VG-Wort Pixel

Babyentwicklung 15 spannende Fragen rund ums Sprechen lernen

Sind Kinder, die früh sprechen, auch intelligenter? Welches sind die beliebtesten ersten Wörter? Ist der Fernseher ein guter Sprachlehrer? Hier findest Du Antworten auf 15 spannende Fragen rund ums Sprechen lernen.

Artikelinhalt

Muss ich meinem Kind das Reden beibringen?

Klingt eigentlich ganz einleuchtend: Mutter, Vater oder große Schwester sprechen vor, Kleinkind plappert nach. Mit dem Sprechen ist es allerdings ein wenig komplizierter: Der Drang, sich auszudrücken, scheint uns ähnlich angeboren zu sein wie das Programm, das uns aufrecht gehen lässt. Denn kleine Menschen lernen auch unter widrigen Umständen: etwa, wenn die eigenen Eltern taubstumm sind. Oder wenn sie in einer Kultur aufwachsen, in der Kleinkinder wenig angesprochen werden - etwa bei bestimmten Volksstämmen in Neuguinea. Nur wenn ein Kind in den ersten drei Lebensjahren völlig ohne sprachliche Zuwendung aufwächst, dann lässt sich die Lücke später nicht mehr ganz schließen - das belegen tragische Einzelfälle wie der des historischen Findelkindes Kaspar Hauser. Für den Alltag bedeutet das: Es ist hilfreich, wenn Eltern kommentieren, was sie tun ("So, jetzt ziehen wir den linken Schuh an") oder beim Wickeln das Lied von den zehn kleinen Zappelfingern singen. Aber keiner muss seinem Einjährigen einen Rund-um-die-Uhr-Sprachkurs bieten.

Babyentwicklung: 15 spannende Fragen rund ums Sprechen lernen

Wann beginnt ein Baby mit dem Sprechenlernen?

Vor dem Sprechen kommt das Verstehen. Und das beginnt, sobald das Gehör ausreichend entwickelt ist - also ab der 25. Schwangerschaftswoche. Bereits in der Endphase der Schwangerschaft können Babys verschiedene Laute unterscheiden. Das zeigt ein Experiment, bei dem Forscher Ungeborenen im achten Monat mehrmals die Silbenfolge "ba-bi" vorspielten und dann zu "bi-ba" wechselten. Tatsächlich bemerkten die Winzlinge den Unterschied und reagierten darauf mit einem beschleunigten Herzschlag. Und schon bei der Geburt ist der kleine Mensch auf seine Muttersprache eingestellt. Eine aktuelle Studie an der Uni Würzburg, bei der die Schreimelodien von deutschen und französischen Neugeborenen verglichen wurden, belegt: Bereits mit den allerersten Lauten kommunizieren Babys in ihrer Muttersprache. Die deutschen mit einer absteigenden Tonfolge, die französischen mit einer aufsteigenden.

Was ist der Unterschied zwischen dem natürlichen Sprechenlernen und einem Sprachkurs für Erwachsene?

Jeder erwachsene Mensch, egal wie gut er im Deutschunterricht aufgepasst hat, hat ein theoretisches Grundwissen über Sprache: etwa, wie ein Satz aufgebaut ist oder warum Verben in verschiedenen Zeitformen existieren. Ein Grundmuster, das hilft, sich im System einer Fremdsprache zurechtzufinden und mit Übungsbuch zu lernen. Ein Baby hat diese Hilfskonstruktion nicht und muss den sprachlichen Code wie ein kleiner Detektiv knacken. Dafür hat die Natur es allerdings mit einem imposanten Werkzeugkasten ausgestattet. Zum Beispiel mit einem angeborenen Gefühl für Rhythmus - da im Deutschen die meisten Wörter auf der ersten Silbe betont werden (Hse, Nse), ziehen sie bald den Schluss: Aha, immer wenn eine Betonung kommt, beginnt etwas Neues. Und unablässig vergleicht das Babyhirn optische Eindrücke (das rote Ding da auf meiner Sprechen lernen Spieldecke) und Wörter (Mama hat schon wieder "Bagger" dazu gesagt!). So kommt es, dass Kinder früh schon viel mehr verstehen, als sie selbst sprechen können - und das ist nun wieder ganz ähnlich wie beim Erwachsenen-Spanischkurs in Andalusien.

Warum ist der eigene Name so wichtig beim Sprechenlernen?

