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Wehenmittel Cytotec Die Dosierung macht den Unterschied

Cytotec: Schwangerschaft Herztöne Baby
© Helen Sushitskaya / Shutterstock
In den vergangenen Jahren stand das Wehenmittel Cytotec immer wieder im Verdacht, schwere Nebenwirkungen zu haben. Seit dem Frühjahr 2021 wird es nicht mehr importiert. Als wirksamstes Mittel zur Einleitung einer vaginalen Geburt wird es jedoch noch immer aufgeführt. Zu Recht, finden viele Geburtsmediziner.

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Wehenstürme bei der Mutter und bleibende Hirnschäden beim Kind soll das Prostaglandin Misoprostol verursachen. Die Süddeutsche Zeitung und andere Medien berichteten von einem Todesfall und einer Reihe von Verdachtsfällen nach der Einleitung der Geburt mit Cytotec. Inzwischen ist das Mittel zur Geburtseinleitung vom Markt verschwunden. Und jetzt? In der Geburtshilfe fehlt es, denn auch nach dem Importstopp und ohne offizielle Zulassung stufen Experten Misoprostol immer noch als Mittel der Wahl ein. Denn nicht der Wirkstoff hat vermutlich die schweren Fälle von Nebenwirkungen verursacht, sondern die falsche Dosierung. Und die ist gewissermaßen eine Nebenwirkung der fehlenden Zulassung.

Was ist Cytotec?

Cytotec ist ein Medikament des Herstellers Pfizer, das das Prostaglandin Misoprospol enthält. Es wird in Tablettenform hergestellt. Zugelassen war es in Deutschland als Mittel zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren sowie zur Vorbeugung und Therapie von Magenschleimhautentzündungen. Da es, sozusagen als Nebenwirkung, die Gebärmutter zu Kontraktionen anregt, wurde Cytotec auch als Wehenmittel in der Geburtsmedizin angewendet. Durch die Gabe des Medikaments wurden künstlich Wehen eingeleitet. Zum einen wurde so eine natürliche Geburt angestoßen, zum anderen wurde Cytotec auch angewendet, um Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Für den Einsatz des Mittels in der Geburtsmedizin gab es keine offizielle Zulassung. Die behandelnden Ärzte verwendeten Cytotec im sogenannten Off-Label-Use. Das bedeutet, dass sie aufgrund ihrer und der jahrelangen Erfahrungen der Fachwelt selbst entschieden, wann der Einsatz zur Geburtseinleitung sinnvoll und verantwortbar war. Auch auf umfangreiche Studienergebnisse konnten sie sich im Fall des Wirkstoffs Misoprospol berufen. Allerdings nicht in Bezug auf ein für die Geburtseinleitung passend dosiertes Präparat: Es war kaum möglich, die Tabletten für geringere Dosierungen exakt zu teilen.

Für Frauen, die an der Gebärmutter operiert wurden oder einen Kaiserschnitt hatten, war das Medikament nicht geeignet. Das Medikament wurde seit 2006 nicht mehr von Pfizer direkt vertrieben, sondern von drei Importunternehmen (Kohlpharma, Eurim und Emramed) in Verkehr gebracht.

Welche möglichen Nebenwirkungen hat Cytotec?

Der in Cytotec enthaltene Wirkstoff Misoprospol ist zwar ein sehr wirksames Wehenmittel, allerdings traten in der Vergangenheit schwere Nebenwirkungen auf, die vermutlich auf das Medikament zurückzuführen sind. Dazu gehören Blutungen, Gebärmutterrisse, sogenannte Wehenstürme (Polysystolie) sowie bleibende Hirnschäden der Neugeborenen aufgrund von Sauerstoffmangel unter der Geburt. In Deutschland wurde auch von Todesfällen berichtet, die in Zusammenhang mit der Gabe des Medikaments stehen sollen. In den Blick der Öffentlichkeit gerieten die Nebenwirkungen durch die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung und anderer Medien. Geburtsmediziner wiesen im Zusammenhang mit der lauter werdenden Kritik an Cytotec immer wieder darauf hin, dass es zu einer Überstimulation der Gebärmutter auch bei anderen Prostaglandinen oder nach der Gabe von Oxytocin kommen könne.

