis zu zwölf Versuche. Bei manchen (Brokkoli! Spinat!) klappt es erst spät oder nie.

Runterwerfen, aufheben, runterwerfen

Was sich wie ein Dressurakt anfühlt – Schnuller landet siebenmal hintereinander unter dem Tisch, Mama taucht ihn hoch – ist eine wunderbare Baby-Übung in Selbstwirksamkeit: Ich tue etwas und erreiche damit die gewünschte Wirkung. Mit jeder solchen Erfahrung baut das Kind Selbstvertrauen auf.

Du nicht, Opa!

Gestern noch geliebter Babysitter. Heute Anlass für die Flucht hinter Papas Beine. Um den achten Monat herum macht ihre zunehmende Mobilität Kindern ab und zu Angst. Sie konzentrieren sich dann voll auf die Eltern, die zwischen den Ausflügen in die Selbstständigkeit den besten Schutz versprechen.

Erst mal schubsen

Zwölf Monate alt und noch auf wackligen Beinen, aber schon der Schrecken der Krabbelgruppe. Sehr große Kinder können ihre Kraft nicht einschätzen. Dann sieht die Kontaktaufnahme zu zierlichen Altersgenossen schon mal aus wie ein Angriff – als der er aber überhaupt nicht gemeint ist.

Im zweiten Jahr

Machen, nicht quatschen

Kinder sind von vielen Worten und Erklärungen schnell überfordert

Die eine muss noch schnell Petersilie kaufen. Der andere will siebzehn Mal in eine Matschpfütze springen. Das ist erst einmal nur ein Interessenkonflikt. Kann sich aber schnell anfühlen wie Streit, wenn die eine 36 ist und es eilig hat – und der andere eineinhalb ist und Spaß haben möchte. Typische Elternsätze wie "Kommst du bitte, Schatz?!" helfen dann wenig bis überhaupt nicht. Pfützenspringer schalten nicht auf Empfang, nur weil Mama sendet.

"Wenn Eltern ihr Kind lenken möchten, ist es das Wirksamste, sich zunächst in seine Welt zu begeben und es dort abholen", sagt Entwicklungspsychologin Johanna Graf, die am Institut zur Stärkung der Erziehungskompetenz das Trainingsprogramm "Familienteam" mitentwickelte.

In welcher Gefühlswelt lebt es gerade? Es platscht, es macht Welle, es tut etwas Spannendes mit wunderbarem Ergebnis. Warum sollte es das freiwillig aufgeben, nur um langweilige Petersilie zu kaufen? Um trotzdem zum Kind durchzudringen, müssen wir es "kontakten", wie Pädagogen das nennen. Berührungen sind dafür ein gutes Mittel. Im Fall des Pfützenspringers also auf Spritzwasserweite heran, die Hand auf seine Schulter legen. Wir dürfen jetzt natürlich noch einen umständlichen Erklärsatz ("Mit Wasser spritzen ist toll, ich weiß das, aber ich möchte trotzdem, dass wir jetzt gehen, weil ich noch Petersilie kaufen muss, weil ohne Petersilie das Couscous nicht schmeckt") anbringen. Wenn es darauf – wahrscheinlich – nicht reagiert, lässt es sich mit der Hand auf der Schulter vielleicht sanft körperlich lenken, weg von der Wasserstelle, hin zum Laden. Mama könnte ihren Sohn auch auf den Arm nehmen, mit ihm zweimal über die Pfütze springen, dann in Richtung Gemüsemann rennen. Ablenken klappt in dem Alter oft noch sehr gut.

Plus

3 häufige Elternsätze und was Kinder von ihnen halten:

  • "Es wäre toll, wenn du jetzt deine Zähne putzen würdest." Kind: "Bagger baggern ist toller."
  • "Würdest du jetzt endlich die Zähne putzen?" Kind: "Nö!"
  • "Bitte, putze deine Zähne." Kind: "Danke, ich will nicht."

Und ein unbeliebter Satz, um den wir manchmal aber nicht herumkommen:

"Wir. Machen. Das. Jetzt."

Ulrich Gerth, Pädagoge und langjähriger Vorsitzender der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, meint dazu: "Haben Eltern entschieden, dass etwas so wichtig ist, dass sie auf jeden Fall bei ihrer Meinung bleiben, dann müssen sie das dem Kind unmissverständlich in wenigen klaren Worten sagen."

Im dritten Jahr

Bin so sauer!

Das kann auf Kinder zutreffen. Aber auch auf ihre Eltern. Warum Strafen alles nur noch schlimmer machen

Theoretisch wissen wir Bescheid: Irgendwann um den zweiten Geburtstag herum beginnt die Autonomiephase. Ich kann selber! Das ist wunderbar. Eigentlich. Weil sie dabei aber diesen einen Elternnerv treffen, der gern selbst bestimmen möchte (oder auch muss, weil es um Zwänge geht oder Gefahren), wird es jetzt öfter laut.

Der Klassiker: Papa hat es morgens eilig, das Kind nicht. Es möchte Klötzchen schubsen, noch mal schnell die Kuschelrobbe Lotti küssen. Und noch mal. Und noch mal. Irgendwann stampft Papa auf, als sei er selber gerade erst zweieinhalb. Er wird laut. Er verweigert seinem heulenden Kind den Schluck Apfelsaft in der Kita-Wasserflasche, den es so gern mag.

Familienkrach. Natürlich mögen Kinder ihn nicht. Sie wollen gut mit ihren Eltern auskommen. Schaffen sie es nicht zu kooperieren, gibt es dafür eine Handvoll Gründe. Es passiert, wenn niemand Zeit hat für sie. Wenn sie müde sind, hungrig, durstig, weil sie Bewegung brauchen. Wenn sie dann störrisch werden, wenn sie quengeln, trödeln, wegrennen, kann sich das für uns Eltern anfühlen wie der Verlust der Kontrolle übers (Familien-)Leben, oder zumindest einen Moment davon. Das bringt uns dazu, Sachen zu sagen (zu schreien auch, leider) oder zu tun, die wir eigentlich nicht möchten. Eine blöde Strafe verhängen zum Beispiel wie: "Heute kein Apfelsaft!"

Strafen sind Machtdemonstrationen, die Kinder demütigen. Das Gefühl, der Ohnmacht, das dabei entsteht, versuchen sie sehr oft mit noch mehr schlechtem Benehmen zu überspielen – sie kommen nicht runter, auch wir fühlen uns weiter machtlos, die Wutspirale schraubt sich höher und höher. Da hilft nur erwachsene Einsicht.

Wir können kurz aus dem Raum gehen, durchatmen, einen Schluck Tee trinken, ein Mantra murmeln: "Dieses hier ist mein wunderbares Kind, für das mein Herz weit offen ist. Immer!" Auch wenn es gerade brüllt, dass die Wände wackeln.

Plus:

Vorschlag für ein überraschendes Streit-Ende

Alle schreien durcheinander. "Stopp", ruft eine(r). "Sofort an die Wand starren!" Ab jetzt schauen Mutter, Vater, Kind oder wer sonst noch beteiligt ist, stumm auf einen Punkt, Zimmerdecke, Himmel oder Baumkronen gehen auch. Wetten, irgendwann müssen auch die wütendsten Wüteriche kichern?

ELTERN

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