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Interview mit Dr. med. Ute Taschner Natürliche Geburt nach Kaiserschnitt: "Viele Frauen trauen sich nicht, kritische Fragen zu stellen"

Dr. med. Ute Taschner
© Sabine Rukatukl
Die erfahrene Ärztin und Mutter Dr. med. Ute Taschner zeigt die Möglichkeiten für eine natürliche Geburt nach einem Kaiserschnitt auf. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen auf ihrem Weg dorthin zu begleiten, ihnen das nötige Fachwissen und viel Wertschätzung, Mut, Kraft und Verständnis mitzugeben. 

Ihr neues Buch soll Schwangeren Sicherheit geben: Es dient als Vorbereitung für eine natürliche Geburt nach einem Kaiserschnitt, liefert ausführliches Praxis-Wissen und klärt sensibel und mit viel Gefühl über das Thema auf.

ELTERN.de: „Ruhe, Zeit und Geborgenheit braucht eine Geburt“: Das klingt in der Theorie sehr schön und absolut erstrebenswert, ist aber in der Praxis nicht immer Realität – was raten Sie Schwangeren deswegen besonders? Und gerade auch, WEIL sie anders gebären als beim ersten Mal? 

Dr. Taschner: Es gibt gute Kliniken, die Wert auf die oben genannten Bedingungen legen und darum wissen, wie wichtig eine positive Geburtserfahrung für Mutter und Kind ist. Die Schwierigkeit liegt darin, eine solche Klinik zu finden. Deshalb möglichst nicht in die erstbeste Klinik fahren. Natürlich kann das auch klappen, falls sich das nächste Kind fix auf die Reise macht. Doch sobald die Geburt (und das tun die wenigsten) nicht nach Schema F verläuft, zeigt sich die Qualität einer guten Geburtshilfe. Deshalb sollten Mütter unbedingt Vorgespräche in den Kliniken führen, Empfehlungen von anderen Müttern einholen und genau nachfragen, wie die Klinik der Wahl eine Geburt nach Kaiserschnitt begleitet.

Wie äußert sich die Qualität einer Geburtshilfe dann genau?

Ich höre öfter von strengen Vorgaben, wie z.B. die Wehen bei einer ansonsten gesunden Mutter müssten spätestens am errechneten Geburtstermin einsetzen, die Eröffnungsphase darf nur x Stunden dauern und das geschätzte Gewicht des Kindes darf nur bei maximal z.B. 3700 g liegen. Das sind zu viele, in der Regel unerfüllbare, Vorgaben. In einer solchen Klinik ist eine Mutter nach Kaiserschnitt, die sich eine natürliche Geburt wünscht, sicherlich nicht gut aufgehoben. Also nachfragen und gut vorbereitet in das Vorgespräch starten und sich im Zweifel eine Zweit- oder Drittmeinung einholen.

Ich wünschte, Mütter hätten viel mehr Mut, eine positive Geburtserfahrung wirklich einzufordern.

Eine frühzeitige Begleitung durch eine Hebamme oder ein Geburtsvorbereitungskurs speziell für Kaiserschnitt-Mütter helfen einer Mutter, selbstbewusster und besser vorbereitet in die Geburt zu starten und dadurch auch die eigenen Wünsche und Bedürfnisse besser zu kennen und dafür einzustehen.

Die eigenen Bedürfnisse und Wünsche als Schwangere zu kennen und sie auch zu kommunizieren, ist besonders wichtig. Was ist Ihre Beobachtung – halten sich viele Schwangere zurück oder nehmen sie ihre eigenen Bedürfnisse ernst?

Leider erlebe ich oft, dass Frauen sich und ihre Wünsche dem Partner und der Familie unterordnen oder es dem Arzt oder den Geburtshelfern recht machen möchten. Viele Mütter trauen sich nicht, kritisch nachzufragen oder für eine gute Klinik einen weiteren Fahrtweg in Kauf zu nehmen. Doch liebe Mama, denke bitte immer daran, dass du und dein Baby die Hauptpersonen bei der Geburt seid. Eure Bedürfnisse dürfen hier ganz klar im Vordergrund stehen.

Gibt es für Gebärende auch eine Alternative zur natürlichen Geburt im Krankenhaus?

