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Die Wahrheit ist: Ich kann das Kind meines Partners nicht lieben

Unglueckliche Mutter und Sohn
© izusek / iStock
Lea S. hat sich immer Kinder gewünscht. Sie dachte, es würde ihr auch leicht fallen, das Kind ihres Partners zu lieben. Mittlerweile weiß sie: Liebe kann man nicht erzwingen. Nicht einmal, wenn man es selbst so sehr will.

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Er war gerade zwei geworden, als ich ihn kennenlernte. Mit seinen großen braunen Augen und den Locken, die ich an seinem Vater so liebe, stand Ben vor mir und streckte mir lächelnd ein Büschel Gras entgegen. Ich beugte mich zu ihm runter und nahm dieses süße Willkommensgeschenk in meine Hände. Wie niedlich er mich ansah! Ich war ganz und gar entzückt von diesem kleinen Kerlchen, das seinem Vater so ähnelte, und war mir sicher, vor uns läge ein wunderbares Patchwork-Märchen. Eines mit viel Liebe und Verständnis füreinander. Eines mit einem fetten Happily Ever After untendrunter. Ich wünschte, ich hätte damit Recht gehabt.

Ein Märchen, das eines blieb

Dieses Märchen sollte leider ein Märchen bleiben. Heute, neun Jahre später, fühle ich mich ehrlich gesagt verbittert, alt und kaltherzig, wenn ich es denke oder ausspreche (was ich eigentlich fast nie tue – nicht mal vor meinen besten Freunden), aber es ist leider wahr: Ich habe es bis heute nicht geschafft, das Kind meines Partners wirklich von Herzen zu lieben. Ich finde das schändlich, traurig und kein bisschen rühmlich. Aber wenn ich darüber nachdenke, komme ich immer und immer wieder zu dem Schluss: Mein Leben wäre einfacher ohne ihn. Und ich weiß, dass das nicht an ihm liegt, sondern an der Situation und an mir. Doch das macht die Sache unterm Strich nicht besser.

Die Liebe und das Geld

In meiner ersten Verliebtheit hab ich es zwar nicht kommen sehen, aber dass mein Partner bereits ein Kind hat, machte und macht auch heute noch jeden Schritt mit ihm schwieriger. Schon als wir heiraten wollten, ging es los. „Ich würde ja gerne, aber ich glaube, wir können uns das nicht leisten“, sagte er zerknirscht und zeigte mir seine Kontoauszüge. Als ich auf denen die Summe sah, die er monatlich für seinen Sohn zahlt, wurde mir ein bisschen übel. Nicht falsch verstehen, ich bin sehr froh, dass er keiner von denen ist, die sich aus der Verantwortung stehlen. Aber mal ganz zusammenhangslos gesehen: Bis heute schmerzt der Betrag, der monatlich (obwohl völlig zu Recht) auf dem Konto seiner Frau landet. Und wenn dann sein Sohn von oben bis unten in Levis, Adidas und Co gekleidet ist und mit 11 Jahren das neueste iPhone besitzt, muss ich ehrlicherweise manchmal schlucken. Wir kaufen solche Dinge nicht. Wir können sie uns schlichtweg nicht leisten.

Die Liebe und die Planung

Auch als wir selbst unser erstes Kind bekamen, war es wieder da: Das Gefühl, dass es schöner wäre, wenn es auch sein erstes Kind wäre. Als mein Mann mich während der Wehen massierte, wütete in mir ein Sturm aus Schmerzen und Eifersucht. Hatte er sie genauso massiert, als sie ihm seinen ersten Sohn schenkte? Findet er mich wehleidig im Vergleich? War sie tapferer als ich? Ich weiß, wie bescheuert jeder einzelne dieser Gedanken war. Und trotzdem kamen sie einfach so. Ungefragt. Unerwünscht. Zum Glück habe ich sie für mich behalten. Mittlerweile haben wir zwei gesunde Töchter, ich hätte gerne noch ein drittes Kind. „Das geht nicht, wir haben sonst keinen Platz mehr für Ben in der Wohnung“, war die Antwort meines Mannes, als ich ihm von meinem Wunsch erzählte. Und ich weiß, dass er wieder einmal Recht hat.

Die Liebe und die Zeit

In einer Familie gibt es viel Wäsche, viele Krümel auf dem Boden und noch mehr Spielsachen, die nicht an ihrem Platz liegen. Auch bei uns. Eines aber ist immer Mangelware: Zeit. Vor allem, wenn plötzlich noch ein Gerichtsverfahren wegen des Sorgerechts läuft, jedes zweite Wochenende ein Kind aus 100 km Entfernung abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden muss und wenn die Koordination eines einzigen Urlaubs mit Ben gefühlt dem organisatorischen Aufwand eines G20-Gipfels entspricht. Ich weiß, dass es unfair ist, das Ben anzuhängen, aber ich vermisse meinen Mann oft. Es wäre sicher anders, wenn mein Mann und seine Ex-Frau sich besser verstehen würden. Aber so wie es gerade ist, ist es kaum tragbar. Denn zu oft ist mein Mann nicht da. Und wenn er da ist, ist er oft gedankenversunken und traurig. Sein Sohn fehlt ihm. Und mein Mann fehlt mir.

Die Liebe und die Gene

Und dann ist da noch Ben an und für sich. Er kommt nicht nach seinem temperamentvollen Papa. Er kommt nach seiner introvertierten Mom. Bei uns im Haus geht es laut, lustig und manchmal auch ein bisschen schroff zu. Ben ist damit komplett überfordert. Jedes Wochenende, an dem er bei uns ist, ziehe ich also meine Samthandschuhe an, ermahne meine Töchter zu mehr Ruhe und versuche, es ihm so schön wie möglich zu machen. Ich glaube, es geht Ben gut bei uns. Nur mir, mir geht es nicht so gut, wenn er da ist. Weil ich nicht mehr ich bin mit ihm, weil wir nicht mehr wir sind. Sonntagsabends breche ich erschöpft auf dem Sofa zusammen und schaue stumpf totalen Blödsinn im Fernsehen, um nicht nachdenken zu müssen. Nicht darüber, wie es ohne ihn wäre. Und nicht darüber, wie grausam allein dieser Gedanke ist.

Warum es wahrscheinlich gut ist, Ben zu kennen

Eines Tages wird Ben ein Mann sein und ich glaube, dass ich ihn sehr schätzen werde. Vielleicht sogar für seine ruhige und introvertierte Art, mit der er unsere Familie bereichern wird. Vielleicht dafür, dass er mir eine schmerzlich echte Seite an mir gezeigt hat, die ich zwar nicht leiden kann, aber die trotzdem zu mir gehört. Ich weiß selbst nicht, warum ich ihn nicht schon jetzt genau dafür lieben kann, dass er so ist, wie er ist. Ich weiß aber, dass ich mich nicht länger schämen möchte für das Gefühl, das Ben in mir auslöst. Liebe ist es leider nicht, auch wenn ich das gerne sagen würde. Vielmehr ist es das Gefühl, vor meinen eigenen Abgründen zu stehen. Ich hoffe, dass ich die eines Tages von ihm trennen kann. Erst dann ist der Weg frei für etwas Neues zwischen Ben und mir. Bis dahin versuche ich einfach, gut zu ihm zu sein. Mehr kann ich im Moment nicht bieten. Auch wenn es mir leid tut, für Ben, für meinen Mann und für mich selbst.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen bei BRIGITTE.de.


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