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Corona-Tagebuch einer Mutter Der Wahnsinn hat einen neuen Namen: Homeschooling

Junge im Homeschooling
© Marie Stadler
Homeschooling soll ein Problem sein? Nicht doch! Für ein siamesisches Oktopuspaar mit sechzehn Armen, Nerven aus Stahl, ein paar Doktortiteln in Pädagogik und Selbstbeherrschung wäre das alles hier ganz sicher ein Kinderspiel.

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Da sitzen wir also wieder. Zuhause, bewaffnet mit frisch gespitzten Bleistiften, ein paar Koala-Milchcreme-Keksen zum Gute-Laune-Erhalt und zwei Arbeitsplänen für drei Kinder. Zwei für drei? Nun ja, die Große hat für den ersten Homeschooling-Tag leider keine Aufgaben bekommen. „Wir müssen uns nun erst einmal sortieren und starten erst Dienstag mit dem Distanzunterricht“, hatte am Wochenende der offensichtlich recht tiefenentspannte Rektor Herr B. der Gesamtschule geschrieben. Verstehen wir natürlich, es waren ja jetzt auch nur drei Wochen Ferien in Niedersachsen und wirklich KEINER hätte mit Homeschooling rechnen können… Kurz ist mir danach, einen Wutbürgerbrief zu schreiben. Das kann ich gut seit Corona. Aber dann erkläre ich diesen Mann aber lieber zu meinem persönlichen Zen-Meister und mach mir erst mal einen Kaffee. Muss mich nämlich erst mal sortieren!

Ja, stimmt, so war das im Frühling

Dann geht es los. Bis zum ersten „Ich kann nicht mehr“ dauert es keine zwei Minuten. „Und außerdem haben wir noch nie Rechenhäuser in der Schule gemacht!“ Frustriert schmeißt der Erstklässler seinen Bleistift auf den Tisch. „Alter!“, kreischt das Teeniemädchen und springt auf. „Du hättest mich beinahe getroffen!“ Das Baby erschrickt sich und schreit. Während ich stille, liest die Drittklässlerin ihren Reli-Text über Mose durch und ist verstört. „Warum hat Gott alle Erstgeborenen getötet? Der ist doch eigentlich lieb, oder?“ „Isser nicht!“, sagt unsere Erstgeborene, zeigt den Kleinen die fiesesten Kriegsbilder aus ihrem Geschichtsbuch und schon befinden wir uns mitten in einer verzwickten theologischen Diskussion, während das Baby fünf Werbeprospekte zerrupft und der Erstklässler heimlich zum Lego schleicht. Ich schiele auf die Uhr. Mensch, schon dreißig Minuten geschafft. Sind dann ja nur noch so neun Stunden, bis der Mann nach Hause kommt. Easy.

Der pure Neid

Der Vater der vier Kinder ist montags bis freitags bei der Arbeit. Ist systemrelevant, da kann man nichts machen. Er ist aufgestanden und hat das Haus verlassen als alle noch schliefen. Herrliche Vorstellung… Während um mich herum ein Streit um die letzten zwei Salzstangen tobt, schließe ich die Augen und träume mich in sein Leben. Ich dusche. Alleine. Ich fahre im Auto über die A7. Alleine. Warmer Kaffee in meiner Kehle… Ein bisschen Nebel und völlige Stille. Bei der Arbeit setze ich mir riesige Kopfhörer auf den Kopf, keiner stört meinen Flow. Ach, schon Mittagspause? Bestellen wir Pizza? Ein Käffchen im Pausenraum? Wie schön!

Mag sein, dass meine Phantasien grundsätzlich und besonders in diesen Zeiten nicht ganz den Tatsachen entsprechen, aber ich will mich jetzt echt nicht von Tatsachen verwirren lassen. Ich will jetzt einfach vor Neid zerplatzen. Und zwar so richtig. Das kann man nämlich herrlich mit Fischstäbchen braten, Volumenberechnung erklären und gleichzeitigem Brei füttern kombinieren.

Alles voll entspannt

Der Esstisch im Homeschooling ist voller Schulmaterialien
© Marie Stadler

Zwei Videokonferenzen, drei Druckerpapierstaus und siebenundfünfzig „Ich kann nicht mehr“s später haben wir es geschafft. Das achtundfünfzigste „Ich kann nicht mehr“ ist meines. Wir spielen Monopoly, bis einer weint, gehen in eiskaltem Regen spazieren, um nicht wahnsinnig zu werden und verhandeln, wieviele Dinosaurier im Playmobil-Prinzessinnenschloss wohnen dürfen und ob sie berechtigt sind, diverse Adlige zu verspeisen. Das Baby haut sich die Rassel auf den Kopf. Der Erstklässler möchte die Telefonnummer von Mose, um seiner Schwester eine Heuschreckenplage ins Zimmer zu schicken. Als der Mann Stunden später von der Arbeit kommt, strahlt das Baby ihn entspannt aus der Wippe an, während die Kinder oben lachen und die Älteste eine Bratpfanne spült. „Schön, dass hier alles so entspannt ist!“, sagt er und freut sich für mich. „Bei mir wars heute irgendwie stressig…“


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