Wieso gab es keine Zulassung für Cytotec?

Dazu muss man wissen: Medikamente werden immer für einen bestimmten Anwendungsfall zugelassen, medizinisch nennt man das eine Indikation.

Cytotec war ein regulär zugelassenes Medikament, aber eben nicht für die Einleitung einer Geburt. Um eine Zulassung für diese Indikation zu bekommen, hätte es neue Studien gebraucht, in denen natürlich Schwangere hätten teilnehmen müssen. Insofern gab es bei Cytotec dasselbe Problem, das es bei vielen Medikamenten für Schwangere gibt. Da Studien an Schwangeren medizinisch zu aufwändig, teuer, ethisch nicht vertretbar oder juristisch zu riskant sind, werden sie nicht durchgeführt und demzufolge kommt es auch nicht zur Zulassung. Vielen Ärzten bleibt so bei vielen Medikamenten nur der Off-Label-Einsatz, wenn sie das Risiko von Schäden für Mutter oder Kind für sehr gering halten. Die Therapiefreiheit eines Arztes deckt dieses Vorgehen rechtlich ab.

Ein weiteres Problem war, dass es bis zum Frühjahr 2021 schon längere Zeit keine gültige Leitlinie für die Geburtseinleitung gegeben hatte. Es gab also auch keine große Auswahl an effektiven, empfohlenen Alternativen, um Frauen, die keine Wehen bekamen, oder bei denen die Geburt aus anderen Gründen eingeleitet werden musste, medikamentös zu unterstützen.

Wann wurde das Medikament vom Markt genommen?

Der Hersteller Pfizer gab die Zulassung für Cytotec 2006 zurück. Seitdem wurde das Medikament noch von drei Importeuren parallel auf den deutschen Markt gebracht. Diese haben nach der kritischen Berichterstattung und der Meldung von über 400 Verdachtsfällen im Frühjahr 2021 angekündigt, das Arzneimittel nicht mehr zu importieren und freiwillig auf die Zulassung zu verzichten. Sie kamen damit einem von Jens Spahn und dem zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angekündigten Widerrufsverfahren zuvor.

Durften die Ärzte Cytotec überhaupt einsetzen?

Es ist nicht ungewöhnlich und auch nicht von vornherein ungesetzlich, dass Medikamente für eine Indikation eingesetzt werden, für die sie nicht zugelassen sind (Off-Label-Einsatz). Bei Schwangeren und Kindern passiert das zwangsläufig häufiger, da oft die aufwändigen und teuren Zulassungsstudien für diese Gruppe fehlen. Ärzte und Ärztinnen müssen dann selbst entscheiden, ob sie das Mittel verschreiben oder nicht. Das tun sie normalerweise wohlüberlegt und aufgrund von eigenen Erfahrungen und denen ihrer Kollegen weltweit. Außerdem müssen sie die Patientin gesondert aufklären und brauchen ihr Einverständnis. Offiziell spricht man von Therapiefreiheit, einige Ärzte dürften die Situation wohl häufig eher als Therapiezwickmühle empfinden.

Ist Cytotec als Wehenmittel gefährlich?

In der Geburtsmedizin war Cytotec sehr verbreitet. Eine Befragung aus dem Jahr 2013 ergab, dass 66 Prozent der teilnehmenden geburtshilflichen Einrichtungen misoprostolhaltige Arzneimittel angewendet haben. Auch bei Hebammen war der Einsatz an der Tagesordnung. In der neuen Leitlinie zur Geburtseinleitung wird der Wirkstoff Misoprostol weiterhin als das wirksamste Medikament zur Geburtseinleitung bei unreifem Zervixbefund bezeichnet, der darüber hinaus zu weniger Kaiserschnitten als mit anderen Medikamenten (Dinoproston, Oxytocin) führe.