"Nakleinerjonaswoissndeinhase?" Gar nicht so einfach, aus diesem Redestrom einzelne Wörter herauszuhören. Der eigene Name, so haben texanische Forscher herausgefunden, wirkt für das Kind wie eine Art Anker oder Stoppsignal: ein festes Element im Redestrom, das hilft, sich zu orientieren. Die gleiche Funktion haben übrigens auch andere häufig gebrauchte Wörter wie "und", "mit" oder Artikel (der, die, das).

Woher weiß man überhaupt, was Babys verstehen?

Kleinkindforscher haben's nicht leicht - schließlich können ihre Testpersonen ja noch nicht sagen, was in ihrem Kopf vorgeht. Deshalb behelfen sich die Wissenschaftler mit anderen Signalen. Etwa, ob die Babys beim Auftreten eines bestimmten Wortes rascher an ihrem Schnuller nuckeln. Oder sich einer Schallquelle zuwenden. Auch bildgebende Verfahren wie ein EEG können aufschlussreich sein.

Warum wird in Babykursen so viel gesungen?

Babys haben ein angeborenes Gespür für Musik: Sie erkennen sogar Melodien wieder, die sie im Mutterleib gehört haben. Und diese frühe Musikalität ist gleichzeitig eine prima Hilfe für Sprachanfänger: Beim Singen (und Gedichteaufsagen) werden Betonungsunterschiede und Rhythmik nämlich noch viel stärker hervorgehoben als beim normalen Reden.

Ist der Fernseher ein guter Sprachlehrer?

So mancher Erwachsene hat als Teenager beim "Star Wars"-Videoabend mehr Englisch gelernt als im Klassenzimmer. Für kleine Sprach-Anfänger gilt aber genau das Gegenteil: Ein Baby empfindet das Gebrabbel aus dem TV (genauso wie Radio) als störendes Hintergrundrauschen und kann nur schwer die Stimmen der Eltern aus dem Wirrwarr herausfiltern. Übrigens: Sogar hochfrequentes Fiepen im Standby-Modus irritiert den Säugling! Auch Zwei- bis Dreijährige profitieren nicht von Kindersendungen, selbst wenn sie pädagogisch gut gemacht sind: Kleinkinder erweitern ihren Wortschatz nämlich nur im direkten Kontakt. Etwa wenn die Erzieherin in der Krippe ein Bilderbuch vorliest oder der große Bruder seine Fahrzeugflotte vorstellt.

Was sind die beliebtesten ersten Worte?

Über die Hälfte aller deutschen Kinder sagen zuerst "Mama", nur für 15 Prozent ist "Papa" das erste Wort. Weit abgeschlagen folgen: "Auto" (mit vier Prozent), "Oma", "Ball", "Wauwau" und "haben". Allen Vätern zum Trost: Über die Aussagekraft dieser Umfrage kann man streiten - dafür wurden nämlich ausschließlich Mütter gefragt.

Sind Kinder, die sehr früh sprechen lernen, schlauer?

Könnte man meinen. Jedenfalls können sie früher verständlich machen, was in ihren kleinen Köpfen vor sich geht - und das ist oft ganz erstaunlich. Die Wissenschaft geht derzeit allerdings davon aus, dass Sprachentwicklung und Intelligenz nur lose miteinander verknüpft sind. Sonst könnte ein Kind mit geistiger Behinderung (etwa dem genetisch bedingten William-Beuren-Syndrom) wohl kaum sprechen lernen. Genauso dürfte es dann keine Kinder mit Sprechentwicklungsstörungen geben, die sich in allen anderen Bereichen altersgemäß verhalten. Lernforscher vermuten: Frühes Sprechen kann ein Hinweis auf einen hohen IQ sein - umgekehrt gilt das jedoch nicht: Wer also erst mit zwei Jahren auf den Geschmack kommt, kann sich im Schulalter trotzdem zum Mini-Einstein entwickeln.

Warum sind die Mädchen eigentlich schneller als die Jungs?

Nein, das ist keine Behauptung stolzer Mädchenmütter, das ist Statistik: Im Lauf des zweiten Lebensjahres lernen Mädchen durchschnittlich 120 Wörter, Jungs nur etwa 90. Bis ins Kindergartenalter haben die jungen Damen die Nase vorn, außerdem sind sie dreimal seltener zu Besuch beim Logopäden als ihre männlichen Spielkameraden. Warum das so ist, weiß man noch nicht genau - hormonelle Prozesse spielen vermutlich eine Rolle, die das weibliche Hirn schneller reifen lassen. Das heißt: Mädchen sind früher in der Lage, Sprache abstrakt zu verarbeiten, Jungen brauchen stärker die Kombination aus akustischen und optischen Eindrücken. Das klingt komplizierter, als es ist. Papa zeigt seinem Sohn ein Bilderbuch und nennt die Nutzfahrzeuge darin beim Namen? Prädikat "pädagogisch wertvoll"!

