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Mehrsprachigkeit Chinesisch lernen mit drei?

Chinesisch schon im Kindergarten? Zu ehrgeizig oder genau richtig für künftige Globalplayer? Wir sind einen Tag in einer zweisprachigen deutsch-chinesischen Kindertagesstätte mitgelaufen. Ein spannendes Projekt.

Bruder Jakob und drei seltsame Tiger

Donnerstagmorgen im "Glückskinderhaus". Alle Betreuer und Kinder versammeln sich in einem Sitzkreis und stimmen ein Morgenlied an. Die sonnenblonde Erzieherin Antje Heise zupft auf der Gitarre, während die Kleinen in die Hände klatschen und noch ein wenig schläfrig "Bruder Jakob, schläfst du noch?" mitsingen. Nachdem jedes Einzelne der neun Kinder singend begrüßt wurde, geht das Morgenlied in die zweite Runde. Diesmal auf Mandarin. In der chinesischen Version von "Bruder Jakob" geht es um drei seltsame Tiger, die zwar schnell rennen können, aber weder Ohren noch einen Schwanz haben. Die chinesischen Betreuerinnen begleiten den Text mit passenden Gesten, die Kinder ahmen sie nach, bewegen die Arme wie beim Laufen, deuten mit einer schlängelnden Handbewegung einen Tigerschwanz an oder ziehen die Schultern ratlos nach oben.

Warum brauchen wir eine deutsch-chinesische Kita?

"Das Glückskinderhaus" ist die erste zweisprachige deutsch-chinesische Kindertagesstätte in Deutschland. Die Leiterin Xiaohong Fei nimmt Kinder von null bis sechs Jahren in ihren Kinderkrippen- und Kindergartengruppen auf. "Es gibt bereits viele Möglichkeiten seine Kinder bilingual betreuen zu lassen", erklärt die gebürtige Chinesin, "aber bisher nur Deutsch in Kombination mit Englisch, Italienisch, Französisch oder Russisch. Doch in Deutschland leben viele Chinesen. Auch Mandarin wird als neue Weltsprache immer wichtiger. Es ist höchste Zeit, die chinesische Sprache früh zu fördern und schon die Kleinen an die fernöstliche Kultur heranzuführen."

Viele "Glückskinder" kommen aus einer internationalen Familie

Nach dem Morgenlied räumen die Betreuerinnen die Sitzkissen wieder auf und teilen die Kinder in zwei Gruppen ein: Die Babys bleiben zum Spielen im Zimmer, die Kindergartenkinder drängen zum Toben nach Draußen. Auf der Brücke über dem Bach hat Fanny mit dem dichten Pagenkopf und den kohlschwarzen Augen keinerlei Schwierigkeiten, die Enten auf Deutsch und auf Chinesisch zu zählen: "Eins, zwei, drei Enten - yi, er, san ge yazi!" Denn ihre Mutter ist Chinesin, ihr Vater Deutscher und das Mädchen wächst bereits zweisprachig auf.

Dagegen hat es Kenda ein wenig schwerer. Ihre Eltern sind gerade erst nach Deutschland gezogen, ihre Muttersprache ist Arabisch. Eine deutsch-arabische Kita gibt es in München nicht. Doch der kulturell offene Ansatz des "Glückkinderhauses" gefiel Kendas Eltern. Ihre Tochter ist nun mit einem völlig neuen sprachlichen und kulturellen Umfeld konfrontiert, schlägt sich aber tapfer. Nach nur einem Monat bei den "Glückskindern" scheint sie das meiste zu verstehen, denn sie reagiert sowohl auf die deutschen als auch auf die chinesischen Betreuerinnen. Nur beim Sprechen stößt Kenda oft noch an ihre Grenzen. Dann schnaubt sie, schüttelt ihre Locken und legt die Stirn in Falten.

Die meisten "Glückskinder" haben deutsche Wurzeln

Der Großteil der "Glückskinder" hat jedoch deutsche Wurzeln. Die Eltern wollen ihren Nachwuchs besser auf eine globalisierte Welt vorbereiten. Im deutsch-chinesischen Kindergarten können die Kleinen die fremde chinesische Kultur hautnah erleben und mit Kindern unterschiedlichster Herkunft Freundschaft schließen. Auch die Möglichkeit, eine so schwierige Sprache wie Mandarin von Klein auf zu erlernen, sehen die Eltern der "Glückskinder" als große Chance.

Verständigung auf Multi-Kulti

Die Kindergartengruppe ist an ihre Lieblingsstelle im Park angelangt: auf einem Platz plätschert ein Springbrunnen. Direkt aus dem Boden blubbern kleine Wasserfontänen. Die Kinder patschen über die nassen Platten, jauchzen und bespritzen sich gegenseitig. Und irgendwie schaffen es alle sich zu verständigen, auch wenn die Halbspanierin Angelina auf Deutsch nach dem Bagger sucht, Kenda auf Arabisch antwortet und der blondgelockte Friedrich an seinem Schnuller nuckelnd die Situation nutzt, um mit dem begehrten Spielzeugbagger davon zu tuckern. Schon mahnt die Betreuerin Xiaojun Zheng auf Chinesisch zur Rückkehr in den Kindergarten. Die Kleinen verstehen sie sogleich, räumen die Spielsachen zusammen und brechen gemeinsam auf.