Nach nur einem Kaiserschnitt ist in Deutschland eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus denkbar. Dies kann besonders sensiblen Frauen den Rahmen bieten, in ihrem eigenen Rhythmus in aller Ruhe zu gebären. Doch dabei gibt es einiges zu beachten. Dies zu erklären, würde hier zu weit führen. Hebammen, die außerklinische Geburten anbieten, beraten dazu ausführlich und es ist wichtig für alle Beteiligten, mit offenen Karten zu spielen und sich eine Back-Up-Klinik zu suchen, für den Fall einer notwendigen Verlegung. (Weitere Informationen finden interessierte Mütter bei www.quag.de)

Sie haben persönlich beide Arten der Geburt erlebt, rührt daher Ihr Antrieb, Ihr Wissen weiterzutragen und andere Frauen zu unterstützen?

Als ich mich nach zwei Kaiserschnitten auf eine natürliche Geburt vorbereitete, stellte ich fest, dass es im deutschsprachigen Raum dazu außer einer veralteten Leitlinie ausgesprochen wenig fundierte Informationen gab. So begann ich auf englischsprachigen Seiten zu suchen und fand dort eine Vielzahl von Fachartikeln und wissenschaftlichen Studien, die teils nur für Mediziner zugänglich sind. Mit der Zeit sammelte sich da ein ziemlicher Schatz an.

Und diesen Schatz wollten Sie teilen…

Ja, dieses ganze Wissen stelle ich nun in komprimierter Form Müttern und auch Fachleuten im deutschsprachigen Raum in Form von Büchern, Seminaren und meinem Blog zur Verfügung. Meine größte Motivation ist, dass Mütter, die einen Kaiserschnitt hatten, ihren Weg zur Geburt ohne Angst, sondern auf der Basis von gut recherchierten Informationen gehen können und dies mit einer fachlich kompetenten und wertschätzenden Begleitung. Für welche Art der Geburt sich eine Mutter am Ende entscheidet, spielt für mich keine Rolle.

Warum hält sich der Mythos, dass nach einem Kaiserschnitt auch beim nächsten Baby ein erneuter Kaiserschnitt erfolgen muss, immer noch so stark? 

Ich denke, dieser Mythos hält sich deshalb so zäh, weil es leider noch immer die Realität ist. So bringen 3 von 4 Müttern in Deutschland, die einen Kaiserschnitt hatten, das nächste Kind wieder durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Aus medizinischen Gründen wäre das aber gar nicht notwendig. So zeigt der Blick in skandinavische Länder, dass dort immerhin jede zweite Kaiserschnitt-Mutter beim nächsten Mal eine natürliche Geburt erlebt. Wiederholte Kaiserschnitte passieren oft aus Angst, aber auch die Überlastung der geburtshilflichen Abteilungen und mangelndes Wissen bei Müttern und leider auch bei Geburtshelfern spielen dabei eine Rolle.

Nach einer traumatischen Geburt: Was ist Ihre Herangehensweise, damit Schwangere ihre Ängste loslassen, offen und optimistisch in die Geburt gehen und eine positive, andere Geburtserfahrung machen können? Dass sie sozusagen von einer traumatischen Geburt hin zu einer Art Traumgeburt kommen?

Mütter, die sich nach schwierigen Geburten an mich wenden, dürfen in Ruhe erzählen, was sie erlebt haben. Ich bewerte nichts. Meistens schauen wir uns dann die Aufzeichnungen aus dem Kreißsaal oder den OP-Bericht an und versuchen zu rekonstruieren, was passiert ist. Die weitere Begleitung ist sehr individuell und wir finden heraus, was die Mutter (und das Baby) braucht. Viele Mütter schreiben sich die Erinnerung in einem Geburtsbericht von der Seele oder holen das Bonding mit ihrem Baby nach und vieles mehr.

Und der nächste Schritt?

Der nächste Schritt ist die Vorbereitung auf die bevorstehende Geburt. Ich frage, was der Mutter besonders wichtig ist. Das Ziel ist höchstmögliche Selbstbestimmung vor, während und nach der Geburt. Anhand der Krankenakte können wir häufig feststellen, wann diese bei der letzten Geburt verloren ging. Fast immer finden wir aber auch ganz viel, was schon richtig gut gelaufen ist und worauf die Mutter beim nächsten Mal zurückgreifen kann. Wir entdecken die Ressourcen der Mutter und stärken diese. Eine Mutter, die so vorbereitet in die nächste Geburt startet, erlebt diese Geburt meist sehr positiv und selbstbestimmt – egal, ob es dann zum Kaiserschnitt kommt oder ob es auf natürlichem Weg klappt.