Warum sind lebhafte Menschen bessere Sprach-Vorbilder?

Jeder, der schon mal im Urlaub mit Händen und Füßen ein Bier bestellt hat, weiß: Wo die Sprache nicht ausreicht, helfen Gesten weiter. Dasselbe funktioniert auch bei Kleinkindern, so haben Forscher der University of Chicago herausgefunden: Kinder, deren Eltern beim Sprechen viele und abwechslungsreiche Gesten benutzten, hatten nicht nur selbst eine lebhaftere Körpersprache, auch ihr Wortschatz war deutlich höher als in der Vergleichsgruppe.

Warum quaken französische Frösche anders?

Bevor Kinder ihren eigenen Namen aussprechen können, sind sie oft begeisterte Stimmen-Imitatoren: Wau! Mäh! Quak! Und das ist auch gut so. Denn Tiergeräusche bestehen in jeder Sprache aus Lauten und Lautkombinationen, die auch häufig in anderen Wörtern vorkommen. Deshalb macht der französische Frosch nicht "quak", sondern "croac“. Pariser Hunde sagen "ouaff", New Yorker "woof". Tiere nachahmen ist also keineswegs kindisch, sondern im Gegenteil: ein tierisch gutes Training für kleine Sprachanfänger.

Was hat Lippenlesen mit Sprechenlernen zu tun?

Es gibt Buchstaben, die man sehen kann. Zum Beispiel das "M" in Marmelade, das "B" in Ball oder das "P" in Pinguin. Ein Laut, der von den gespitzten Lippen förmlich in die Luft gepustet wird. Andere sieht man kaum: etwa das stimmlose "S" in Sonne. Kein Wunder, dass Kleinkinder die sichtbaren Laute am schnellsten lernen (mama, bebe, papa): Die können sie nämlich einfach nachmachen. Die anderen finden sie im Selbstversuch heraus - und das kann mitunter ganz schön dauern.

Verlieren Kinder den Spaß an der Sprache?

Könnte man meinen - so schlecht, wie etwa Erstklässler in verschiedenen Bundesländern bei Sprachtests abschneiden. Aber ganz so simpel ist es nicht, betonen Experten. Auf der einen Seite gibt es die echten Sprachentwicklungsstörungen, meistens eine Kombination aus geringem Wortschatz, unsicherer Grammatik und Ausspracheproblemen. Das sind zumeist angeborene Defizite, die genauso in Bildungsbürgerfamilien auftreten wie im sozialen Brennpunkt - bei etwa sechs bis acht Prozent aller Kleinkinder. Mithilfe eines Logopäden können sie ihren Rückstand jedoch zumeist gut aufholen. Auf der anderen Seite: gesunde Kinder, die sich nicht altersgemäß ausdrücken können. Weil zu Hause zu wenig gesprochen wird oder keiner mit ihnen liest. Kein Fall für den Logopäden - sondern für die Leseecke im Kindergarten und eine engagierte Erzieherin.

Was tun, wenn mein Kind nicht so spricht, wie es soll?

Es gibt sie: schweigsame Kleinkinder, die pünktlich zum zweiten Geburtstag auf einmal gestochen scharfe Sätze bilden. Doch auch wenn sich vieles von selbst auswachsen kann, sollte man Alarmzeichen nicht auf die leichte Schulter nehmen. Schon im ersten Jahr: Schreit ein Baby auch mit fünf Monaten noch so monoton wie ein Neugeborenes oder beginnt es im zweiten Halbjahr nicht mit dem Brabbeln, kann das an einer Hörstörung liegen. Und dafür gilt: Je früher es Hilfe bekommt (etwa in Form von Hörgeräten), desto besser für das spätere Sprechenlernen. Bei der U7, um den zweiten Geburtstag herum, überprüft der Kinderarzt: Wie viele Wörter benutzt das Kind? Bildet es mindestens Zwei-Wort- Sätze? Manche Spätentwickler brauchen therapeutische Unterstützung - und auch Hilfe von den eigenen Eltern: In speziellen Programmen, zum Beispiel dem Heidelberger Elterntraining, lernen Mütter und Väter, wie sie ihrem Kind beim Sprechenlernen helfen können (Spezialisten in ganz Deutschland unter www. heidelberger-elterntraining.de, Kosten werden zum Teil von den Krankenkassen übernommen).


Mehr zum Thema