Ein Vollbad in der Fremdsprache

"Das Glückkinderhaus" arbeitet mit dem Immersionsprinzip. "Wir halten keinen Unterricht, sondern vermitteln die Fremdsprache durch tägliches Eintauchen in ein chinesisches Sprachbad", erläutert die pädagogische Beraterin Anne Raab. Die Kinder sind immer von zwei Sprachen umgeben, wie in einer bilingualen Familie. "Das Glückkinderhaus" fährt deshalb mit doppelter Besatzung: den Kindern stehen immer eine deutsche und eine chinesische Betreuerin zu Seite. Die "Glückskinder" entdecken die Welt auf diese Weise doppelt - auf Deutsch und auf Mandarin - und lernen spielerisch, sich in beiden Sprachen auszudrücken.

"Wasser oder Tee? - Shui haishi cha?"

Die Kindergartengruppe ist mit knurrendem Magen ins "Glückkinderhaus" zurückgekehrt und deckt gemeinsam den Mittagstisch. Das Geschirr ist kunterbunt. Antje Heise hilft den Kindern die Farben richtig zu benennen, indem sie auf Teller und Becher deutet: "Gelb, blau, rot, grün!" Xiaojun Zheng, der immerzu die dunklen Ponysträhnen ins Gesicht rutschen, wiederholt die Farbenvielfalt auf Chinesisch: "Huangse, lanse, hongse, lüse!" Nach diesem spielerischen Prinzip verläuft ein Großteil der Alltagskommunikation im Kindergarten: "Felix, was möchtest du trinken? Wasser? Tee?" - "Shui? Cha?", folgt das Echo der chinesischen Erzieherin. Angelina verlangt selbstbewusst nach "Cha!", Viktor deutet mit dem Zeigefinger auf die Wasserkaraffe.

Antje spricht nur Deutsch, Xinxin nur Chinesisch

Antje Heise, die nach dem Essen die Teller mit den Gemüsekuchenresten wieder abräumt, hat ihre Diplomarbeit in Pädagogik über Mehrsprachigkeit geschrieben: "Solange die Kinder verschiedene Bezugspersonen haben, die klar für eine Sprache stehen, ist Mehrsprachigkeit kein Problem", erläutert sie, während Felix an ihrem Rock zupft, um sie zum Basteltisch zu ziehen. Die Kinder rollen bereits Kügelchen aus grünem Krepp in den Handflächen und kleben sie auf braunes Tonpapier. Sie basteln einen chinesischen Bambuswald wie ihn die Erzieherin Xiajun Zheng und ihre Kollegin Xinxin Hu aus ihrer Heimat kennen. Die beiden Chinesinnen sind vor zwei Monaten nach Deutschland gezogen, um bei den "Glückskindern" zu arbeiten. Sie sprechen mit den Kindern ausschließlich Chinesisch, damit die Kleinen nicht durcheinanderkommen.

Chinesischlernen ist nicht umsonst

Die Leiterin Xiaohong Fei betont, dass sie die Kinder zwar intensiv fördern möchte, aber was die Kinder sich herauspicken, ob sie mitmachen oder nicht, bleibt ganz ihnen überlassen. Im oberen Stockwerk des "Glückskinderhauses" werden gerade Themenräume ausgebaut: ein "Restaurant" mit Küche und Esstischen, ein "Atelier" mit Kalligraphiepinseln und Malblöcken, ein "Architekturbüro" mit Bauklötzen und Legosteinen, eine "Bühne" mit Verkleidungskiste und ein "Musikzimmer". Da die laufenden Kosten der Kita privat finanziert werden, hat diese intensive Förderung natürlich seinen Preis. Für eine ganztägige Betreuung von 8.00 - 16.00 Uhr mit Verpflegung muss man mit rund 800 Euro monatlich rechnen. Zusatzangebote wie Abend-, Wochenendbetreuung oder Abholservice kosten extra.

Kinderparty mit Glücksnudeln und Geburtstagskuchen

Auch Kindergeburtstagsfeiern richtet das "Glückkinderhaus" aus. Eine gute Gelegenheit den "Glückskindern" die chinesische Kultur spielerisch näherzubringen. Letzte Woche hatte Kenda Geburtstag, wie man an einem buntbemalten Plakat im "Restaurant" ablesen kann. Zu diesem Anlass haben die chinesischen Betreuerinnen mit den Kindern Nudelteig geknetet und lange dünne Nudeln aus der Nudelmaschine herausgedrückt. Das ist in China Brauch, denn lange Nudeln symbolisieren ein langes Leben. Die Kleinen waren ganz erstaunt, dass sie ihre selbstgemachten Nudeln am Ende wirklich essen konnten und sie so köstlich schmeckten. Wie es in Deutschland bei einer Geburtstagsfeier üblich ist, bekam Kenda auch einen Kuchen mit drei flackernden Kerzen: "Zum Geburtstag viel Glück!" sangen die Kinder gemeinsam, während Kenda die Flämmchen auspustete - und gleich danach sangen sie die Glückwünsche auf Chinesisch: "Zhu ni shengri kuaile!"

Der Kindergarten "Glückskinder" hat mittlerweile leider geschlossen. Aber in vielen Städten gibt es Chinesische oder andere Bilinguale Kindergärten und auch Schulen. Auf der Homepage des FMKS - frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen können Sie sich dazu informieren.

 


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