Wann würden Sie eine Schwangere lieber an andere Kolleg:innen verweisen?

Leidet eine Mutter an einer posttraumatischen Belastungsstörung, verweise ich sie weiter an dafür ausgebildete Experten. Eine posttraumatische Belastungsstörung erkennt man daran, dass eine Mutter die Erinnerung an die Geburt nicht loslässt und in Form von Tagträumen, Flashbacks oder Albträumen zurückkehrt. Manche Mütter vermeiden alles, was sie an die Geburt erinnert. Sie wirken gleichgültig, teilnahmslos oder können sich nicht mehr konzentrieren. Auch Schlafstörungen oder Schreckhaftigkeit können Symptome sein.

Wann ist ein erneuter Kaiserschnitt nicht zwingend notwendig?  

Wie ich auch in meinem Buch schreibe, kommt eine natürliche Geburt nach vorherigem Kaiserschnitt grundsätzlich in Frage, wenn das Kind in Schädellage liegt und die Wehen im regulären Geburtszeitraum – 37. bis 42. Schwangerschaftswoche – einsetzen. Dies ist bei den meisten Schwangerschaften der Fall.  

Die Chance, eine natürliche Geburt zu erleben, wenn es bis zum Geburtsbeginn keinen medizinischen Grund für einen erneuten Kaiserschnitt gab, ist übrigens hoch. Je nach Klinik kommen acht von zehn Kindern dann auf natürlichem Weg zur Welt. Nach zwei Kaiserschnitten sehen die Zahlen bei guter Begleitung ähnlich vielversprechend aus. Entscheidend ist, welche Grundhaltung die von der Schwangeren gewählte Geburtsklinik zu einer Geburt nach Kaiserschnitt hat.

Und wann muss nach einem Kaiserschnitt noch einmal ein Kaiserschnitt erfolgen? 

Es gibt spezielle Umstände, die als so genannte „relative Kontraindikationen“ für eine natürliche Geburt bezeichnet werden. Das bedeutet, falls einer oder mehrere dieser Umstände vorliegen, kann es sein, dass die Geburtshelfer zum wiederholten Kaiserschnitt raten. Hier lohnt es sich, falls die Schwangere das möchte, eine Zweitmeinung einzuholen, denn verschiedene Kliniken beurteilen die medizinischen Voraussetzungen je nach eigener Haltung und Erfahrung häufig unterschiedlich. Viele Mütter haben in der Vergangenheit trotz dieser speziellen Umstände eine Geburt auf natürlichem Weg erlebt. Dazu zählen Schwangerschaftsdiabetes (insulinpflichtig oder diätetisch eingestellt), ein sehr groß geschätztes Kind über 4,5 kg, Übergewicht der Mutter, Zwillinge, Baby in Beckenendlage oder ein oder mehrere Kaiserschnitte in der Vorgeschichte.

Gegen eine natürliche Geburt spricht, wenn die möglichen Risiken für Mutter und Baby leider schwerer als die Vorteile einer natürlichen Geburt wiegen. Solche Gründe sind beispielsweise ein gutartiger Tumor der Gebärmutterwand (Myom), der den Geburtskanal versperrt, wenn die Plazenta den Geburtskanal blockiert (Plazenta praevia) oder ein erhöhtes Risiko besteht, dass die Wand der Gebärmutter einreißen könnte (Uterusruptur). In diesen Fällen ist ein erneuter Kaiserschnitt leider unumgänglich. 

Manchmal kann sich auch im Gespräch mit den Geburtshelfern die Erkenntnis ergeben, dass der wiederholte Kaiserschnitt für die Schwangere und das Baby insgesamt der passendere Geburtsweg ist. Dieser Kaiserschnitt kann nun von ihr in ihrem neuen Bewusstsein für die Besonderheiten dieser Geburt ganz anders vorbereitet werden, so dass eine positive, nicht traumatisierende Erfahrung daraus erwachsen kann.

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© Sabine Rukatukl

 Wer mehr über Dr. med. Ute Taschners Ansätze und Hilfestellungen lesen will: Ihr Buch "Natürliche Geburt nach Kaiserschnitt: Praxiswissen von der Ärztin" ist im September 2021 im edition riedenburg Verlag erschienen.

Verwendete Quelle: Interview mit Dr. med. Ute Taschner

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