Das Mittel selbst stellte, so die Fachgesellschaften, gar nicht das Problem dar, sondern die Dosierung. Als Magenmittel waren 200 Mikrogramm sinnvoll, als Mittel zur Geburtseinleitung nicht. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, den in Cytotec enthaltenen Wirkstoff Misoprostol in der Dosierung von 25 Mikrogramm im Abstand von zwei Stunden oral zur Geburtseinleitung zu verabreichen. Was tun, wenn eine Tablette aber nun mal nur in einer 200 Mikrogramm-Dosierung auf dem Markt ist? Aus Mangel an Alternativen wurde das Problem, so berichtete die SZ, in der Geburtsmedizin jahrelang praktisch gelöst. Die Cytotec-Tablette wurde geteilt oder zerkleinert, zu Suspensionen oder Kapseln weiterverarbeitet. Wurde die Teilung nicht von pharmazeutisch geschultem Personal (etwa in einer Krankenhausapotheke) durchgeführt, konnte das Ergebnis ein zu starker Wirkstoffgehalt sowie eine Instabilität des feuchtigkeitsempfindlichen Wirkstoffs sein. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft warnte im Fall von Cytotec eindringlich vor einer unsachgemäßen Stückelung.

Welche Alternativen gibt es bei einer Geburtseinleitung?

Eine Alternative wäre ein Medikament, dessen Tablettengröße der Dosierung entspricht, die für eine Geburtseinleitung angezeigt ist. In der Geburtsmedizin hofft man unter anderem auf die Zulassung von Angusta. Das Präparat enthält den Wirkstoff Misoprostol in einer 25 µg-Dosierung und ist bereits in anderen EU-Ländern zugelassen.

Außerdem werden andere Prostaglandine (z.B. Dinoproston) und Oxytocin als Medikamente zur Geburtseinleitung eingesetzt. Diese werden in der Regel über die Scheide verabreicht. Eine Alternative, so die neue Leitlinie zur Geburtseinleitung, sind mechanische Verfahren wie ein Ballonkatheter oder die manuelle Eipollösung. Auch eine Kombination aus mechanischen und medikamentösen Verfahren soll im Vergleich zu Cytotec weniger Nebenwirkungen hervorrufen.

Was kann noch zu Nebenwirkungen führen?

Zusätzlich zu einer zu hohen Dosierung – und damit evtl. zu starken Wirkung – des Medikaments gibt es weitere Faktoren, die das Risiko von Nebenwirkungen bei einer medikamentösen Geburtseinleitung verstärken können. Dazu gehört eine ambulante Behandlung. Unabhängig vom Medikament, mit dem eingeleitet wird, rät die neue Leitlinie davon ab, da nicht absehbar ist, wann die Wirkung der Prostaglandine eintritt. Sicherer sei beim Einsatz aller Wehenmittel eine stationäre Behandlung mit einer entsprechenden Überwachung, so die DGGG.

Wird Cytotec weiterhin eingesetzt?

Der Importstopp des Präparats führt dazu, dass Cytotec bald nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Dennoch empfiehlt die neue Leitlinie zur Geburtseinleitung weiterhin den Off-Label-Use, bis ein neues Medikament zugelassen ist. Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe weist in einer Stellungnahme darauf hin, dass so eine Versorgungslücke entsteht. Das gelte vor allem für späte Schwangerschaftsabbrüche (z.B. aufgrund von schweren Fehlbildungen) und bei Totgeburten.

Um besser auf die Gefahren im Off-Label-Use des Arzneimittels hinzuweisen, empfahl die Europäische Arzneimittelagentur die Beschreibung der unerwünschten Nebenwirkungen des Wirkstoffs Misoprostol zu aktualisieren. In den Fachinformationen von Cytotec wird nun auf die Gefahr einer Uterusruptur (Gebärmutterriss) und von krankhaften Gebärmutterkontraktionen hingewiesen.

Quellen

F. Voigt, T.W. Goecke, L. Najjari et al.: Off-Label use of misoprostol for labor induction in Germany: a national survey, in: The European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology, Vol. 187, 85-89, April01, 2015.

C. Schwarz, G. Schmidt, W. Rath: Praxis der Geburtseinleitung in Kliniken der deutschsprachigen Länder (D-A-CH Region), Georg Thieme Verlag, Stuttgart 2017

Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur Anwendung von Cytotec® (Misoprostol) in der Geburtshilfe

Neue Leitlinie zur Geburtseinleitung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG, OEGGG, SGGG), AWMF-Registernummer 015-088, Leitlinienklasse S2k, Stand: Dezember 2020 Version, 1.1 Addendum vom März 2021.

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